Julian Mancuso bietet in Berlin mit seinem „Ada’s Hot Deli & Alimentari" kanadisch-sizilianische Rezepturen, die er von seinen beiden Großmüttern gelernt hat. Das ist italienische Hausfrauenkost im allerbesten Sinne.
Freunde der Cucina Casalinga, einer rustikalen italienischen Hausfrauenküche, würden sicher gern mal mit Julian Mancuso tauschen. Der Wahlberliner mit kanadisch-sizilianischen Wurzeln hatte nämlich das Doppel-Glück, gleich mit zwei fantastisch kochenden Nonne – seinen italienischen Großmüttern Ada und Gina – aufgewachsen zu sein. Schon als kleiner Knirps hat er bei seinen Omas in die Töpfe geschaut. Frische Zutaten haben sie in Adas Garten geerntet und frisch verarbeitet. Dicke Fabre-Bohnen geöffnet, Artischocken geputzt, die muschelförmigen Cavatelli-Hohlnudeln, Gnocchi und Ravioli von Hand gemacht.
„Ada war wie meine beste Freundin. Sie war eine humorvolle und starke Frau aus Lazio bei Rom, die ihrem von Mussolini verbannten sozialistischen Mann erst in die Abruzzen, dann nach Toronto in Kanada folgte", erzählt Julian Mancuso. Das Foto mit der kleinen Dame, die Ende der 60er-Jahre alleine mit dem großen Schiff ihrer großen Liebe über den Teich gefolgt war, hält Julian in Ehren. Es ziert das Corporate Design seiner 2015 gegründeten Catering-, und Foodconsulting-Firma „Ada’s Hot Deli & Alimentari".
Die meisten Produkte kommen aus der Region
Mancuso, der vor sieben Jahren von Toronto nach Berlin gezogen ist, hat sofort im Rahmen der Streetfoodwelle seine guten, italienischen Kochgene zum Einsatz gebracht. Er verkaufte „Spiffys", das sind mit Oliven frittierte Freilandhähnchen, die sofort eine kleine Fangemeinde fanden. Als er gefragt wurde, ob er nicht auch ein Lunch-Catering anbiete, entstand die Idee zu „Ada’s Deli": einfache italienische Küche mit besten Zutaten, nach den Rezepten der Omas Ada und Gina und von Mama Ermina gekocht. Schnell erweiterte er sein Repertoire um Meatball-Sandwiches, Cheesy Stuffed Peppers, Meat-Lasagna-Salate und Antipasti-Platten. Julians Konzept sprach sich wie ein Lauffeuer bei jungen Start-ups herum. Zum „Very Italian"-Lunch beliefert der 33-Jährige manchmal bis zu 120 Mittagshungrige. Dazu mietete er ein Atelier in Prenzlauer Berg an, vergrößerte sein Helfer-Team, hatte schnell erste Consultinganfragen von Restaurants und wird heute sogar für Rezeptkreationen und Food-Design von renommierten Marken gebucht.
Die meisten Produkte bezieht Julian Mancuso von der ersten Stunde an aus der Region. Ein nachhaltig-ethisch gedachter Umgang mit Lebensmitteln sei ihm ebenso wichtig, wie seine Preise fair zu halten, erzählt er. So ordert er seine Eier von „Weide-Ei" aus Falkenhagen, sein Fleisch bezieht er von der „Blutwurstmanufaktur" in Neukölln und sein Gemüse von besonderen Wochenmärkten. Das Pastamehl kommt aus dem Mehlstübchen in Schöneberg. Da fahre er auch mal Zickzack-Runden, um alle Produkte einzusammeln. Von der Nudel bis zum Fleischbällchen rolle er alles von Hand. Auch Saucen, Dressings und Fermentiertes sind handmade.
Von den Omas habe er auch gelernt, alles zu verwerten. Alle Reste kommen in die Gemüsebrühe – selbstgekocht durch nichts zu ersetzen. In jeder Rezeptur steckt ein Quäntchen seiner Familiengeschichte, und hier kommt auch Nonna Gina ins Spiel. Ihr Vater Ignazio Butera war ein sizilianischer Gastwirt und führte das erste Restaurant in Casteltermini. Ehemann Cologero Mancuso war Obsthändler, der während eines frostigen Jahrhundertwinters und einer erfrorenen Orangenernte mit der Familie und Julians damals 14-jährigem Vater Enzo nach Toronto auswanderte. Dort hat er in den Sechzigern mit seinem Bruder den italienischen Supermarkt „Mancuso Bros" eröffnet. Ein T-Shirt und eine Tüte von damals besitzt Julian noch.
Parmesankruste als Geheimtipp
Er liebt seine Familie und die vielen kleinen Randgeschichten, die sich meistens ums Essen drehen. In Nicht-Corona-Zeiten besucht er seine kontinental verstreuten Angehörigen mehrfach im Jahr. Erst 2019 war er quer durch Italien gereist, um von Familienmitgliedern neue Rezepte zu erfahren. Von Onkel Alfredo aus Molise brachte er den Trick mit, knusprige, klein geschnippelte Schweinehaut in den Fagiola – einen typischen Bohnenauflauf aus Borlottis (rot-weiße Cranberrybohne) – zu mischen. Das hebe den Geschmack und sei herrlich crispy.
