Der „Weinladen Schmidt" in Kreuzberg ist wieder offen. Die Weinfachleute Manuela Sporbert und Jürgen Hammer bereichern mit ihrer Expertise Verkauf und Weinbar am Marheinekeplatz.
Wie schade, wie schade! Die Sonne scheint in den „Weinladen Schmidt" hinein, in der langen hölzernen Regalwand stehen der Wein und im Entree die Hochtische einladend bereit. Doch natürlich: Derzeit gibt es kein Glas Wein im Ausschank. Dabei ist die neu geschaffene Quasi-Terrasse hinter den bodentief verglasten Türen prädestiniert dazu, den Nachmittag bei noch etwas frischem Draußen im neu gestalteten Drinnen genießen zu können. So hatten es sich Anja und Carsten Schmidt bei der Neukonzeption und dem Umbau ihres Weinladens in der Schleiermacherstraße auch gedacht. Doch auf das Weinbar-Feeling mit dem einen spannenden, neu zu entdeckenden oder dem anderen lieb gewonnenen Glas Wein müssen wir wohl noch eine Weile verzichten.
Mitte Februar wurde die Eingangstür nach dem sechswöchigen Umbau am östlichen Ende des Marheinekeplatzes aber wieder für den Verkauf geöffnet. Manuela Sporbert als neue Filialleiterin und Jürgen Hammer als oberster Weinfachkundiger und Weiterbildungsbeauftragter für das Schmidt-Universum begrüßen seitdem die Kunden, die nachschauen, ob und was sich geändert hat. In jedem Fall sind mit den beiden neue und in der Berliner Weinszene bestens bekannte Gesichter zu sehen. Sporbert und Hammer führten 14 Jahre lang, bis zum Auslaufen des Mietvertrages 2020, „Hammers Weinkostbar" an der Körtestraße. Sie bringen gewiss so manchen Stammgast vom Südstern mit in den Nachbarkiez an der Bergmannstraße.
Aus eins mach drei mit schalldichtem Vorhang
„Ich bin am liebsten Gastgeberin", sagt Manuela Sporbert. „Nenn mich einfach so." Balanciert sie wieder einmal auf der hohen Leiter, um Weine in die oberen Regalreihen einzuordnen, ist sie schon wieder unten, kaum dass ein Kunde den Laden betreten hat. Der wird je nach Bedarf zu Neuem oder Passendem beraten oder mit Gewünschtem und Vertrautem versorgt. Mit dem dem Wein inhaltlich gebührenden Ernst, aber auch mit herzlichem Lachen und einem Schnack on top, wenn es sich ergibt. Sporbert und Hammer sind nun „zurück in der Familie": Beide waren Mitte der 2000er-Jahre bereits im „Rutz" tätig. Er nach dem Tod von Weinbar-Mitbegründer Lars Rutz als Chefsommelier, sie als Restaurantleiterin. Anschließend betreute Manuela Sporbert als Maître d’hôtel den „Berlin Capital Club", das Kölner „L’Escalier" sowie die „Wartenberger Mühle" in der Pfalz als Restaurantleiterin.
Der neu gebaute Tresen ist das Herzstück des langen Raums im denkmalgeschützten ehemaligen Postgebäude. Er rückte komprimierter in die Raummitte. So bleibt im hinteren Bereich Platz für Zweiertische, die für Weinseminare oder kleine Events mit bis zu 20 Personen zusammengestellt werden können. Ein Griff von Jürgen Hammer an der Sitzbank vorbei, und schon gleitet ein raumhoher, dicker, grauer Vorhang bis vor das Weinregal. „Das war Manuelas Idee." Aus eins mach drei: Während hinter dem schalldämpfenden Vorhang ein Veranstaltungsraum entstanden ist, bleibt der Ladenbereich vor dem Tresen für den Verkauf frei. Die Weinbar-Fläche hinter den Türen sowieso. So können die einen sich zwanglos unterhalten, probieren und herumstehen, die anderen sich mit Wein eindecken und die dritten sich in Seminaren wie „Learning by Drinking" oder „Spargel und seine Weine" praktisch bilden. So zumindest wäre es ab Mitte April vorgesehen, falls es die Corona-Regeln bis dahin wieder erlauben sollten.
Wer sich von „Basic" über „Medium" bis zum „Master of Drinking" in den abendlichen mehrstündigen Seminaren hochtrinken will, findet in Jürgen Hammer einen der profundesten Anleiter der Stadt. Er war nach seiner Zeit in der „Weinbar Rutz" ebenfalls in der „Wartenberger Mühle" sowie im Restaurant von Dieter Müller tätig. Hammer absolvierte das „WSET Level 3" und schloss 2003 sein Studium zum „WSET Diploma in Wines and Spirits" in London ab. In Berlin absolvierten zahlreiche Sommeliers aus der Spitzengastronomie ihre Ausbildung an seiner Deutschen Wein- und Sommelierschule Berlin, die Hammer weiterhin führen und an der er weiterhin lehren wird.
