Seit 30 Jahren lebt sie in Deutschland. Trotzdem soll Farah Demir aus Hameln, bewährte und geschätzte Pflegekraft auf der Covid-19-Intensivstation an der Medizinischen Hochschule Hannover, mitten in der Corona-Pandemie abgeschoben werden.
Sie leben mit der Angst davor, dass jeden Tag alles vorbei sein könnte. Dass plötzlich die Polizei vor ihrer Tür steht und sie einfach mitnimmt. Um sie abzuschieben, zurück in das Land, aus denen sie einst geflüchtet waren. Die Betroffenen haben kaum eine Chance, sich zu wehren. Denn Abschiebungen geschehen meistens lautlos, möglichst nachts und unauffällig, ohne, dass davon jemand Notiz nimmt, oder gar die Öffentlichkeit davon erfährt. Es sind nicht selten inzwischen gut integrierte, berufstätige Frauen und Männer, die in Deutschland nur geduldet sind, ohne Perspektive, dauerhaft bleiben zu dürfen. Unter ihnen sind beispielsweise Fachkräfte, die in der Pflege dringend gebraucht werden, gerade jetzt in Pandemie-Zeiten.
Wegen der „besonderen Härte" hatte Pro Asyl bereits im März vergangenen Jahres gefordert, angesichts der Corona-Pandemie alle Abschiebungen auszusetzen. Günter Burkhardt, Mitbegründer und Vorstandsmitglied von Pro Asyl, hat beobachtet, dass geradezu das Gegenteil praktiziert wird und die Innenbehörden Abschiebungen vielmehr forcierten.
Auch sie hat es getroffen, die Hiobsbotschaft kam kurz vor Weihnachten: Farah Demir (36) aus Hameln, an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) als bewährte Pflegefachkraft auf der Covid-19-Intensivstation tätig, im Kollegenkreis geliebt und geschätzt, war geschockt, nachdem sie im Kreise ihrer Angehörigen ein Schreiben der Ausländerbehörde zur Kenntnis genommen hatte, in dem ihr ultimativ die Abschiebung angedroht wurde. Obwohl sie in Deutschland aufgewachsen ist, seit mehr als 30 Jahren hier lebt, beruflich und gesellschaftlich voll integriert ist.
Der Personalrat der Klinik ist empört
Der Grund: Demir konnte bislang ihre Herkunft nicht nachweisen, keinen gültigen Pass ihres Heimatlandes vorlegen. Denn als Zweijährige war sie mit ihrer Familie aus dem Libanon geflüchtet, dabei waren damals wichtige Dokumente, mit denen sie ihre Identität hätte nachweisen können, verloren gegangen. So galt sie in der Bundesrepublik als Staatenlose, wurde deshalb nur geduldet in ihrer neuen Heimat, bekam lediglich eine Aufenthaltserlaubnis, die bis 2006 noch unbefristet war.
Im Jahr 2014 allerdings wurde diese von der Ausländerbehörde zurückgenommen, nachdem diese einen Auszug aus dem türkischen Personenregister entdeckt hatte, auf dem die Namen aus Demirs Familie standen. Die Folge: Das Aufenthaltsrecht wurde ungültig und Farah Demir war es nicht möglich, in den Libanon zu reisen, um sich einen neuen Pass zu besorgen oder ihre Geburtsurkunde amtlich bestätigen zu lassen.
Farah Demir bekam für sie überraschend kurz vor Weihnachten die Aufforderung von der Ausländerbehörde: Bis zum 20. Dezember müsse sie entweder gültige Dokumente vorlegen oder aber das Land verlassen.
Für Nils Hoffmann, Personalrat an der MHH, ist das Verhalten der Behörde „beschämend", empört er sich und fordert: „Der Bund muss dringend die Migrationsgesetze anpassen und ändern, damit langjährige Migranten, die hier arbeiten und integriert sind, fest in Deutschland bleiben können."
Nachdem Hoffmann sich vor seine Mitarbeiterin gestellt und sich über die Medien bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn oder auch den zuständigen niedersächsischen Behörden für das Bleiberecht von Farah Demir eingesetzt und eine Petition an Bundesinnenminister Horst Seehofer initiiert hatte, die zwischenzeitlich mehr als 17.000 Menschen unterschrieben haben, kam Bewegung in den Fall. „Zwischenzeitlich hat ein Termin im niedersächsischen Innenministerium stattgefunden – mit dem Ergebnis, dass Frau Demir vorerst nicht abgeschoben wird. Die Ausländerbehörde hat eingelenkt und die Duldung jetzt bis zum 31. März verlängert", freut sich Nils Hoffmann über den Erfolg der Bemühungen. „Jetzt hoffen wir, dass durch das gerichtliche Verfahren eine Bleibeperspektive geschaffen wird." Das Ministerium habe Farah Demir jetzt Unterstützung angeboten, damit sie ihre Situation klären könne. Hannovers ehemaliger Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, Mitglied der Härtefallkommission, hat sich laut Nils Hoffmann dafür eingesetzt, dass Farah Demir in Deutschland bleiben darf. Farah Demir, die keine eigenen Kinder hat, will ihre Duldung schließlich „nicht vererben", wie sie sagt. Ein jahrelanges Ringen um ihr Bleiberecht, das Einschalten verschiedener Institutionen, Ministerien oder Härtefallkommissionen hat Farah Demir belastet, ihr unzählige schlaflose Nächte bereitet. Dass die Klinik so hinter ihr stehe, mache sie stolz, und dass viele Menschen ihr Mut zugesprochen hätten, habe ihr die Kraft gegeben, weiterzukämpfen. Als Fachkraft in der Pflege ist Farah Demir für die MHH unverzichtbar, nicht allein aufgrund des Fachkräftemangels, sondern auch, weil sie hier einen wertvollen Beitrag zur Gesundheitsförderung der Bevölkerung leiste, wie in der Petition hervorgehoben wird. Farah Demir hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie als Intensivschwester mitfühlend für betroffene Patienten eingesetzt. „Für den Pflegeberuf habe ich mich ganz bewusst entschieden, um Menschen helfen zu können", sagt sie. Eines Tages auf einer Intensivstation arbeiten zu können, das sei ihr Ziel gewesen.
