Der amerikanische Schauspieler Tom Hanks ist vielseitig. Zunächst schien jedoch eine Rollenfest-legung sein Talent einzuschränken. Ein Blick auf die Karriere des zweifachen Oscarpreisträgers.
Am Stadtrand von Genf liegt das Hightech-Nuklear-Forschungszentrum Cern: einer der wenigen Orte auf unserem Planeten, an dem es gelang, Antimaterie nachzuweisen. „Ist das nicht fantastisch?", meint der sympathische Mann im gelben Ölzeug und mit rotem Sicherheitshelm, als er von einer unterirdischen Plattform aus den LHC-Teilchenbeschleuniger bestaunt. Der Mann ist Tom Hanks. Er ist vor Ort auf Presse-Tour für den Thriller „Illuminati", in dem er den Semiotik-Experten Robert Langdon spielt. Begeistert fährt Hanks fort: „Das ist das Verrückteste, was ich je gesehen habe! Ein Tropfen dieser Antimaterie genügt, um New York einen ganzen Tag lang mit Energie zu versorgen." In diesem Augenblick ist Tom Hanks nicht der millionenschwere Hollywood-Superstar, sondern einer von uns. Seine liebenswürdige Art ist nicht gespielt, sondern echt. Man spürt sofort: Der Mann ist wirklich so, wie er sich gibt. Absolut authentisch. Genau diese Offenheit macht ihn auch in seinen Filmen so nahbar. Er ist der Gute, der Freund, der Vertraute mit dem Daddy-Appeal – dem man von Herzen wünscht, dass er es schafft. Und dem man sehr gerne dabei zuschaut, wie er es schafft. Meist spielt er einen ganz normalen Menschen in gar nicht so normalen Umständen. Heraus-gerissen aus seiner Komfortzone muss er kämpfen, sich beweisen. Das macht er mit atemberaubender Leichtigkeit. Und geht dabei voll und ganz in seiner Rolle auf. Kult-Regisseur Steven Spielberg hat mit Hanks fünf Filme gedreht (darunter „Der Soldat James Ryan") und wundert sich noch heute, wie Hanks das meistert: „Tom ist vor dem Dreh völlig entspannt. Er schwatzt und scherzt mit allen Umstehenden noch bis kurz vor seinem Auftritt. Und wenn ich dann ‚Action‘ rufe, ist er sofort total auf dem Punkt."
„Sofort total auf dem Punkt"
Diese chamäleonartige Verwandlungskunst ist selten, denn manch andere Hollywoodstars spielen oft nur noch sich selbst. Hanks ist da anders. Mutiger. Nach wenigen Minuten in „Philadephia" ist er der an Aids erkrankte schwule Anwalt. Oder der Einfaltspinsel mit dem Herzen am rechten Fleck in „Forrest Gump". Für beide Rollen bekam er den Oscar als bester Hauptdarsteller. In „Cast Away – Verschollen" ist er der auf einer Südseeinsel einsam gestrandete, moderne Robinson Crusoe und freundet sich dort mit einem Basketball an, den er „Wilson" nennt. Er ist in „Sully" der heldenhafte Pilot, der ein Passagierflugzeug sicher auf dem Hudson River in New York notwassert. So viele unvergessliche Rollen machen Tom Hanks in seiner 40-jährigen Karriere zu einem der profiliertesten Charakterdarsteller im Filmbusiness. Eine Ikone eben.
Auch in „Neues aus der Welt", einem bildgewaltigen Western, überzeugt er wieder voll und ganz (siehe Seite 84). Als Kriegsveteran Captain Kyle Kidd reitet er – mit weißem Vollbart und breitkrempigem Hut – fünf Jahre nach dem Sezessionskrieg durchs wilde Texas. Dort findet er das Waisenkind Johanna – packend gespielt von Helena „Systemsprenger" Zengel. Er nimmt das unter Indianern aufgewachsene Mädchen unter seine Fittiche, um es zu weißen Verwandten zu bringen. Mutig rettet er sie vor einem grausamen Schicksal. Auch als prärietauglicher Held verkörpert Hanks den personifizierten guten Amerikaner. Aber immer unaufgeregt und ohne jegliches Pathos. Besonders die Sensibilität, mit der sich Hanks auf seinen zwölfjährigen deutschen Co-Star einlässt, ist der emotionale Dreh- und Angelpunkt des Films. Viele von seinen Kollegen schwärmen davon, wie selbstlos er vor der Kamera agiert, darunter Julia Roberts: „Tom ist jemand, der beim Drehen immer alles gibt und hilft, wo er nur kann. Dadurch hat er auch meine Performance deutlich verbessert."
