Modellregion Saarland, das hört und liest man immer wieder. So auch im Zusammenhang mit Wasserstoff. Der Weg dorthin ist aber noch weit und die automobile Antriebsdiskussion noch nicht abgeschlossen.
Mehr als 40.000 Beschäftigte in der Automobilindustrie, rund zehn Milliarden Euro Umsatz im Jahr – eine der Schlüsselindustrien im Saarland steht vor einem kolossalen Umbruch. Gleiches gilt für die hiesige Stahlindustrie. Da kommt der Hype um den Wasserstoff als Schlüssel zur Mobilität der Zukunft dem Saarland wie gerufen. Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) nennt ihn schon bezeichnenderweise „das Öl des 21. Jahrhunderts" und „Chancenmacher" zugleich.
Das Saarland versucht mit aller Macht, Wasserstoff-Modellregion zu werden, denn in Berlin winken volle milliardenschwere Fördertöpfe, die das Land nur allzu gern anzapfen möchte. Die Voraussetzungen stehen gar nicht mal so schlecht, denn große Industrieunternehmen wie Bosch und Schaeffler in Homburg oder Hydac in Sulzbach haben vielversprechende großindustrielle Wasserstoffprojekte in der Pipeline. Und auch die dringend benötigte Wasserstoffinfrastruktur für die mobile Welt von morgen scheint allmählich in die Gänge zu kommen. Doch der Weg sei steinig, betont Geschäftsführer Armin Gehl von der Autoregion Saar, dem Interessennetzwerk der Automobilindustrie. Zwar sei die erste Wasserstofftankstelle in Saarbrücken-Gersweiler im Bau, aber für eine flächendeckende Versorgung bräuchte das Saarland mindestens fünf davon. „Zwei Jahre sind in Homburg allein durch Genehmigungsverfahren ins Land gegangen, ohne dass etwas passiert ist. Ein unhaltbarer Zustand in puncto Zeit."
Mehr Tempo angesichts der Konkurrenz
Mehr Tempo beim Zukunftsthema Wasserstoff verlangt auch der bekennende Saarländer und Generalsekretär beim Europäischen Dachverband für Wasserstofftechnologien in Brüssel, Jorgo Chatzimarkakis. „Sieben Milliarden Euro hat die Bundesregierung für die Wasserstoffstrategie 2030 eingestellt, plus zwei Milliarden Euro extra für Partnerschaften im Ausland. 70 Prozent der Mittel will Deutschland in diesem und im nächsten Jahr davon ausgeben. Das zeigt den dringenden Handlungsbedarf, wer von dem Kuchen etwas abhaben will", so Chatzimarkakis.
Dass hier mächtig Druck auf dem Kessel ist, macht die Wasserstoffentwicklung in Europa deutlich. Bis 2030 soll ein Netz mit 1.500 Tankstellen in der EU entstehen und 100.000 wasserstoffbetriebene Lkw sollen über Europas Straßen rollen. Sechs EU-Länder haben derzeit eine nationale Wasserstoffstrategie mit einem Fördervolumen von zusammen 46 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, zwölf weitere Länder arbeiten an einer Strategie. Der Chef des Europäischen Dachverbands gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er an die zukünftigen Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff spricht. Allein der Hafen Rotterdam habe über 50 verschiedene Anwendungen von der Herstellung von Derivaten wie synthetische Brennstoffe, Power-to-X, sprich Strom aus erneuerbaren Energien zur Herstellung von Wasserstoff, oder Brennstoffzellen in Nutzfahrzeugen und in der Industrie. Bis 2030 sieht er in der EU rund 350.000 Arbeitsplätze allein auf dem Gebiet der Brennstoffzelle und sogar eine Millionen im gesamten Wasserstoffumfeld. Pipelines von Rotterdam über Belgien ins Saarland oder quer durch Europa könnten den begehrten Stoff hierher transportieren. Die Infrastruktur sei aufgrund der bestehenden Gasnetze vorhanden. Doch diese Euphorie wird gebremst. Obwohl saarländische Industrieunternehmen schon weit fortgeschritten sind, wie das Bosch-Werk in Homburg bei der Entwicklung der Brennstoffzelle oder Hydac International mit zahlreichen praxiserprobten Komponenten in der Wasserstofftechnologie, gibt es auch Wermutstropfen. So hat eines der führenden Technologienunternehmen, Schaeffler Technologies, angekündigt, seine am Standort Homburg erprobten Komponenten für Brennstoffzellen nun doch in Bamberg produzieren zu wollen.
