Sie stammt aus einem Bergbaunest in Südwales jenseits von Glamour und wird als der weibliche Rod Stewart gehandelt. Die Rede ist von Gaynor Hopkins alias Bonnie Tyler. Im Interview spricht sie über zeitlose Songs, starke Frauen und eine denkwürdige Begegnung mit Tina Turner.
Bonnie Tyler, Ihr Album „The Best Is Yet To Come" ist einmal mehr eine Zusammenarbeit mit dem Produzenten David Mackay. Never change a winning team?
Das ist richtig. Wir mussten die Veröffentlichung wegen Covid-19 verschieben, aber das ging ja vielen so. Ich bin wirklich glücklich mit der Platte. Ich glaube, meine Fans werden die neuen Songs lieben, wenn ich sie dann live performen werde.
Mit David Mackay begann Ihre Weltkarriere, er produzierte vor 45 Jahren Ihren ersten Hit „Lost In France". Schließt sich damit ein Kreis?
Ja. Das Schicksal wollte es, dass ich wieder mit ihm zusammenarbeite. Schuld daran ist der Bassist meiner zweiten Band, Imagination. Kevin Dunne hat mir vor ein paar Jahren Songs angeboten. Ich war regelrecht geschockt von ihrer Qualität. Kevin schlug vor, dass wir sie mit unserem alten Produzenten aufnehmen. So kam ich wieder mit David Mackay zusammen.
Ist Mackay ein Produzent alter Schule?
Yeah! Er lebt, isst und atmet Musik. Ich liebe es, mit ihm zu arbeiten.
Haben Sie von jedem Song zehn verschiedene Versionen aufgenommen, um die richtige zu finden?
(Lacht) Nein, es war anders als mit Jim Steinman. In den 1980ern haben wir von jedem Stück mit kompletter Band neun Live-Takes eingespielt. Jim hat dann die Tonbänder mit nach Hause genommen und ich bekam eine Kopie auf Kassette, um über die besten Fassungen zu entscheiden. Bei „Total Eclipse Of The Heart" war es der zweite Take. Während der Aufnahmen wohnte ich in Jims Apartment im Trump Tower. Und von seiner anderen Wohnung aus konnte man den Central Park überblicken. Jims Nachbar war Dustin Hoffman. Aber lassen Sie uns lieber über meine neue Platte reden.
Wie arbeitet David Mackay?
David ist Ende 70, aber stets auf dem neuesten Stand der Technik. Die Umstellung von analog auf digital war bestimmt sehr schwer, aber man darf zu keinem Zeitpunkt glauben, dass man im Leben nichts Neues mehr erlernen kann. Die Kids kriegen das natürlich besser hin als wir. (lacht) In Davids Homestudio in London haben wir jedenfalls zuerst Demos aufgenommen, auf die ich dann gesungen habe. Er fängt gern früh an. Ich hasse frühes Aufstehen, weshalb ich erst immer gegen 12.30 Uhr ins Studio kam. David legt Wert darauf, spätestens um 17.30 Uhr Feierabend zu machen, weil er Familie hat. Seine Frau hat mich und meinem Mann Robert immer zum Abendessen eingeladen. Diese wirklich gute Arbeitsatmosphäre hört man der Musik an.
Konnten Sie das Album noch vor dem ersten Lockdown fertigstellen?
Ja, aber wie gesagt mussten wir die Veröffentlichung verschieben. Musik ist wie Medizin, sie hält Leib und Seele zusammen. Leider kann ich momentan keine Liveshows spielen, aber sobald man wieder auf eine Bühne darf, werde ich es tun, versprochen. Ich vermisse meine Fans, meine Band und meine Crew so sehr! Ich glaube wirklich, dass mir das Beste noch bevorsteht. Was ich aus der Corona-Krise vor allem gelernt habe, ist, dass ich nie wieder irgendetwas als selbstverständlich betrachten werde.
Wie verbringen Sie jetzt Ihre Zeit an der Algarve?
