Die Europäer sollten proaktiv eine transatlantische Agenda aufstellen
Die Drohung mit dem Nato-Austritt, die Tiraden gegen europäische Export-Überschüsse: Das Verhältnis zwischen Amerika und der EU war unter Präsident Donald Trump von Streit und Konfrontation geprägt. Doch wie sehen die Beziehungen unter dessen Nachfolger Joe Biden aus?
Die ersten Signale aus Washington sind freundlich. „Amerika ist wieder da. Das transatlantische Bündnis ist wieder da", betonte Biden im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Er bekannte sich zur Beistandspflicht im Nato-Vertrag, sang ein Loblied auf die Allianzen in Europa und Asien. Und er beschwor den Wettbewerb zwischen Autokratien wie Russland oder China und Demokratien wie die USA, Deutschland, Frankreich oder Japan.
Biden sprach Klartext. „Putin strebt die Schwächung des europäischen Projekts und des Nato-Bündnisses an." Und: „Wir müssen uns dem ökonomischen Druck und den Übergriffen der chinesischen Regierung entgegenstellen, die die Grundlagen unseres internationalen Wirtschaftssystems untergraben." Er kritisierte die marktverzerrende Kraft von Subventionen, mit denen Peking Unternehmen aufpumpt. Und er geißelte Menschenrechtsverletzungen in Hongkong oder im autonomen Gebiet Xinjiang, wo Mitglieder der muslimischen Minderheit der Uiguren in Umerziehungslager gesteckt werden.
All dies sind Bekenntnisse und Leitplanken von Bidens Außenpolitik. Was aber erwarten die Europäer vom US-Präsidenten? Hier kam bisher relativ wenig. In den Regierungszentralen in Berlin und Paris heißt es dieser Tage unisono: „Wir wollen Biden Zeit geben, bis er sein Team komplett aufgestellt hat und sämtliche Spitzenleute im Senat bestätigt sind." Das ist verständlich, reicht aber nicht.
Europa sollte den Schulterschluss mit dem Chef des Weißen Hauses suchen – am besten durch eine proaktiv unterbreitete transatlantische Tagesordnung. Einige wichtige Eckpunkte bieten sich an.
Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Virus-Attacke gewesen sein. Weitere Infektionswellen dürften kommen. Eine europäisch-amerikanisch abgestimmte Politik bei der Produktion und Beschaffung von medizinischer Schutzausrüstung und Impfstoffen macht Sinn, um der Seuche nicht hinterherzulaufen.
Die USA und die EU streben die drastische Verminderung von CO2-Emissionen an. Eine gemeinsame Klimapolitik mit entsprechenden Standards ist für Firmen attraktiv und setzt weltweit Orientierungswerte für hochentwickelte Volkswirtschaften.
Auch im internationalen Handel sollten Amerika und Europa an einem Strang ziehen. Wettbewerbsbedingungen, die florierende Märkte ermöglichen, sind das Ziel. Staatsgelder, die Betrieben einseitige Vorteile verschaffen, müssen zurückgedrängt werden. Protektionismus hemmt freies Wirtschaften. Dass beide Seiten einen Teil der verhängten Strafzölle vorläufig auf Eis legen, ist ein gutes Zeichen. Was noch ansteht, ist eine Reform der lahm gewordenen Welthandelsorganisation (WTO). Da gibt es für Brüssel und Washington noch viel zu tun.
In der Sicherheitspolitik und im Konflikt-Management muss sich Europa stärker engagieren, um die Vereinigten Staaten zu entlasten. Das heißt: Mehr diplomatische Soft Power – etwa in Libyen oder in der Ukraine – und im Zweifelsfall militärische Hard Power – etwa in der Sahelzone oder in Mali.
Eine der größten außenpolitischen Herausforderungen Europas ist das Verhältnis zur Volksrepublik. Bislang hat Brüssel vieles durch die Betonung des riesigen Absatzmarktes in China übertüncht. Die Wirtschaft hat ihre Berechtigung –
unser Wohlstand beruht darauf, dass Betriebe nicht nur in demokratischen Ländern Geschäfte machen. Aber Menschenrechtsverstöße müssen ebenso beim Namen genannt werden wie Pekings Drohkulissen gegenüber Taiwan. Es ist eine schwierige Gratwanderung. Der Kotau gehört jedenfalls nicht zum diplomatischen Repertoire freiheitlicher Gesellschaften.
Die amerikanische China-Politik nimmt das Gebaren der aufstrebenden Weltmacht in Fernost ins Visier. Die EU muss diese Linie nicht kopieren. Aber sie sollte nach den konfrontativen Trump-Jahren versuchen, pragmatisch mit Amerika zu kooperieren. Last but not least geht es auch um eine Werte-Partnerschaft. Sie vereint Europa und die USA in einer ungemütlichen Welt, in der die Zahl der Autokraten nicht abgenommen hat.