Die Schiene bleibt das Rückgrat: Der neue Verkehrsentwicklungsplan für den öffentlichen Nahverkehr im Saarland verspricht eine neue Ära, so Verkehrsministerin Anke Rehlinger. Das Potenzial dafür ist da, aber es muss buchstäblich auf die Schiene, so der Verkehrsclub Deutschland.
Geil findet die Verkehrsministerin den Plan laut eigener Aussage. Ein „Mehr an Mobilität" für das Saarland soll er bieten, ein „Aufbruch" für das Land soll er sein: der Verkehrsentwicklungsplan Öffentlicher Personennahverkehr (VEP ÖPNV). Große Worte, die sich an der Realität messen lassen müssen – aber Anke Rehlinger ist da zuversichtlich. Dabei folgt der aktuelle VEP grundsätzlich einer Linie des Plans aus dem Jahr 1998 in einem wesentlichen Punkt: die Schiene soll das Rückgrat einer neuen öffentlichen Verkehrsentwicklung sein.
Ende der 90er-Jahre versprach der damalige Plan den Bau der Stadtbahn Saar, um deren Strecken und Taktung herum der Bus- und Bahnverkehr angepasst werden sollte. Die Attraktivität des gesamten öffentlichen Verkehrs sollte gesteigert und damit seine Akzeptanz erhöht werden – mithilfe der Kriterien Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit, Sozialverträglichkeit und natürlich Finanzierbarkeit. Außerdem sollte so die Erreichbarkeit von Saarbrücken aus dem umgebenden ländlichen Raum gesteigert werden und Mittelzentren besser untereinander und mit der Hauptstadt verbunden werden. Acht Prozent der Wege, die die Menschen im Saarland zurücklegten, legten sie zu jener Zeit mithilfe des ÖPNV zurück. Dieser sogenannte Modal Split sollte also erhöht werden.
In der Realität ist dies heute aber nur in Teilen gelungen. Die Saarbahn wurde gebaut, Verkehrsplaner integrierten sie in die Taktungen des Schienennahverkehrs und des Busverkehrs. Alles zusammengerechnet kommt der ÖPNV aber bislang nur auf einen Modal-Split-Wert von zehn Prozent, so der jüngste Bericht „Mobilität in Deutschland" aus dem Jahr 2017. Mit anderen Worten: Das Saarland ist Autoland geblieben. In rund 20 Jahren seit dem VEP 1998 hat sich hier fast nichts verändert.
Tarifsystem ab Juli verbessern
Die Verkehrswende stockt. „Weil das Land 20 Jahre lang verkehrspolitisch fast nichts getan hat: keine Strecken reaktiviert und kaum Haltepunkte zusätzlich gebaut hat", so das Urteil von Werner Ried vom Vorstand des Verkehrsclubs Deutschland im Saarland, nach dem Bau der Saarbahn gab es „nur ein bisschen Fahrplankosmetik". Den aktuellen Verkehrsentwicklungsplan hält er jedoch für richtungsweisend. „Der vorliegende Bericht ist umfangreich, geht auf viele Studien ein, hat eine Tiefe und Breite, die man loben muss." Dennoch kritisierte Ried vor allem, dass – wie im VEP von 1998 – kein Zielwert angegeben ist. „Der neue Plan lässt offen, wohin wir wollen, bleibt in vielem vage und im Konjunktiv wie ein Katalog unverbindlicher Maßnahmen." Das betrifft insbesondere den zukünftigen Anteil der Verkehrsträger, den Modal Split. Der neue VEP möchte zwar den Modal Split für den ÖPNV erhöhen, doch wiederum ohne Angabe eines Zielwertes. Luxemburgs Strategie zum nachhaltigen Verkehr von 2012, die 2018 überarbeitet wurde, ging da beispielsweise andere Wege und setzte sich Ziele, „aus denen sich die zu treffenden Maßnahmen ableiten".
Eine Maßnahme, die im Saarland allerdings sehr schnell umgesetzt werden soll, ist die Vereinfachung des Tarifsystems. Die Webseite der Saarbahn benötigt derzeit die unübersichtliche Wabenkarte sowie komplexe Beispiele, um dem Leser das Wabensystem in Verbindung mit der „Großwabe" Saarbrücken zu erklären. Mit dem nun vom Ministerrat verabschiedeten VEP hat das bestehende Wabensystem ausgedient. Diese Reform, so die Verkehrsminister in, soll bereits ab 1. Juli stattfinden: weniger Tarifstufen, bessere Angebote für Gelegenheitsnutzer und Senioren sowie saarlandweite Flatrates für Schüler und Azubis sollen das Angebot transparenter und weniger kompliziert machen. Das bereits eingeführte Jobticket gehört ebenfalls zum Paket dazu. Wegen der Pandemie wurde der gesamte Start nun auf den 1. Juli verschoben.
