Amaneh Golnaz Abedian ist vor Kurzem als erste Saarländerin mit der Marta-Drumm-Medaille ausgezeichnet worden. Beruflich engagiert sich die 52-jährige Gesundheits- und Krankenpflegerin für eine Aufwertung des Pflegeberufs. In ihrem Heimatland, dem Iran, kämpfte sie lange Zeit gegen das Chomeini-Regime.
Amaneh Golnaz Abedian, von ihren Kollegen und Freunden „Goly" genannt, wusste bis vor wenigen Monaten nicht, wie es sich anfühlt, im Mittelpunkt zu stehen, Fragen von Journalisten zu beantworten, vor einer Kamera zu stehen. Aber spätestens seit dem 13. November interessieren sich Medienvertreter für ihre Biografie und Arbeit als examinierte Pflegekraft am Knappschaftsklinikum Sulzbach. Just an diesem Tag ist Abedian als erste Saarländerin überhaupt mit der Marta-Drumm-Medaille der Peter-Imandt-Gesellschaft und Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgezeichnet worden. Die Namensgeberin der Medaille, Marta Drumm, kam 1910 in Neunkirchen-Wiebelskirchen zur Welt, arbeitete im Zweiten Weltkrieg als Operationsschwester für die Internationalen Brigaden und engagierte sich als Widerstandskämpferin gegen die Nazis. In den 50er-Jahren lebte sie in Karl-Marx-Stadt, später in Berlin und wurde mit der Florence-Nightingale-Medaille des Roten Kreuzes und in der DDR mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze ausgezeichnet.
„Ich war gar nicht vorbereitet"
Völlig unverhofft wurde Abedian im letzten Jahr vom Betriebsrat des Knappschaftsklinikums Sulzbach für die Auszeichnung vorgeschlagen. Eines Tages, als sie Frühschicht hatte, kam sie zurück aus der Pause, und eine Kollegin sagte ihr, dass sie der Vorsitzende des Betriebsrats sie sprechen wolle. Dieser fragte sie, ob sie sich vorstellen könne, für die Medaille nominiert zu werden. „Klar, warum nicht", sagte sie seinerzeit, aber sie dachte nicht ernsthaft daran, dass ihre Nominierung erfolgreich sein würde. Irgendwann im November hörte Amaneh Abedian, dass sie ausgezeichnet werden soll. Sie fiel aus allen Wolken, war in heller Aufregung. „Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, ich war gerade bei der Arbeit", erzählt sie. Geradezu panisch reagierte sie auf diese Nachricht. „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich noch vorher zum Friseur gegangen", sagt sie und lacht. Doch wegen des Lockdowns im November fiel die geplante Zeremonie in der Stummschen Reithalle in Neunkirchen, die später nach Ottweiler verlegt wurde, aus: Stattdessen überreichte ihr Verdi-Pflegebeauftragter Michael Quetting – selbstverständlich unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln – vor dem Eingang der Knappschaftsklinik Sulzbach die Medaille und 500 Euro Preisgeld. Die Laudatio und ein gebuchtes Gitarren-Duo wurden per Video aufgenommen. Die Juroren entschieden sich für Abedian, weil „Solidarität und Mitmenschlichkeit ihr Leben" sei. Ihrer Ansicht nach ist sie eine „Aktivistin der Bewegung gegen den Pflegenotstand und eine glühende Internationalistin". „Die professionelle Pflegefachfrau helfe einzelnen Menschen und ganzen Gruppen, ihr physisches, psychisches und soziales Potenzial zu bestimmen und zu verwirklichen, und zwar in dem für die Arbeit anspruchsvollen Kontext ihrer Lebens- und Arbeitsumwelt. Wie Marta Drumm unterstützt sie Selbstvertrauen und Selbstbestimmung, wie es die Definition der WHO für Pflege verlangt", urteilte die Jury. Und dann erzählt sie ihre bewegende Lebensgeschichte, wie sie in ihrer Heimat, dem Iran, in jungen Jahren politisch aktiv war, wider Willen einen Mann heiratete, in den Untergrund ging, schließlich fliehen musste und nach einem langen Fluchtweg durch die Türkei, Rumänien und Österreich in Deutschland ankam.