Die Kino-Karriere von Tom Hanks begann Mitte der 1980er in Komödien wie „Splash – Eine Jungfrau am Haken", „Big" und „Scott & Huutsch" – und trotz Typecasting hat er sich nie wirklich vereinnahmen lassen. Hanks erinnert sich: „Es hat lange gedauert, bis ich in Hollywood nicht mehr als Mr. Nice Guy abgestempelt wurde. Bis man endlich merkte, dass man mich auch anders besetzen konnte als in netten Familienfilmen oder romantischen Komödien mit Happy End." Und lachend fügt er hinzu: „Viele sind wohl nie über ‚Schlaflos in Seattle‘ hinweggekommen. Ich sehe mich jedenfalls weder als komischen noch als romantischen Schauspieler. Ich bin Schauspieler! Gott sei Dank sind die Rollenangebote in den letzten Jahren deutlich besser geworden."
Erfrischende Geradlinigkeit
Und seine Rollen wurden vielschichtiger, mitunter sogar dunkel. Tom Hanks kann nämlich mehr, als nur der nette Typ zu sein. Er kann auch ganz anders. In „The Green Mile" setzt er Menschen eigenhändig auf den elektrischen Stuhl. In „Road to Perdition" mäht er John Rooney, den Boss einer irischen Gangsterbande, gespielt von Paul Newman, mit dem Maschinengewehr nieder, in „Der Krieg des Charlie Wilson" kokst, hurt und säuft er, was das Zeug hält. Also muss man ihn einfach fragen: „Wissen Sie eigentlich, dass George Clooney sich wünschte, Sie wären tot?" Tom Hanks amüsiert sich: „Ja, Regisseur Mike Nichols hat es mir erzählt. Der gute George hätte für sein Leben gern Charlie Wilson gespielt. Und als er von Mike erfuhr, dass ich Charlie sein werde, hat er wohl diesen unfrommen Wunsch geäußert."
Dabei gehört Hanks nicht zu denen, die potenzielle Konkurrenten mit allen Mitteln ausbooten wollen. „Ich bin ganz sicher kein Karriere-Hengst. Ich habe aus Liebe zur Schauspielerei diesen Beruf ergriffen und nicht etwa, weil ich reich und berühmt werden wollte." Im Interview ist Tom Hanks von erfrischender Geradlinigkeit. Star-Allüren sucht man bei ihm vergebens. Er antwortet schnell, pointiert, manchmal scharfzüngig. Und er ist selbstironisch – immer ein sicheres Zeichen für Intelligenz. Auch mit seinen 64 Jahren hat er sich den jugendlichen Charme und die Begeisterungsfähigkeit bewahrt: „Ich bin noch immer neugierig aufs Leben. Und ein hoffnungsloser Optimist." Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Ich hatte ja, wie Sie vielleicht wissen, eine ziemlich traurige Kindheit und einen dramatischen Fehlstart ins Eheleben, Scheidung inbegriffen. Aber seit über 33 Jahren bin ich glücklich verheiratet mit Rita und wir haben zwei wunderbare Söhne. (Die US-Schauspielerin Rita Wilson lernte er 1985 bei Dreharbeiten zu „Alles hört auf mein Kommando" kennen und lieben, Anm. d. Red.) Das ist das größte Glück für mich. Ich bin eben ein Familienmensch." Auch politisch ist Tom Hanks – als überzeugter Anhänger der Demokraten – aktiv. Nach der Inauguration Joe Bidens fand, anstelle der üblichen Bälle, pandemiebedingt eine TV-Show mit vielen Stars statt, die Tom Hanks souverän moderierte.