Zweiter Schritt: Machbarkeitsstudien für die Reaktivierung von Bahnstrecken. Auch dies wurde in der Vergangenheit vielfach diskutiert, denn noch immer gibt es nach dem Rückzug der Deutschen Bahn aus der Fläche brachliegende oder nur von Museumsbahnen befahrene, vielversprechende Gleisabschnitte im Land. Diese ragen in Regionen hinein, die bislang vom schnellen Schienen-ÖPNV abgehängt sind, beispielsweise die Strecken Merzig-Losheim, Saarlouis-Schmelz-Wadern oder Homburg-Blieskastel. In Verbindung einer erweiterten Saarbahn-Trasse bis nach Überherrn und Großrosseln könnte hier ein engmaschigeres und damit schneller getaktetes regionales Schienenverkehrsnetz entstehen. Dies muss einer wichtigen Anforderung genügen: schneller, komfortabler und günstiger als das Auto zu sein, denn dieses Verkehrsmittel gilt es vor allem in den Augen der Saarländer zu schlagen.
Wie müsste dieses Netz aussehen? „Zunächst mal brauchen wir für die meisten Maßnahmen keine Machbarkeitsstudien mehr", erklärt VCD-Vorstand Ried, „und zwar für Strecken, die schon da sind, wie die Primstalstrecke. Diese müssen lediglich repariert und vorbereitet werden". Bahnhöfe wie in Rentrisch in die Ortsmitte zu verlegen benötige ebenfalls keine groß angelegten Studien, so Ried, „man kann es einfach machen", dazu sei das Investitionsbeschleunigungsgesetz des Bundes eine prima Rückendeckung.
Zweitens vermisst Ried mehr Haltepunkte für die Bahn. Zwar seien wichtige neue Haltepunkte, darunter auch der Bahnhof Zoo am Saarbrücker Halberg, in dem Papier enthalten, aber andere, wie etwa am Deutsch-Französischen Garten, eben nicht.
Zu kurz komme auch der grenzüberschreitende Verkehr. Hier habe der Eurodistrict Saar-Moselle bereits 2015 eine umfangreiche Machbarkeitsstudie vorgestellt. „Unsere Nachbarn wollen diesen öffentlichen Verkehr über die Grenze hinweg." Den schwarzen Peter Richtung Nachbarn zu schieben und zu sagen, Luxemburg wolle nicht über die Reaktivierung der Niedtalbahn nachdenken, zähle nicht, sagt Ried. Dabei wächst die Unterstützung auch von französischer Seite: Der Präsident des Départment Moselle, Patrick Weiten, macht sich nun ebenfalls für die Niedtalbahn stark.
Bahnstrecken reaktivieren
Nach dem Ausstieg aus der Bahn geht es in vielen ländlichen Regionen des Saarlandes nur noch mit dem Bus weiter. Dabei stützt sich die Bahn vor allem auf das R-Linien-Netz, das bislang gute Dienste geleistet hat. Verstärkt werden soll dies nun durch einen sogenannten Plus-Bus, der Strecken anbindet, die bisher nicht von der Schiene erschlossen werden. „Ziel ist es, die Plus-Busse in Anschlussbeziehungen mit dem Schienenverkehr zu integrieren und hiermit weite Teile des Saarlandes an die Verbindungen des Schienenverkehrs anzubinden", heißt es im Protokoll eines Bürgerdialoges zum Verkehrsentwicklungsplan – ein auf die Straße verlängertes Schienennetz. Die Plus-Busse sollen täglich im Grundtakt mit gleichen Abfahrtsminuten fahren, auch in den Abendstunden und am Wochenende. Für Pendler soll ein Expressbus-System entstehen, das vor allem den Pendlerverkehr auf der Straße entlasten soll.
Zusätzlich will die Verkehrsministerin den Blickwinkel auf die Haltestelle verändern. Sie sollen „Mobilitätsstationen sein, barrierefrei, verkehrsübergreifend", sprich Umsteigestationen nicht nur für Bahn und Bus, sondern auch fürs Zweirad. Das Ziel sei, jeden Saarländer per ÖPNV in einer halben Stunde zu seinem Ziel zu bringen.
Kosten soll dies 355 Millionen Euro bei Betriebskosten von 20 Millionen Euro pro Jahr, erwartet werden so 20.000 Fahrgäste mehr pro Tag. Einen Großteil der Investitionskosten zahlt der Bund aus den Mitteln gemäß des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes.
Der Verkehrsclub hält diese Prognose für realistisch. Werner Ried: „Wir können sogar noch mehr erhalten, denn das haben Prognosen dieser Art bereits gezeigt: Sie wurden in der Regel übertroffen."