Doch der Reihe nach. Im Jahr 1979, als sie elf war, gab es im Iran eine Revolution gegen den letzten iranischen Schah, Mohammad Reza Pahlavi. „Dadurch, dass damals quasi das ganze Land demonstrierte, waren auch viele junge Menschen unter den Protestierenden", sagt sie. Sie verteilte Flugblätter, war in einer kommunistischen Partei aktiv.
Mit elf war sie fest davon überzeugt, dass alle Menschen in ihrem Land genug Geld haben sollten und keiner hungern soll. „Der Iran war damals ein reiches Land. Warum sollte es nur den Reichen gut gehen?" Aber sie stellt auch klar, dass sie sich zur damaligen Zeit nicht wie ein kleines Mädchen fühlte: „Ich fühlte mich wie 20. Ich fühlte mich von den anderen, die gegen den Schah auf die Straße gingen, wahrgenommen und ernst genommen."
Im Iran wurde sie zu einer Heirat gezwungen
Doch nach dem Sturz der Monarchie und dem Ausrufen der Islamischen Republik entwickelte sich ein „Regime, das schlimmer war als unter dem Schah", blickt sie zurück. Viele Oppositionelle und Andersdenkende seien getötet, gefangen genommen oder ins Exil getrieben worden. „Selbst der Sohn unseres Nachbarn, gerade mal 14 Jahre alt, ist erhängt worden", erinnert sich Abedian. Und dabei habe er nicht gegen das Gesetz verstoßen, sondern nur über etwas geredet. „Dann gab es eine lange Phase des Schweigens aufseiten der Oppositionellen", erzählt sie. Leute, die sie kannte, versuchten, in den Untergrund zu gehen, andere gaben auf. „Wir haben es damals zu unserer Aufgabe gemacht, diese Leute wieder zurückzuholen und gegen das Chomeini-Regime zu kämpfen." In der Nacht ging Abedian bei diesen Gleichgesinnten vorbei, klopfte an die Tür, um mit ihnen zu sprechen. „Wir waren naiv, wir machten uns keine Gedanken darüber, wer von denen für das Regime arbeitete", sagt sie. Eines Tages – sie war 17 und hatte gerade das Abitur bestanden – hatte sie sich wieder mit ihren Parteigenossen getroffen. Ihr Geheimversteck war ein abgelegenes Haus mit Garten, von einer kleinen Mauer umgeben. „Wir haben uns nicht gekannt und durften auch nicht viel voneinander wissen." An jenem Tag flog das Versteck auf. Zwar konnte einer, der an der Straße Schmiere stand, die anderen noch warnen. Während die meisten Mitstreiter flohen, blieben Adebian und ihr späterer Ehemann zurück und gaben sich als Liebespaar aus. Zwei große Männer, mit Kalaschnikows bewaffnet, führten das vermeintliche Paar ab und brachten es zum Gefängnis, wo sie eine Nacht ausharren mussten. „Es gab damals im Iran eine Sittenpolizei. Das heißt, eine junge Frau durfte nicht mit Männern reden und umgekehrt." Für sie gab es nur zwei mögliche Entscheidungen: Entweder ihr drohte eine Auspeitschung im Zentrum der Stadt oder sie heiratet den Mann.
Nach der Heirat entpuppte sich ihr Mann als aggressiver Tyrann. „Ich habe damals gedacht, ein Kommunist kann kein schlechter Mann sein." Trotz der schwierigen Beziehung war das Ehepaar weiter im Widerstand aktiv, zog von Rascht am Kaspischen Meer nach Maschhad im Nordosten. Dort mussten sie bald untertauchen, denn man fand ihre Klarnamen heraus, und sie mussten das Land verlassen. „Einer, der uns kannte, war erwischt worden und hatte uns enttarnt." Zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter, die etwa 18 Monate war, flohen sie nach Rumänien. Dort konnten sie aber wegen der unsicheren politischen Lage nicht lange bleiben, also flohen sie weiter in die Türkei. Als ihr Mann dort ausgeraubt wurde, stand die kleine Familie fast mittellos da. „Es blieb mir in dieser Situation nicht viel Zeit zum Nachdenken. Ich musste einfach weitermachen." Für Notfälle wie diesen hatte Abedian 20 Dollar zurückgelegt, mit denen sie sich über Wasser hielten. „Wir mussten mitten im Winter auf der Straße schlafen", erzählt sie. Parteifreunde aus Frankreich schickten den dreien Geld zu, sodass sie einen Schlepper bezahlen konnten. Beinah wäre die Familie nahe der österreichisch-deutschen Grenze auseinandergerissen worden.