Ich gebe viele Interviews und trete in TV-Shows auf, aber alles virtuell. Und ich habe endlich Schwimmen gelernt in unserem Außen-Pool. Dafür habe ich zehn Jahre gebraucht, nachdem ich in der Marina einen schweren Unfall mit Jetskis hatte. Deshalb bestand Robert darauf, dass ich schwimmen lerne, aber es hat lange nicht klick gemacht. Von da, wo ich jetzt sitze, kann ich das Meer sehen. Es glitzert wie ein Diamant. Die Auszeit an der Algarve war schön, aber jetzt möchte ich mich auf die bevorstehenden Liveshows in Südamerika vorbereiten, indem ich die Texte leise vor mich hinsinge. Mir ist natürlich bewusst, dass die Tour verlegt werden kann. Niemand hätte mit solch einer Pandemie gerechnet. Crazy!
C.B. Green alias Clemens Benecke aus Neuburg schrieb für Sie den Song „Somebody’s Hero". Ist er der Neue in Ihrem Team?
C.B. Green spielte auf meiner letzten Europatour im Vorprogramm. Allein mit seiner Gitarre – ein wunderbarer Typ! Mein Mann Robert fand, „Somebody’s Hero" sei ein großartiger Song. Als David Mackay uns in Belgien besuchte, schlug er vor, dass wir diese Nummer aufnehmen. Voilà!
Glauben Sie, dass Sie Ihren besten Song wirklich noch nicht aufgenommen haben?
Das ist sehr wahrscheinlich. Wir haben die Platte nicht wegen Covid-19 „The Best Is Yet To Come" genannt, diese Seuche gab es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Steve Womack, der den Titelsong für mich geschrieben hat, weiß einfach, was ich musikalisch mag. Wie die meisten Rockmusiker stehe ich auf Bruce Springsteen und Rod Stewart, weil die zeitlos klingen. Ein anderer Lieblingstitel auf der Scheibe ist „When The Lights Go Down", übrigens auch aus der Feder von Steve Womack.
Ist es schwer, frisches Songmaterial zu finden?
Nun, ich habe das große Glück, dass wirklich tolle Songschreiber mit mir zusammenarbeiten wollen. Schon auf meiner letzten Platte waren Titel von Steve Womack drauf. Die kamen beim Konzertpublikum besonders gut an. Deshalb habe ich ihn gebeten, mehr für mich zu schreiben.
Hat Ihre Musik ein walisisches Element?
Yeah! Ich arbeite mit einigen Musikern aus Wales zusammen, die leben aber fast alle in London und waren für Stars wie Paul McCartney und George Michael tätig.
Der fette Sound von Songs wie „Dreams Are Not Enough" erinnert an Jim Steinman, dem Sie Ihre größten Erfolge verdanken.
Yeah, ich glaube, Jim wäre sehr stolz auf mich, wenn er die Nummer hören würde. Auf meiner Platte spielen fantastische Musiker mit, das gilt auch für die legendäre Backgroundsängerin Miriam Stockley. Sie hat wirklich mit allen gearbeitet: Queen, Kylie Minogue, Mike Oldfield. Ihre Mitwirkung an meinen Songs betrachte ich als großes Kompliment.
Die Grammy-Preisträger Desmond Child und Shelly Peiken schrieben für Sie „Stronger Than A Man".
Ich kenne Desmond schon lange und habe ihn gefragt, ob er einen passenden Song für mich hätte, den noch niemand aufgenommen hat. Daraufhin schickte er mir ein Demo von „Stronger Than A Man". Gott, ich liebe diese Nummer! Desmond schreibt sonst für Aerosmith und Bon Jovi, er ist ein Gigant! In den 1980ern hat er mit mir in Woodstock das tolle Album „Hide Your Heart" produziert. Aber ich muss sagen, auch die neue Scheibe begeistert mich.
Müssen Frauen in der Regel stärker sein als Männer, wenn sie sich im Musikbusiness durchsetzen wollen?
Nun, ich habe den Song nicht geschrieben, aber er hat schon eine tiefe Moral. Für mich persönlich war es ehrlich gesagt nie ein Problem, mich gegen die Jungs im Business durchzusetzen. Mein großes Glück ist meine volle Stimme. Danke, lieber Gott! Sie klingt heute umfangreicher und stärker als jemals zuvor. Das liegt an meinem Voice-Coach, den ich dreimal die Woche via Telefonsession konsultiere. Die Stimme ist ein Muskel, der trainiert werden will.
Sind Sie mit Donovans Hymne „Catch The Wind" aufgewachsen?
