„Paris, Berlin – wir haben ein Problem!". Die erneute unabgestimmte Vorgehensweise zwischen den nationalen Regierungen an der deutsch-französischen Grenze stellt die viel beschworene Freundschaft auf eine extreme Belastungsprobe und Europa vor Fragen.
Nach den bitteren Erfahrungen vor einem Jahr sorgen die Vorgänge an der deutsch-französischen Grenze erneut für Ärger. Dabei geht es um viel mehr als nur um Deutschland und Frankreich: um ein starkes Europa der Regionen, das in den nationalen Fallstricken in eine ungewisse Zukunft stolpert. Da wirkt das lobenswerte Engagement der lokalen und regionalen Politiker im Saarland und im Département Moselle, sei es in Form des Eurodistricts oder des Ausschusses für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, leider wie ein zahnloser Tiger, denn über nationale Grenzen entscheiden nun mal Berlin und Paris.
Als hätten sie aus einem Jahr Pandemie und Grenzschließungen nichts gelernt, werden par ordre du mufti das Département Moselle als Virusvariantengebiet erklärt und eine Verschärfung der Einreisebestimmungen nach Deutschland angeordnet. Die Antwort aus Paris wird nicht lange auf sich warten lassen. Ob nun die Abgeordneten der Französischen Nationalversammlung, Dr. Christophe Arend und Nicole Trisse, der amtierende Präsident des Eurodistricts Saar-Moselle, Bürgermeister Gilbert Schuh, der Vizepräsident, Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt, der Präsident des Regionalrats Grand Est, Jean Rottner, Staatssekretär Roland Theis oder Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger: Sie alle eint der Frust und die tiefe Enttäuschung über die Verschärfung der Einreisebestimmungen, die de facto einer Grenzschließung light gleichkommen. Denn die verpflichtende Vorlage eines 48 Stunden alten negativen Corona-Tests für jegliche Grenzüberschreitung in beide Richtungen macht die Fahrt ins jeweilige Nachbarland zu einem zeitaufwendigen und bürokratischen Hindernislauf. Für den Alltag in der Grenzregion völlig unpraktikabel. Zwar rühmt sich die Bundesregierung damit, dass die Grenzübergänge offiziell geöffnet seien, was formal stimmt, aber es gibt eine Form der Schleierfahndung im Hinterland, die den Eindruck erweckt, Einreisen ins Nachbarland wären gefährlich oder gar ein Verbrechen.
Nichts gelernt aus Pandemie und Grenzschließungen
„Die nationalen Regierungen mit ihren entsprechenden Verwaltungen wissen nicht, wie das grenzüberschreitende Zusammenleben in Europa funktioniert", klagt Christophe Arend. Das beginnt bereits bei der Sprache, wenn deutsche und französische Politiker der nationalen Ebene die jeweilige Sprache des Nachbarn nicht beherrschen und das Englische herhalten muss. „Feinheiten und Zwischentöne gehen verloren. Da wird schon mal Oberrhein mit Haut Rhin übersetzt, ohne genau zu wissen, dass Haut Rhin ein Département und für Franzosen etwas ganz anderes ist", so Arend. Teilweise fehle es an interkultureller Kompetenz.
Doch auch Frankreich tut sich schwer, wenn es um das Europa der Regionen geht. Schließlich steht die Souveränität des französischen Staatsgebiets in der nationalen Verfassung an höchster Stelle. „Hochrangige französische Staatsbeamte tun sich sehr schwer, zum Beispiel im Aachener Vertrag, oder Elysées 2.0 genannt, den Begriff Eurodistrict in einem Vertragswerk überhaupt aufzunehmen. So etwas rührt an den nationalen Kompetenzen", so Arend weiter.
