Der Kinostart in Deutschland blieb aus, daher hat sich Netflix den Western „Neues aus der Welt" gesichert. Der Streifen überzeugt mit Darstellern und handwerklich sauberer Arbeit.
Ein wenig wirkt er wie ein Wanderprediger, dieser Captain Kidd. Der von Tom Hanks dargestellte Bürgerkriegsveteran, Vorname Jefferson Kyle, hat mit Gott aber eher weniger am Hut. Stattdessen tingelt er als Nachrichtenvorleser durch texanische Städte und versucht, den Menschen, durch „Neues aus der Welt" – so auch der Filmtitel – etwas Hoffnung zu vermitteln. Indem er ihnen etwa mitteilt, dass der Eisenbahn-Anschluss immense Standortvorteile für Texas mit sich bringt. Oder dass demnächst ein Impfmittel gegen die grassierende Cholera gefunden werde. Hoffnung ist also auch 1870 noch nötig, fünf Jahre nach Beendigung der dunklen Zeiten durch den Sezessionskrieg.
Das Mädchen spricht nicht seine Sprache
Nach einem Auftritt trifft Captain Kidd auf Johanna Leonberger (Helena Zengel; „Systemsprenger"). Die offensichtlich europäischen Eltern des schneeweißen Mädchens wurden einst von den Kiowa ermordet, sie selbst verschleppt. Nun wurden bei der gewaltsamen Räumung einer Indianersiedlung auch ihre „neuen Eltern" ermordet. Die zuständige Behörde will Johanna entfernten Verwandten übergeben. Die Probleme dabei: Diese sind tatsächlich weit entfernt – rund 400 Meilen –, und außerdem kommt der zuständige Beamte erst in einigen Monaten wieder. Kidd willigt also ein, sie selbst zu überführen.
Es ist kaum zu glauben, doch nach 40 Jahren einer einzigartigen Karriere ist „Neues aus der Welt" tatsächlich der erste Western mit Tom Hanks. Und der Hollywoodstar meistert auch die Rolle des zerrissenen, traumatisierten Captains genauso, wie es man es von ihm gewohnt ist: unaufdringlich, souverän und mit einer natürlichen, leisen Autorität ausgestattet. Die Ruhe eines knuffigen Teddybärs braucht er auch, um Johanna durch die ebenso zerrissenen Südstaaten der Nachkriegszeit zu steuern. Denn diese Vereinigten Staaten sind weit davon entfernt, vereint zu sein. Dieses Amerika ist kein freundliches Land, eher etwas wie die gesetzlose Hölle auf Erden.
Dort treiben bösartige Schurken ihr finsteres Spiel mit Menschen und der Moral. Da begegnet das ungleiche, aber sich ausbalancierende Duo, zum Beispiel Almay (herrlich eklig: Michael Angelo Covino). Der will Johanna zur Prostituierten machen, wird es aber durch eine Finesse von ihr bereuen, die beiden in einen Hinterhalt gelockt zu haben. Dann haben wir Merritt Farley (Thomas Francis Murphy), der sich quasi eine Kolonie mit ihm Ergebenen geschaffen hat und keinerlei Nachrichten von außen zulässt. Dumm nur, dass er halt einen Nachrichtenvorleser dorthin verschleppt. Es ist eine Welt, die sich selbst zum Feind hat.
Eine Welt, die sich selbst zum Feind hat
Für die wunderschönen und die Stimmung aufhellenden Einstellungen zeichnet der polnische Kameramann Dariusz Wolski verantwortlich, der auch bereits vier der fünf „Pirates of the Caribbean"-Filme und „Der Marsianer – Rettet Mark Watney" optisch veredelte. Diese exquisiten Aufnahmen der Weite der Prärie funktionieren hervorragend als interessanter Kontrast zu den boshaft engen Grenzen der Menschlichkeit. Musikalisch untermalt ist der Streifen von Altmeister James Newton Howard. Für seine äußerst gelungene Mischung aus typischen Westernmotiven, Banjoklängen und sinfonischen Anleihen ist er ein heißer Anwärter für den Oscar. Eine Nominierung für den Golden Globe hat er bereits.
Ebenso übrigens wie die deutsche Darstellerin Helena Zengel. Deren entrücktes Geschrei und wild um sich schlagende Aggression weiß Paul Greengrass gut zu zügeln und bringt das, was man wohl „rohe Kraft" nennen mag, nur anfangs zum Einsatz. Der englische Regisseur erlangte Weltruhm mit drei von fünf Filmen aus der „Jason Bourne"-Reihe und arbeitete mit Tom Hanks bereits erfolgreich in „Captain Phillips" zusammen. Auf den Einsatz von Handkamera und maschinengewehrartigen Schnitten verzichtet er fast komplett und liefert mit „Neues aus der Welt" einen recht schnörkellosen, zum großen Teil sehr ruhigen Western alter Schule ab. Dass der Film an der Schwere seiner Themen mitunter krächzt wie der Planwagen, auf dem Kidd und das Kid durch den Film reiten, nimmt man da gerne in Kauf. Auch erfreulich: Die Gewalt ist nicht selbstverliebt-heroisierend inszeniert, sondern so, dass man weiß, was Sache ist, aber Blutfontänen ausbleiben. Und da Tom Hanks mitspielt, ist sichergestellt, dass am Ende nicht alles schlecht ist. Ist ja auch nicht schlecht in diesen Zeiten.