Betriebsärzte könnten mitimpfen – wenn sie dürften. Dr. Karin Heid-Markenstein ist Betriebsärztin der VSE AG und verantwortlich für 1.600 Mitarbeiter des Energieversorgers. Das Konzept für das gesamte Unternehmen steht, allein – es fehlt der Impfstoff.
Frau Dr. Heid-Markenstein, mal unabhängig von der Bereitstellung von Impfstoffen: Wie schätzen Sie das Potenzial in Deutschland ein, die betriebsärztlichen Dienste in die Impfkampagne einzubinden?
Wir haben in Deutschland über 12.000 Ärzte mit arbeitsmedizinischer Fachkunde. Mit diesem Potenzial wären wir in der Lage, die Durchimpfungsquote hierzulande deutlich zu erhöhen. Wir würden die Impfkampagne sehr gern unterstützen. Der Betriebs- und Werksärzteverband VDBW steht dazu im Kontakt mit dem Bundesgesundheitsministerium. Doch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mitgeteilt, dass derzeit leider nicht genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen und dass zunächst weiterhin die Impfzentren beliefert werden. Wir in der VSE-Gruppe könnten morgen
mit dem Impfen loslegen.
Wenn es losgeht: Wie kommen die Vakzine in die Unternehmen, wie und wo werden sie gelagert, und wie wird die Impfreihenfolge organisatorisch gelöst?
Die Impfstoffverteilung erfolgt über den Großhandel und über Apotheken. Zugeteilt würde er über das zuständige Gesundheitsministerium, so wie es jetzt auch bei den Krankenhäusern geschieht. Die beiden in der EU zugelassenen Impfstoffe von Astrazeneca und Johnson und Johnson sind sogenannte Vektor-Impfstoffe und können bei Kühlschranktemperatur gelagert werden, sind also kein Problem für Arztpraxen. Selbst die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna sind in der Regel noch fünf Tage bei Kühlschranktemperatur haltbar.
Die vorgegebene Impfreihenfolge würde strikt eingehalten. Zuerst käme das Kernschlüsselpersonal an die Reihe, wie Mitarbeiter aus den Netzleitstellen oder Monteure, die zwingend vor Ort tätig sein müssen. Diese gehören zur Priorisierungsgruppe 3. Anschließend die übrigen Mitarbeiter.
Wie viele Menschen könnten Sie am Tag impfen?
Wir haben ausgerechnet, dass wir 20 bis 30 Impfungen pro Stunde durchführen könnten. Wir wären mit der Erstimpfung in der ganzen Gruppe in etwa zwei Wochen durch bei einer Quote von 70 bis 80 Prozent Impfwilliger. Wir sind ein Team von fünf Mitarbeiterinnen, von denen mit mir zwei impfen dürfen.
Die Administration ist immens. Dazu zählen der Aufruf, sprich Impfangebot, die Terminierung, Erfassung und Meldung an das Gesundheitsamt sowie ganz wichtig die Aufklärung über Risiken. Wie organisieren Sie das?
Unser Konzept steht, und ich bin optimistisch, dass wir das mit unserem eingespielten Team schaffen. Schließlich kennen wir den Gesundheitszustand unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gruppe, wissen über ihre Vorerkrankungen und mögliche Medikamenteneinnahme, zum Beispiel durch Einstellungsuntersuchungen, wiederkehrende Eignungsuntersuchungen, Schutzimpfungen oder Sprechstunden in unserer Werkspraxis. Natürlich führen wir eine sorgfältige Aufklärung durch, besprechen das einzeln mit den Mitarbeitern, erklären Risiken einer Impfung, wägen gemeinsam ab. Außerdem sind wir verpflichtet, die Corona-Impfung dem Gesundheitsamt digital zu melden. Wenn dieser Verwaltungsaufwand sich in der praktischen Umsetzung als zu groß herausstellen sollte, bekommen wir Unterstützung aus der VSE-Gruppe. Das ist alles vorbesprochen, und wir sind bereit.
Was Organisation und Ablauf der Impfung betrifft, sind wir gut ausgestattet, um einen hohen Impfdurchsatz zu realisieren. Wir verfügen über eine große Praxis mit ausreichend Räumen zum Beispiel für die Nachbeobachtung. Der gesamte zeitliche Durchlauf unter strenger Einhaltung der Hygienerichtlinien von der Vorbesprechung über die Impfung bis zur Beobachtung dauert circa 45 Minuten pro Impfling.
Was geschieht mit übrig gebliebenen Impfdosen am Ende des Tages? Dürfen dann andere Impfwillige spontan in den Genuss der Spritze kommen?
Es wird in der Praxis immer vorkommen, dass jemand kurzfristig einen Termin nicht wahrnehmen kann. Flexibilität versuchen wir bestmöglich einzuplanen, sodass ein anderer Mitarbeiter einspringen kann. Es kann ebenfalls vorkommen, dass eine Ampulle nicht mehr geöffnet wird, wenn nur noch ein Impfling am Abend da ist. Das würde dann am nächsten Tag verimpft. Da wir in unserer Werkspraxis auch andere Impfungen in aller Regelmäßigkeit durchführen, haben wir sehr viel Erfahrung. Das gilt mit Sicherheit auch für meine Kollegen in anderen Unternehmen im Saarland.
Impfen sei kein Wunschkonzert, sagt Gesundheitsministerin Monika Bachmann im Hinblick auf die verfügbaren Vakzine. Hat man überhaupt eine Auswahlmöglichkeit?
Es gibt Stand Mitte März vier zugelassene Impfstoffe in der EU. Wir haben keine Auswahlmöglichkeit, aber alle zugelassenen Impfstoffe sind überprüft, sicher und wirksam. Astrazeneca hat eher ein Imageproblem, weil nicht entsprechend aufgeklärt wurde.
Könnten Sie sich vorstellen, dass nach erfolgreicher Durchimpfung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Werksärzte die Impfungen auch für Angehörige oder Dritte anbieten, vorausgesetzt Politik und Unternehmen wünschen das?
Wir vom werksärztlichen medizinischen Personal wären dazu in der Lage, aber entscheiden müssen das andere.