Nichtsdestotrotz fordert die Industrie- und Handelskammer (IHK) Saarland mehr Tempo beim Thema Wasserstoff, um das Saarland im Spitzenfeld zu positionieren. IHK-Geschäftsführer Dr. Carsten Meier will alle im Saarland tätigen Wasserstoffunternehmen sichtbarer machen und die Zielfokussierung auf das Marketing legen, um Fördermittel zu bekommen. Ohne finanzielle Unterstützung des Bundes können die vielversprechenden Wasserstoffprojekte wirtschaftlich nicht vorangebracht werden, so unisono die drei Industrievertreter von Bosch, Schaeffler und Hydac. Das Saarland bringe für die Modellregion Wasserstoff und für die Einrichtung eines Brennstoffzellentechnologiezentrums die Voraussetzungen mit, so Meier weiter. „Wir verfügen im Saarland über die Anwendungsmöglichkeiten, liegen geografisch günstig, wir haben die entsprechende Forschungslandschaft und erfolgreiche Industrieunternehmen, den notwenigen politischen Rückenwind vom Land und gut ausgebildete Arbeitnehmer." Gerade Letzteres könnte sich aber zu einem Problem entwickeln. Dann, wenn sich in rund zehn Jahren der Fachkräftemangel in der Industrie so richtig bemerkbar mache, warnt der Fertigungsleiter Brennstoffzelle vom Boschwerk in Homburg, Dr. Michael Reinstädler, vor zu viel Euphorie. Auch Chatzimarkakis sieht eine gewisse Gefahr, dass Deutschland und Europa den mühsam erarbeiteten Vorsprung in der Wasserstofftechnologie schnell an China verlieren. Das Beispiel Solarenergie sollte allen eine Warnung sein. China hat bei Photovoltaik den einst führenden Deutschen ganz schnell das Licht ausgeknipst. Und die chinesischen Ziele klingen ehrgeizig. So sollen bei den Olympischen Winterspielen 2022 die Spielorte zum Beispiel per mit Wasserstoff betriebenen Bussen verbunden werden. „Die Chinesen arbeiten mit Hochdruck daran und machen ungemein Tempo."
Gebremste Euphorie
Hinzu kommt in Deutschland und insbesondere im Saarland die verstärkt aufkommende Diskussion um die richtige Technologie bei der Mobilität der Zukunft. Fahren wir künftig verstärkt elektrisch, mit Wasserstoff oder hat der Verbrenner doch noch eine längerfristige Überlebenschance? IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Frank Thomé plädiert für die Technologieoffenheit, denn „letztendlich entscheidet darüber der Kunde". Die Fachleute sehen die Vorteile beim Wasserstoff im Einsatz von Nutzfahrzeugen schon allein wegen der Reichweite und der hohen zu transportierenden Lasten. Batterietechnik sei eher für den urbanen Bereich mit Kurzstrecken geeignet. Und so ganz abschreiben will man die Verbrenner dann doch nicht, zumal die Debatte um den Einsatz von alternativen Brennstoffen an Fahrt gewinnt. Armin Gehl sieht Vorteile des Wasserstoffs auch beim ÖPNV. Bis 2030 könnten die Busse im Saarland CO2-neutral fahren und die Hälfte der Flotte auf Wasserstofftechnologie umgestellt sein. Der Traum vom Wasserstoff im Saarland klingt realistisch. Die Weichen sind gestellt. Jetzt muss der Traum Gestalt annehmen.