Die Füchse Berlin haben auch ihr drittes Spiel gegen eine Top-Mannschaft in der Bundesliga verloren. Die Qualität im Kader ist zwar groß, doch mental ist das Team scheinbar noch nicht bereit für einen Coup.
Jaron Siewert wird nicht umsonst mit Julian Nagelsmann verglichen. Der Handball-Trainer der Füchse Berlin ist genau wie der Fußballcoach ein Überflieger, dem schon in jungen Jahren eine Profimannschaft mit großen Ambitionen anvertraut wird. Und Siewert ist wie Nagelsmann ein Freund der klaren Worte. Nach der unnötigen 32:26 (13:16)-Auswärtsniederlage beim THW Kiel trug der 27-Jährige das Herz auf der Zunge – sehr zur Freude der TV-Zuschauer. Die Mannschaft dürfte die wenig schmeichelhaften Sätze dagegen mit Unbehagen aufnehmen, der Ton wird spürbar ungemütlicher und rauer. „Mir geht es langsam mega auf die Eier, dass wir immer wieder die gleichen Fehler machen", wetterte Siewert vor laufender Kamera bei Sky. Die vierte Niederlage in Folge hatte dem Trainer sichtlich die Laune verdorben. Dabei waren die Füchse in Kiel drauf und dran, nach den Pleiten gegen die SG Flensburg-Handewitt (29:33) und die Rhein-Neckar Löwen (23:29) endlichen einen der „Großen" in der Bundesliga zu schlagen. Doch Unkonzentriertheiten, Ballverluste und Fehlwürfe sorgten dafür, dass selbst ein zwischenzeitlicher Fünf-Tore-Vorsprung nicht zum Sieg reichte. „Wir haben uns in der ersten Halbzeit eine super Ausgangsposition erarbeitet", sagte Siewert, „und dann das." Zu hart wolle er zwar nicht mit den Spielern ins Gericht gehen, „die machen das ja nicht mit Absicht und verlieren die Bälle einfach so", sagte er, „aber das ist das Hauptthema, das wir unter Kontrolle bringen müssen. Daraus resultieren die Kontertore, und die fressen uns auf."
„Mir geht es langsam mega auf die Eier"
Wo genau er im Training ansetzen müsse, um diese Fehler zu vermeiden, wisse er ad hoc auch nicht, gab Siewert unumwunden zu. Und auch die Spieler waren hinterher einigermaßen ratlos. „Wir haben in der zweiten Halbzeit eigentlich genau das Gegenteil von dem gemacht, was wir uns vorgenommen hatten", berichtete Nationalspieler Paul Drux, der nach einer Verletzungspause wieder auflaufen konnte. „Damit laden wir den THW Kiel ein, wieder mitzuspielen und das Spiel zu bestimmen. Das ist das Ärgerliche daran." Der zwischenzeitliche 7:1-Lauf von Kiel kurz vor und kurz nach der Pause sei „ein Geschenk, das du Kiel in der eigenen Halle nicht machen darfst", kritisierte Siewert.
