Sie blasen früh in die Pfeife, die Whistleblower, wenn in einem Betrieb ein Missstand herrscht. Wenn sie gemobbt oder nicht ernst genommen werden, bleibt oft nur der riskante Weg in die Öffentlichkeit. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will mit einem neuen Gesetz „Hinweisgeber" schützen.
Frau Lambrecht, was ist eigentlich ein Whistleblower?
Whistleblower sind Angestellte, Beamte oder Selbstständige, die bei gravierenden Rechtsverletzungen nicht wegschauen, sondern in Betrieben, gegenüber zuständigen Behörden und manchmal auch gegenüber der Öffentlichkeit Alarm schlagen. Zum Beispiel, wenn Gammelfleisch in Umlauf gebracht wird oder es zu Pflegenotstand und Vernachlässigung in einem Altenheim kommt.
Warum brauchen wir ein Whistleblower-Gesetz?
Wir müssen Menschen schützen, die Verantwortung übernehmen. Ich will Rechtssicherheit für diejenigen schaffen, die Missstände in Unternehmen und Behörden aufdecken. Wer diesen Mut zeigt, darf nicht der Ungewissheit ausgesetzt sein, mit einer Abmahnung oder Kündigung rechnen zu müssen.
Wie sind Hinweisgeber bisher geschützt?
Der bisherige Schutz ist lückenhaft. Immer wieder sind Fälle von Kündigungen vor Gericht gekommen. Die Zivil- und Arbeitsgerichte orientieren sich an einer Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: 2003 hatte eine Pflegerin in einem Berliner Pflegeheim mehrfach Personalnotstand und unhaltbare Zustände zunächst bei ihrem Arbeitgeber, dann bei der Heimaufsicht angezeigt. Diese stellte gravierende Pflegemängel fest. Da der Arbeitgeber nicht reagierte, erstattete die Pflegerin Strafanzeige gegen die Verantwortlichen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Der Pflegerin wurde gekündigt. Acht Jahre lang kämpfte sie sich durch alle gerichtlichen Instanzen, die die Kündigung bestätigten. Erst 2011 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der Hinweis der Altenpflegerin von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt war. Das zeigt: Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber gehen bisher große Risiken ein. Das müssen wir ändern.
Wie wollen Sie künftig Hinweisgeber schützen?
Ich habe ein Hinweisgeberschutzgesetz vorgeschlagen, mit dem wir eine wichtige EU-Richtlinie umsetzen. Das Gesetz wird vor vielen denkbaren Repressalien schützen – nicht nur vor Abmahnungen und Kündigungen, sondern auch etwa vor der Verweigerung von Beförderungen und Fortbildungen. Dabei ist mir besonders wichtig, Whistleblower nicht nur zu schützen, wenn sie Verstöße gegen europäisches Recht melden. Das sieht die Richtlinie vor, an der Stelle endet die EU-Kompetenz. Wir müssen aber für einen umfassenden Schutz sorgen – auch dann, wenn Straftaten wie Schmiergeldzahlungen oder sexuelle Nötigungen am Arbeitsplatz gemeldet werden. Wer solche Taten offenlegt, muss geschützt sein. Das blockiert die Union bislang.
Gilt das für alle gesellschaftlichen Bereiche, also öffentlicher Dienst, Industrie, Handel et cetera?
Ja, das gilt für den wirtschaftlichen genauso wie für den öffentlichen Bereich. Es geht überall darum, Transparenz, Integrität und Verantwortlichkeit weiter zu stärken.
Ist das ein Beitrag zu mehr Zivilcourage?
Ja. Ich habe allergrößten Respekt vor mutigen Altenpflegerinnen, die auf einen Pflegenotstand hinweisen. Und das in zum Teil schwierigen Beschäftigungsverhältnissen, mit wenig sozialer Absicherung. Genauso geht es mir um Beschäftige in Betrieben, die bei gravierenden Verstößen gegen den Infektionsschutz – denken wir nur an die mehr als 2.000 Corona-Infektionen in der Fleischfabrik von Tönnies – Alarm schlagen. Diese Menschen möchte ich schützen.
Wären bestimmte Skandale, wie zum Beispiel bei VW mit dem Abgasbetrug oder der Wirecard-Skandal, schneller ans Licht gekommen, hätte es Whistleblower gegeben?
Klar ist jedenfalls: Whistleblower bringen mit ihrem Insiderwissen häufig Ermittlungen ins Rollen. Mit ihren Hinweisen können Rechtsverstöße aufgedeckt oder schon im Vorfeld verhindert werden. Skandale zu vermeiden, die Anleger und Beschäftigte gleichermaßen bedrohen, ist im ureigenen Interesse jedes Unternehmens. Dafür braucht man Stellen, die Hinweise ernst nehmen und Missstände abstellen.
Führt das Prinzip, dass jeder Hinweise oder Verdächtigungen äußern kann, zu Denunziationen?
Nein. Nach dem von mir vorgeschlagenen Gesetz werden nur zutreffende Hinweise geschützt sein. Wer vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen meldet, kann sich sogar schadensersatzpflichtig machen. Und generell gilt: Im Regelfall versuchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Missstände zunächst intern zu klären. Es können auch externe Meldestellen eingeschaltet werden. Nur bei unmittelbaren Gefährdungen oder drohenden Repressalien dürfen sich Whistleblower künftig direkt an die Öffentlichkeit wenden.
Wo ist die Grenze zum Verrat von Betriebsgeheimnissen?
Wenn es um Straftaten und gravierende Rechtsverstöße geht, kann man sich nicht hinter angeblichen Geschäftsgeheimnissen verstecken. Die Weitergabe eines Geschäftsgeheimnisses ist nach meinem Gesetzentwurf dann erlaubt, wenn die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber Grund zu der Annahme hatte, dass dies notwendig ist, um eine Rechtsverletzung aufzudecken. Das sieht im Übrigen auch die umzusetzende Whistleblower-Richtlinie der EU so vor. Ähnlich ist es auch im Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen geregelt, das noch etwas weiter geht und auch bei beruflichem Fehlverhalten Offenlegungen zulässt.