Natürlich. Donovan habe ich als Mädchen in „Top Of The Pops" gesehen. Mir ist erst beim Singen bewusst geworden, wie schön der Text ist. David Mackay und ich haben die Melodie leicht verändert. Warum sollte ich einen Song covern, wenn ich ihn mir nicht zu eigen mache. Genau wie bei „I’m Not In Love". Mich würde interessieren, was 10cc von meiner Fassung halten.
Tina Turner hat einst Ihren Song „The Best" aus dem Jahr 1988 gecovert. Warum wurde Turners Version erfolgreicher als das Original?
In meinen Augen war ihr Cover definitiv besser als mein Original. Zudem hat Tina dem Song interessante neue Teile hinzugefügt. Das verlieh ihm etwas Besonderes. Dadurch, dass Tinas Version ein Hit wurde, habe ich mein Selbstvertrauen wiedergewonnen.
Waren Sie sehr nervös, als Sie Ihr Idol Tina Turner persönlich kennenlernten?
Das erste Mal begegnete ich ihr in Deutschland in der TV-Sendung „Musikladen". Ich kam also ins Studio und sah Tina Turner auf der Bühne. Die musste ich mir natürlich aus der Nähe ansehen. Ich habe schließlich mein halbes Leben im Schlafzimmer ihre Songs mit einer Haarbürste als Mikro gesungen. In dem Moment, als sie mich erkannte, begann sie „It’s A Heartache" in ihrer typischen Art anzustimmen. (lacht) Ich konnte es nicht fassen, Tina Turner sang für mich mein Lied. Fantastisch!
Was haben Sie von ihr gelernt?
Tina war eine unglaubliche Performerin. Ganz große Show! Ich habe aber ganz sicher nicht gelernt zu tanzen, das konnte ich noch nie. Ich schreite lieber über die Bühne. Aber die Power habe ich mir von Tina und Janis Joplin abgeschaut. Die zwei haben ihre Songs wirklich gelebt.
Am 8. Juni werden Sie 70. Hoffen Sie, Ihren Geburtstag auf der Bühne feiern zu können?
Ich habe momentan keine Pläne für meinen Geburtstag. Wenn Corona es erlaubt, werde ich ihn sicher mit meiner Band und meiner Crew feiern. Wahrscheinlich sind wir zu der Zeit auf Tour. Aber man weiß es nicht. Es heißt, bis September sollen alle geimpft sein. Mich hat bislang aber noch niemand kontaktiert. Im Juni werde ich 70 – oh mein Gott! Es tut weh, diese Zahl auszusprechen. Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich fühle mich wie 38 oder 40.
Erinnern Sie sich, wie Sie mit 17 Jahren waren?
Ich habe nie Drogen genommen, ich weiß noch alles. Ich war sehr, sehr schüchtern. Aber ich wusste als Schülerin schon, dass ich Sängerin werden wollte. In Süd-Wales, wo ich aufwuchs, gab es aber nicht viele Möglichkeiten, ins Musikgeschäft einzusteigen.
Wann ergab sich schließlich die Gelegenheit?
Immer wenn meine Tante uns besuchte, sang ich zu Hause Songs. Eines Tages im Jahr 1968 meldete sie mich deshalb eigenmächtig bei einem lokalen Talentwettbewerb an. Ich wollte da aber nicht hin, weil ich so schüchtern war. Dank der Überredungskünste meiner Tante wurde ich am Ende Zweite. Es war die erste Live-Erfahrung mit Mikrofon meines Lebens. Gesungen habe ich „Those Were The Days" von Mary Hopkins, zu der Zeit die Nummer eins in den Charts.
Waren Ihre fünf Geschwister an dem Tag zugegen?
Nein, aber meine Mutter und mein Vater. Ich war ja erst 17. Meine vier Jahre jüngere Schwester ist übrigens auch Sängerin geworden. Sie nennt sich Amanda Scott und landete in den 1980ern mit „Lies" einen Hit. Sie hat eine sehr bluesige Stimme und singt viel in Kirchen. Und mein kleiner Bruder Paul singt in einer Rockband. Musiker haben es zurzeit sehr schwer, sie bekommen von der Regierung überhaupt keine Unterstützung. Das ist blamabel.