Trotz all ihrer Bemühungen und Versuche hat sie es aber bisher nicht schaffen können, ihre Herkunft nachzuweisen, immer wieder stieß sie dabei auf unüberwindliche Hürden. Doch sie hat all das überstanden, die Solidarität von Mitmenschen und die Unterstützung durch ihre Kolleginnen und Kollegen haben ihr Kraft gegeben, durchzuhalten. Sie hofft, dass sie bald eine gute Nachricht erhält und in dem Land bleiben darf, in dem sie aufgewachsen ist, dass sie ihre Heimat nennt – für immer.
Sie hat sich selbst mit dem Virus angesteckt
„Gerade in Zeiten wie diesen ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum eine Fachschwester für Beatmung und Intensivpflege aus der MHH abgeschoben werden soll", sagt die Unternehmerin im Pflegebereich Jasmin Arbabian-Vogel, die auch Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen ist. Es dürfe nicht sein, dass „Menschen, die wir dringend in Deutschland brauchen, abgeschoben werden, nur weil sie aus Drittstaaten kommen oder es keine verlässlichen Geburtsurkunden gibt", äußert sie die Hoffnung, dass die Politik beziehungsweise der Gesetzgeber dafür sorgen, dass so etwas künftig nicht mehr vorkommt. Auch sie hatte sich für eine ihrer Mitarbeiterinnen eingesetzt und den gerichtlichen Weg beschritten. „Bei unserer Mitarbeiterin haben wir den gerichtlichen Weg beschritten. Die Landeshauptstadt Hannover wollte den Abschiebe-Bescheid nicht zurücknehmen, da die Mitarbeiterin „die letzten 18 Monate nicht im Lohnerwerb war".
Ihre Pflegekraft sei seit acht Monaten in ihrem Unternehmen fest angestellt. Zuvor habe sie eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. „Die Ausbildungszeit erkennt die Behörde nicht im Sinne einer Erwerbsarbeit an. Dies sehen wir anders und haben vor Gericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, um den Klageweg beschreiten zu können". Das Gericht habe den Antrag angenommen. „Wir hoffen, dass durch das gerichtliche Verfahren eine Bleibeperspektive geschaffen wird."
Sowohl Arbabian-Vogel als auch Hoffmann sind in ihrer Berufspraxis bereits mehr als einmal mit „ähnlichen Fällen" wie dem geschilderten konfrontiert worden. In Deutschland leben schätzungsweise mehr als 200.000 Menschen schon lange hier und sind dennoch nur „geduldet". Ob sie hier eine Zukunft beziehungsweise dauerhafte Heimat haben werden, ist ungewiss – denn auch über ihnen schwebt das „Damoklesschwert" einer jederzeit möglichen Abschiebung.
Farah Demirs Kollegen an der MHH und alle, die sie unterstützen, hoffen, dass sie bleiben darf, auch über den 31. März hinaus. Aktuell erholt sich die Hamelnerin gerade von ihrer Erkrankung: Sie, die sich tagtäglich unermüdlich um Covid-19-Patienten auf der Intensivstation gekümmert hat, infizierte sich selbst mit dem Virus: „Sie ist auf dem Weg der Besserung", sagt MHH-Personalrat Nils Hoffmann. Demnächst solle es einen Termin im niedersächsischen Innenministerium geben, mit dem Ziel, dass Farah Demir in Deutschland bleiben kann.
„Wir brauchen bei uns mehr Pflegekräfte wie Farah Demir, nicht nur an der MHH", äußerte sich Thilo Jahn, Sekretär der Gewerkschaft Verdi im Bezirk Hannover-Heide-Weser, zum Fall der Hamelner Pflegefachkraft: Farah Demir die dauerhafte Trennung von ihrer Familie und dem Freundeskreis anzudrohen, empfinde er nur als „menschenverachtend". Demir, der die Ausländerbehörde angekündigt hatte, ihr die Arbeitserlaubnis zu entziehen und sie gegebenenfalls in Sicherheitshaft zu nehmen: „ Sie sollen aufhören, mich und meine Familie zu jagen. Wir haben nichts angestellt."