Das Problem ist: Die Füchse haben in der Bundesliga zuletzt reichlich Geschenke verteilt. Mit 13 Minuspunkten ist der vage Titeltraum längst ausgeträumt, selbst die Qualifikation für die Champions League wird ein Kraftakt. Auch die Konkurrenz rätselt, warum die Berliner ihre unbestrittene Qualität in den entscheidenden Momenten nicht abrufen können. „Die Füchse haben schon eine geile Mannschaft zusammen in dieser Saison", sagte der Kieler Rune Dahmke fast schon schwärmerisch. Kiel war zuletzt in Corona-Quarantäne gegangen und musste danach drei Spiele in fünf Tagen absolvieren, die Voraussetzungen für den ersten Punkt der Füchse überhaupt in der Ostseehalle waren also gut. Doch wieder wurde nichts daraus. „Vieles im Sport wird im Kopf entschieden", begründete Drux. „Wenn man ein, zwei Bälle danebenwirft und ein paar technische Fehler macht, dann spielt es sich nicht mehr ganz so einfach." Im Moment falle der Mannschaft „vieles sehr, sehr schwer, was normalerweise einfacher läuft". Auch Sportvorstand Stefan Kretzschmar machte ein mentales Problem bei seiner Mannschaft aus: „Die Psyche ist schon ein entscheidender Faktor in unserem Sport." Für Kretzschmar waren die Rollen in dem „nicht gerade dankbarsten Auswärtsspiel" in Kiel schon vor dem Anwurf klar verteilt. „Im Prinzip kann man da nur überraschen", hatte der frühere Weltklasse-Linksaußen gesagt. Niemand traue den Füchsen in der aktuellen Situation einen Sieg zu, aber: „Du darfst dich auch gegen Kiel nicht unter Wert verkaufen oder abschlachten lassen." Das taten die Füchse auch nicht. „Die erste Halbzeit war die beste, die wir seit Langem gespielt haben", sagte Drux völlig zu Recht. Die Pleite zuvor gegen die Rhein-Neckar Löwen hatte die Verantwortlichen viel schwerer getroffen. Man werde mit der Mannschaft in den kommenden Tagen „auf eine andere Art kommunizieren" und mit ihr „härter ins Gericht gehen", hatte Kretzschmar angekündigt. Gegen die Löwen sei man „zu keiner einzigen Minute in der Lage" gewesen, das Spiel zu gewinnen, haderte der Sportvorstand. Es sei „die ultimative Katastrophe", wenn der Matchplan schon nach wenigen Minuten über den Haufen geworfen wird, weil sich das Team nicht an Absprachen halte. Geschäftsführer Bob Hanning vermisste bei der Pleite gegen Uwe Gensheimer und Co. „Emotionalität, Leadership und Qualität". Diese Dinge fordert er vor allem von den Leistungsträgern Fabian Wiede, Lasse Andersson und Drux. Sie müssten „aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer Qualität jetzt einfach stärker das Heft in die Hand nehmen", so Hanning. Dafür hat der Verein den Spielern einen großen Vertrauensvorschuss gegeben.
„Unsere Einstellung hat gestimmt"
Die deutschen Nationalspieler Wiede (bis 2026) und Drux (2025) verlängerten ihre Verträge bei den Füchsen langfristig, was in der Liga als klare Kampfansage an die Topclubs wahrgenommen wurde. Hanning sprach von „einem der größten Tage der Vereinsgeschichte", denn zeitgleich gab auch Hauptsponsor Deutsche Wohnen (bis 2024) sein Jawort für ein weiteres Engagement, und die hoffnungsvollen Nachwuchsspieler Matthes Langhoff, Nils Lichtlein und Marc Walter wurden mit Profiverträgen ausgestattet. Doch das war vor der Niederlage gegen Flensburg, seitdem hat die Euphorie im Club bereits wieder stark nachgelassen.
In der European League ist die Mannschaft dagegen im Soll. Zwar war der 22:24-Auswärtserfolg beim französischen Erstligisten USAM Nimes wenig glanzvoll, aber immerhin gab es mal wieder einen Sieg zu feiern. Zudem wurde das Achtelfinal-Ticket vorzeitig gebucht. Siewert bezeichnete den Auftritt daher auch als „eine Charakterleistung", die angesichts der jüngsten Niederlagen keine Selbstverständlichkeit gewesen sei. Auch Kretzschmar hatte während der Partie etwas bessere Laune: „Zumindest hat unsere Einstellung gestimmt." Die beiden noch ausstehenden Auswärtsspiele bei Sporting Lissabon (Portugal) und Tatran Presov (Slowakei) konnten die Füchse jedoch aufgrund der Quarantäne-Bestimmungen nicht antreten. Die Folge: Vier Minuspunkte und 0:20 Tore. „Die Mannschaft hat sich sportlich Platz eins erarbeitet, umso bedauerlicher sind die nun ausgesprochenen Punktabzüge, die wir nicht zu verantworten haben", sagte Hanning mit unverhohlener Kritik an der Entscheidung des europäischen Verbandes EHF. Aber es kommt noch irrer: Das Heimspiel gegen Lissabon sollte derweil am 2. März in Polen stattfinden, genauer gesagt in Plock, 100 Kilometer nordwestlich von Warschau. Der Hintergrund ist, dass die portugiesische Mannschaft in Deutschland keine Einreisegenehmigung bekommen hätte.