Es sieht nach einem Crashtest für die deutsch-französische Freundschaft aus. Schon wieder. Will man womöglich gar kein grenzenloses Europa, das Spitzenpolitiker dies- und jenseits des Rheins in ihren Sonntagsreden gern propagieren? „Wenn schon die Zusammenarbeit in der Pandemie scheitert, wie sollen erst die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beispielsweise beim Klimawandel, bei der Energiewende, bei der Digitalisierung oder bei Migrationsfragen auf europäischer Ebene gemeistert werden?", fragt Christophe Arend. „Europa entscheidet sich nicht in Berlin, Paris oder Brüssel, sondern in den Grenzregionen." Grenzüberschreitendes Leben, Arbeiten und Wohnen sind zu einer Selbstverständlichkeit im Saarland und in Lothringen geworden. Viele Freundschaften auf unterschiedlichen Ebenen sind entstanden, die nun erneut einer harten Belastungsprobe unterzogen werden. „Frankreich und Deutschland verfolgen eine jeweils andere Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Diese beiden Strategien prallen in der Grenzregion aufeinander", gibt Arend einen Erklärungsversuch. „Frankreich legt einen diametralen Ansatz zugrunde, testet zwei- bis dreimal mehr als Deutschland und bietet allen Franzosen einen kostenlosen PCR-Test mit Ergebnis innerhalb von 24 Stunden an, Antigen-Schnelltests sind in Frankreich so gut wie nicht verbreitet, sollen aber zwischen dem Saarland und Lothringen gegenseitig anerkannt werden. Deutschland verfolgt dagegen eine Null-Covid-Strategie und PCR-Tests kosten bis zu 80 Euro."
Doch was vielmehr beunruhigt als die unterschiedlichen Strategien sind der Populismus und mögliche Manipulationen im Hinblick auf die anstehenden Wahlen in den nächsten beiden Jahren in Frankreich und in Deutschland. Der Rassemblement National um Marine Le Pen bringt sich schon mal in Stellung, um den bei seinen Landsleuten inzwischen extrem unbeliebten Staatspräsidenten Emmanuel Macron im April/Mai nächsten Jahres abzulösen. Und auch der einst in Forbach für den Front National angetretene Kandidat Florian Philippot und heutige Vorsitzende der Partei Les Patriotes stößt ins gleiche Horn. In seinem Buch „Frexit" beschreibt er, wie die Franzosen unter dem angeblichen Joch von Brüssel leiden und dass es die Deutschen seien, die in Krisen die Grenzen als Erste schließen. Pikant: Das Buch stammt aus dem Jahr 2018. Die Grenzschließung vor einem Jahr ging von Deutschland aus. „Das ist Wasser auf die Mühlen der Populisten. Solche Thesen verfangen, und wir wissen selbst, wie stark die extreme Rechte allein in Lothringen bei vergangenen Wahlen immer abgeschnitten hat und wie knapp die Ergebnisse jeweils waren", warnt Arend vor den Folgen nationaler Alleingänge. Da könnten die durchaus vorzeigbaren Erfolge des Eurodistricts der letzten zehn Jahre etwa bei der Entwicklung der grenzüberschreitenden Mobilität, der Förderung der Zweisprachigkeit, bei gemeinsamen Tourismusinitiativen oder dem Projekt „Blaues Band" entlang der Saar schnell in Vergessenheit geraten. Das Schicksal droht auch der Arbeit nach zwei Jahren Aachener Vertrag wie der Einrichtung des deutsch-französischen Bürgerfonds, dem deutsch-französischen Zukunftswerk oder dem Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
Wasser auf die Mühlen der rechten Parteien
Auch in den Medien wird die Sprache martialischer. So war in der Ausgabe Ende Februar der Regionalzeitung „Le Républicain Lorrain" auf der Titelseite von „Berlin cible la Moselle" – Moseldépartement im Visier von Berlin – zu lesen, oder es ist die Rede ist von Schleierfahndungen wie bei der Bekämpfung von Schwerverbrechern. Verbale Abrüstung wäre auch ein Schritt in die richtige Richtung.
„Das Konzept Europa kann in unserer Region klappen oder scheitern. Noch haben wir die Chance, aus Saar-Moselle die erste grenzübergreifende deutsch-französische Metropole in Europa zu schaffen. Wir müssen es aber auch wollen", so die Vision für Saar-Moselle von Christophe Arend.