„Ich koche immer nah an den Rezepten meiner Familie und nach dem Prinzip der Cucina Povera, einer einfachen, auf meine Art verfeinerten ,Armenküche‘. Eines meiner Lieblingsgerichte, ein sämiger Hähnchenauflauf mit dicken grünen Oliven und Zitronenscheiben, habe ich als Kind bei einem Sizilienbesuch nur mal gesehen, aber nie gegessen. Aus dieser Erinnerung habe ich ihn einfach nachgekocht", erzählt Mancuso. Die Standard-Gerichte seines Delis repräsentieren die Omas: Bei Adas „Losogne Bolognese", wie Julian sie mit seinem kanadisch-sizilianischen Akzent pronunziert, wird die Hackfleischsauce acht Stunden gekocht. Zur klassischen Béchamelsauce kommt als Ada-Akzent Ricotta-Käse. Die Lasagne bietet er als einzige im Sortiment als Tiefkühlportion an.
Für Vegetarier gibt es die weiße Funghi-Variante mit Steinpilzen, Champignons, Spinat, Ricotta, Pecorino und Parmesan und einem Hauch von Trüffelöl in der Béchamel. „Ich hatte als Kind zwei Ada-Lieblingsgerichte. Meine Favoriten waren die knusprigen Roman Supplì – ein Originalrezept aus Latium. Das sind frittierte mit Mozzarella gefüllte Risottostäbchen, die ich als Überraschungs-Fingerfood anbiete. Ursprünglich wurden sie in den typischen römischen Friggitorie (Imbisse) verkauft. Das sizilianische Pendant sind die Arancini.
Adas „Yellow Rice" habe es ihm besonders angetan: ein Safranrisotto mit Rinderhaxe in Tomatensauce mit dicker geschmolzener Käseschicht aus Parmesan. Die Kruste habe sie leicht eingerührt und dann mit Polpette, kleinen Fleischbällchen, garniert. Gina liebte Auberginen, die sie in allen Formaten auf den Tisch brachte. In dünnen Scheiben geröstet und mit Honig und Salz bestrichen ist ihr Favorit.
Grandios auch ihr Caponata – ein süß-sauer eingelegter Gemüseaufstrich. Die Auberginen werden mit Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, Sellerie und Kapern geköchelt. Der sogenannte Agrodolce-Effekt entsteht, in dem man Zucker karamellisiert und mit Essig ablöscht. Bei Julian Mancuso finden sich – als kleiner Luxus – zart geröstete Pinienkerne obenauf. Als Kind liebte er Ginas mit Pilzen, Kräutern und Brot gefülltes butterweiches Hähnchen im Tontopf. Ganz oben auf der Lieblingsliste: Das Parmigiana – ein Auflauf mit Gemüse quer durch den Gemüsegarten. Der wird mit viel Parmesan-Käse und Tomatensauce zubereitet.
Es empfiehlt sich, möglichst früh zu bestellen
Neben dem Klassiker Parmigiana di Melanzane mit gegrillten, panierten Auberginen werden vorgegarte oder gebackene Zucchini, Artischocken oder Spargel aufgeschichtet. Eine Julian-Version ist mit Zucca. Den Kürbis mit Fenchel bespickt er wie all seine Parmigiana mit Scamorza – geräuchertem Mozzarella – und Pecorino-Käse. Gina gibt als Geheimtipp die ganze Parmesankruste dazu. Das gibt den kräftigen Geschmack und sei fast wie Fleischersatz. Schön für Vegetarier, die zahlreich ebenso zu seinem treuen Kundenkreis zählen.
Julian Mancuso schwört auf frittiertes Brotkrumen-Topping und freute sich, dieses im Winter-Menü über ein typisch italienisches, selten zu findendes Gemüse streuseln zu können. „Ich war glücklich, Rapini – auch Brokkoli Rabe genannt – auf einem der Berliner Märkte gefunden zu haben. Das etwas bittere, grün-gesunde Kreuzblütler-Gemüse wird samt Stängel, Blätter und Knospe, die dem chinesischen Brokkoli ähnelt, verzehrt." Im Ada’s-Deli-Repertoire fand man es als Beilage mit Anchovis, Chili, viel Knoblauch, bestem Olivenöl und Ricotta-Käse – der mache alles weich. Die Panade als starker Geschmacksträger kommt ebenso aus der Cucina-Povera-Kultur, die in harten Zeiten als Käseersatz diente. Der Nachtisch, ein Tiramisu mit cremigem Herz, oder die Brutti ma Buoni – Haselnuss-Schoko-Cookies – sind Standard.
Eigenhändig liebevoll verpackt mit dem rot-weißen Ada’s-Deli-Sticker finden alle Leckereien den Weg aus Prenzlauer Berg in die Stadt. Rechtzeitig bestellen ist empfehlenswert. Auch bei den begleitenden, reinen Naturweinen aus Sizilien, Venetien und Umbrien von Cantine Sant’Ambroeus, achtet Julian wie mit all seinen Ingredienzien konsequent auf Nachhaltigkeit. Julian hat seine familiäre Cucina-Karte bestens ausgespielt und träumt von einem Tavola Calda è Alimentari – einem kleinen, eigenen Restaurant mit einfachen Gerichten und einer Lebensmitteltheke. Beim täglichen Kochen trägt ihn die Erinnerung an seine Großmutter und beste Freundin Ada. Sie ist mit 87 Jahren, drei Tage nach dem ersten Streetfoodmarkt ihres Enkels, gestorben. Sie wäre sicher sehr stolz auf ihn.