In den sechs Filialen des „Weinladen Schmidt" in der Stadt liegt der Fokus auf deutschen Weinen, ergänzt durch Europäer, vorrangig aus Portugal, Frankreich und Italien. Doch jeder Standort und jede Filialleitung hat die Möglichkeit, das Angebot den Vorlieben der Kunden und den eigenen Steckenpferden entsprechend zu gestalten. Jürgen Hammer wird das große Ganze im Blick haben und neue Winzer hinzuholen. Ein neues Weingut brachte er bereits an den Start: Materne & Schmitt von der Untermosel. „Es werden im Sommerkatalog fünf bis sechs neue Weingüter hinzukommen." Welche genau es sind, ist noch nicht ganz spruchreif. „Die Neuigkeiten werden aus Deutschland und Portugal kommen." So viel sei schon einmal gesagt.
Umgestaltung seit Mitte 2020 geplant
„In so einer Zeit mit fünf bis sechs neuen Weingütern an den Start zu gehen, ist eine Investition der Schmidts, die nicht hoch genug zu schätzen ist." Nach 14 Jahren Selbstständigkeit weiß Jürgen Hammer um die wirtschaftliche Dimension einer solchen Entscheidung. Die Inhaber Anja und Carsten Schmidt planten seit Mitte 2020 die Umgestaltung des Kreuzberger Weinladens. 2017 hatten sie das „Not only Riesling" von Vorbesitzer Frank Böhm übernommen und erst einmal in der bisherigen Anmutung belassen. „Wir haben jetzt alles umgebaut", sagt Anja Schmidt. „Außer Decke, Fußboden, Stühle, Spüle und die Lampen über dem Tresen." Die beleuchten weiterhin im überdimensionalen Fifties-Tütenlook den saalartigen Raum.
„Knapp sechsstellig" seien die Investitionen gewesen, verrät Carsten Schmidt. Im ersten Lockdown habe das Unternehmen einen Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Daraus konnten nach der Vollbremsung bei hohem Tempo Betriebsmittel, Personal und Waren trotz Umsatzausfall weiterfinanziert werden. „Das gab uns die Liquidität für solche Investitionen in die Zukunft", sagt Carsten Schmidt, der das 1964 von seinen Eltern gegründete Unternehmen führt. „Vorher haben wir aber noch den Mietvertrag um zehn Jahre verlängert, mit Option auf weitere Jahre." Das gibt den Schmidts Planungssicherheit und beschert dem Vermieter auf dem durch Corona gewandelten Gewerbeimmobilienmarkt langfristig Einnahmen.
Manuela Sporbert und Jürgen Hammer konnten sich mehrere Monate in die Planungen einbringen. In Kreuzberg sollen neben den Weinseminaren für die Kunden vor allem die internen Weiterbildungen für die Mitarbeiter stattfinden. „Ich werde als Berater in Sachen Wein für das ganze Unternehmen agieren", sagt Jürgen Hammer. „Die monatlichen Schulungen für die Mitarbeiter sind uns allen sehr wichtig. Wir wollen die hohen Standards halten." Zu der Schmidt-Gruppe zählen neben den sechs Filialen des „Weinladen Schmidt" das dreifach besternte Restaurant „Rutz", das „Rutz Zollhaus" am Landwehrkanal und das „Schmidt Z&Ko" in Friedenau.
Picknickkörbe als neueste Form von „Wine to go"
Für mich gibt’s den Probierschluck gleich aus einer ganzen Flasche. Das „Wunschkind" von Materne & Schmitt, ein 2018er Riesling von den Terrassenhängen an der Mosel, findet seinen Weg zu mir nach Hause. Die jungen Winzerinnen Rebecca Materne und Janina Schmitt aus Winningen beackern erst seit 2012 ihre knapp zwei Hektar Steillagen an der Untermosel. Frisch, fruchtig und ein bisschen schieferig ist der junge Weiße. Das leicht prickelnde „Wunschkind" möchte am liebsten nicht gar zu kalt getrunken werden. Dann überrascht es mit eigenem Willen, schlägt unbekümmert mal Grünes, mal Mineralisches zum Spielen vor. Guter Neuzugang! Mit meiner spontanen Zuneigung liege ich voll auf Kreuzberger Linie im Kiez: „Sehr riesling- und sauvignonlastig" seien die Kunden rund um den Marheinekeplatz, stellte Manuela Sporbert fest.
Vielleicht wird sich bald die eine oder andere Flasche von den Mosel-Winzerinnen im „Rotkäppchen-Korb" wiederfinden: Picknickkörbe sollen die neueste Form des gepflegten „Wine to go" für das Frühjahr sein. „Wein aussuchen, zwei Gläser, Picknick-Decke und Kissen, ein bisschen Wurst, Käse, Brot dazu", so Manuela Sporberts Plan für die „Weinbar für draußen", der auch in anderen Filialen umgesetzt werden soll. Das „Drumherum" wird gegen Pfand verliehen, Essen und Wein werden frei gewählt. „Deshalb wird es keinen Festpreis für die Körbe geben", ergänzt Jürgen Hammer. Dafür aber gewiss viele beglückte Weinfreude mit qualifizierter Outdoor-Genuss-Ausstattung auf dem Tempelhofer Feld oder direkt am Marheinekeplatz, wenn der Alkoholverzehr in Grünanlagen hoffentlich bald auch wieder offiziell erlaubt sein wird.