„Mehr Wertschätzung für den Pflegeberuf"
Als Amaneh Abedian nachts auf dem Weg zu ihrem Kontaktmann – ihre Tochter auf dem Arm – um ihr Leben rennt, in ständiger Angst entdeckt zu werden, verliert sie auf einmal ihr Kind. Ihre Tochter ruft aber aus Angst nicht nach ihrer Mutter. Trotzdem findet sie in jener Nacht ihre Tochter. Mit einem Auto sollten sie eigentlich nach Schweden gebracht werden, doch in Stuttgart stieg die Familie aus. Über Zwischenstopps in Ingelheim, wo sie drei Wochen in einem Asylbewerberheim wohnte und in der Woche sieben D-Mark Taschengeld erhielt, wurde ihr in Bitburg-Metternich eine Wohnung zugeteilt, sie durfte sich dort nur in einem Umkreis von 20 Kilometern bewegen. Als politischer Flüchtling wurde Amaneh Abedian schließlich anerkannt, fortan durfte sie sich unbefristet in Deutschland aufhalten und erstmals ihren Wohnort frei wählen. „Dadurch, dass viele Freunde unserer Partei im Saarland lebten, sind wir dorthin gezogen."
Über ein Praktikum im Kreiskrankenhaus St. Ingbert lernte sie Deutsch. „Als am Anfang eine Kollegin mit mir geredet hat, wusste ich oft nicht, ob das ein Fachbegriff oder Deutsch ist." Ein paar Jahre arbeitete sie als Pflegehelferin, bis sie eine dreijährige Ausbildung zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin erfolgreich absolvierte. Als es 2017 zu einem Streik gegen den Pflegenotstand am St. Ingberter Kreiskrankenhaus kommt, ist das Verdi-Mitglied ganz vorne mit dabei. Ein Jahr später wechselte sie an die Sulzbacher Knappschaftsklinik. Als aktive Teamdelegierte für ihre Station und für einen Funktionsbereich vertritt sie nach außen die Interessen und Belange der Pflegekräfte. „Mir ist sehr wichtig, dass an den Krankenhäusern mehr Pflegepersonal eingestellt wird, der Pflegeberuf mehr Wertschätzung erfährt und attraktiver wird", sagt sie. Zudem müssten sie und ihre Kollegen immer mehr Aufgaben übernehmen, für die sie eigentlich nicht zuständig sind. So muss ihre Station im Wechsel mit anderen in der Pandemie-Zeit die Triage am Eingang der Klinik übernehmen. Dabei wird unter anderem ankommenden Patienten die Körpertemperatur gemessen und Patienten begleitet.
Erst 2003 schafft sie es, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. „Im Iran haben nur Männer das Recht, sich von ihren Frauen scheiden zu lassen. Nur, wenn der Mann psychisch schwer krank oder massiv drogenabhängig ist, darf das auch eine Frau tun." Nur eine doppelte Staatsbürgerschaft kann sie aus diesem Dilemma befreien und sie sich so ihrem Mann endgültig entziehen. Mehrfach schrieb sie Briefe an Behörden, möchte die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen, doch immer wieder wurde sie vertröstet.
2002 wurde Amaneh Abedian die doppelte Staatsbürgerschaft zuerkannt. Nach der Scheidung schikanierte ihr Ex-Mann sie monatelang, belästigte sie mit Anrufen, drohte ihr sogar damit, sie umbringen zu lassen. Auch wenn sie heute manchmal noch Angst hat, von ihrem Ex-Mann verfolgt zu werden, ist sie eine selbstbewusste, starke Frau und Mutter einer 34-jährigen Tochter: „Für mein Leben brauche ich Demokratie und Freiheit."