Was für ein Anblick! Sage noch einer, in unserer nüchternen Welt der Zahlengläubigen und Dauer-Chatter, Liker und Poster habe die wahre Kunst keinen Platz mehr.
Waren noch in den ersten Februarfrühlingstagen die groben Scheren widerborstigen Winterhecken zu Leibe gerückt, verzaubern nun die Künstler des feinen Schnitts die triste Welt der Langmähnigen in einen lächelnde Kosmos. Ich sollte mich bei meiner Haarpracht in bescheidener Zurückhaltung üben. Das März-Märchen verzauberte aber nur kurz. Schließlich tut uns das Virus nicht den Gefallen, sich angesichts der ersten Vorfrühlingsboten so langsam zurückzuziehen und sich zumindest aufs Übersommern einzustellen.
Im Gegenteil hält es neue Fragen bereit, insbesondere bei mir vor der Haustür direkt an der Grenze, die inzwischen berühmte Freundschaftsbrücke in Blickweite. Die politische Diskussion sorgt für ziemliches Unverständnis. Rußland ist groß und der Zar ist weit weg, lehrt ein russisches Sprichwort. Deutschland ist zwar nicht so groß, aber Berlin ziemlich weit weg. Paris, trotz TGV, allerdings auch. Das war bereits die Lehre vor einem Jahr. Deshalb wundert schon, wie etwas überhastet die jetzigen Maßnahmen in der Region erscheinen, so richtig sie sein mögen. Das Virus, so heißt es, mache an der Grenze nicht halt. Aber warum gibt es wenige Schritte weiter Inzidenzraten, die um so viel höher liegen? Es gab bekanntlich die ganze Zeit so etwas wie einen Friseurtourismus, und in Aldis und Nettos schien insbesondere samstags weiterhin Französisch die Hauptsprache. Nach den Zahlen diesseits und jenseits müsste die südafrikanische Mutation Respekt vor der Grenze haben. Was natürlich Unfug ist. Eine schlüssige Erklärung war aber bislang auch nicht zu finden.
Und so richtig schlüssig ist auch nicht, gleichzeitig mit harten Maßnahmen an der Grenze und, wenn auch leicht, aber zuletzt stetig steigenden Zahlen hierzulande Öffnungsdiskussionen voranzutreiben, ohne die durch weitergehende Aspekte zu begleiten.
Die Corona-App ist in ihrem derzeitigen Zustand keine Hilfe, es gibt längst andere Möglichkeiten, „Luca" ist nur eine davon. Und wer Testen, testen, testen als Leitmotiv ausgibt, kommt um die Frage nicht umhin, welche Möglichkeiten sich für Getestete eröffnen. Was dann ähnlich für Geimpfte zu beantworten ist. Die Fragen sind alles andere als einfach und teils hochbrisant. Aber sie gehören in einer Öffnungsdebatte in diesem Umfeld zwingend auf die Agenda.