Die Linke könnte bei der Bildung der nächsten Bundesregierung eine ausschlaggebende Rolle spielen. Doch weder Grüne noch SPD wollen öffentlich darüber reden. Alt-Sozialist Gregor Gysi fordert Ehrlichkeit im Umgang miteinander.
Herr Dr. Gysi, 73 Jahre und kein bisschen leise, Sie treten erneut in ihrem Wahlkreis Treptow-Köpenick für ein Mandat im 20. Deutschen Bundestag an, was waren die Beweggründe?
Ja, Sie haben Recht, ich wollte eigentlich nicht mehr antreten, aber es waren zwei Gründe, warum ich es nun doch mache. Zum einem, als außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion habe ich ja wieder eine Aufgabe, die mir sehr viel Spaß macht und ich kann da auch für die Linke im Bundestag etwas bewegen. Viel wichtiger für mich und die Partei: Es sieht ja momentan so aus, als könnte es tatsächlich zu Sondierungen und Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen, der SPD und der Linken kommen. Und da könnte ich für die Verhandlungen für bestimmte Gebiete eine wichtige Rolle spielen.
Deswegen hat mich die Fraktions- und Parteiführung dringend gebeten, doch noch mal anzutreten.
Derzeit ist ein Bundesaußenminister Gysi in einem grün-rot-roten-Bündnis also denkbar, aber momentan habe ich den Eindruck, Grüne und SPD sprechen mehr über Sie, aber nicht mit Ihnen?
Sie sprechen jetzt das Landtagswahlwochenende Mitte März an. Da haben wir ja leider den Einzug in die Parlamente in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verpasst. Darum ist da unser Name zwar gefallen, aber wir sind nicht weiter medial aufgetaucht. Man darf auch nicht vergessen, auf Bundesebene haben wir in den Umfragen rein rechnerisch zusammen noch nicht die Mehrheit. Aber die Union ist derzeit ja sehr bemüht, ihre Wahlchancen weiter zu schmälern. Darum gibt es vermutlich sowohl von Grünen als auch von Sozialdemokraten Signale an uns. Olaf Scholz hat es ja deutlich gesagt, Regierungsbildungen ohne die CDU sind möglich. Das war ja ein Zeichen, dass dort derzeit ein Umdenken eingesetzt hat.
Und zur Klarstellung, ich strebe keinen Ministerposten an, sondern sehe meine Aufgabe ganz darin, solch einem Bündnis zur Verwirklichung zu verhelfen und Grün-Rot-Rot tatsächlich in die Regierungsverantwortung mitzuführen.
Welche Voraussetzungen müssten denn aus Sicht der Linken für ein grün-rot-rotes Bündnis erfüllt sein?
Eine Voraussetzung ist natürlich, dass es in allen drei Parteien eine Mehrheit der Mitglieder wollen muss. Ich gehe davon aus, dass es in der Linken diese Mehrheit zum Regieren gibt und zwar aus politischen Gründen. Wir wollen endlich mal linke Ideen umsetzen, das kriegen wir in der Opposition so nicht hin. Bei der SPD ist die Gemengelage anders, dort würde eine Mehrheit einem Linksbündnis zustimmen, aber aus rein existenziellen Gründen. Dort hat man gemerkt, dass man an der Seite der Union auf Dauer eingeht. Die Grünen sind ebenfalls gespalten, die eine Hälfte will mit der Union regieren, die andere will ein Linksbündnis. Bei den Grünen wird die gravierende Frage sein, will man nur den Vizekanzler stellen oder doch gleich das Kanzleramt übernehmen. Bei denen geht es also eher um die Machtarithmetik, was politisch weniger ehrenhaft ist. Das muss man sich im Falle eines Falles genau anschauen.
Darin steckt doch dann aber schon die erste Komplikation für mögliche Koalitionsverhandlungen. Sie handeln aus politischen Idealen, die anderen aus Machtkalkül?
Aus meiner Sicht, leider ja. Dazu kommt, man darf ja eines nicht vergessen, auch die Bevölkerung muss eine andere Politik wollen. Also eine völlige Neuorientierung der Sozialpolitik, der ökologischen Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung, eine andere Außen- und Militärpolitik, es geht auch um Renten- und Steuergerechtigkeit.
Das müssen Grüne und SPD akzeptieren, aber vor allem auch die Wählerinnen und Wähler wollen. Eine solche deutliche Richtungsentscheidung hatten wir das letzte Mal bei der Bundestagswahl im September 1969, Kiesinger/Brandt. Da verlor die Union nach 20 Jahren politischen Dauer-Abonnements das Kanzleramt, aber dieser Wille muss jetzt auch da sein.
Kommt es zu einer Richtungsentscheidung, muss aber auch Ihre Partei Kompromisse machen. Zum Beispiel bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr?
Ich sage immer zu meinen Leuten: Wer nicht kompromissfähig ist, ist auch nicht demokratiefähig, und umgekehrt, wer zu viele Kompromisse macht, gibt seine Identität auf! Und dann sagen die immer, schön gesagt und was meinst du damit? Dann sage ich ganz einfach: Wir können nicht bei den Kompromissen zwei Schritte in die richtige Richtung – und dann einen in die verkehrte Richtung machen. Alle Schritte müssen in die richtige Richtung gehen, sie können nur kürzer sein als von uns gedacht.
Herr Gysi, jetzt haben Sie geschickt die Frage nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Ja oder Nein, umschifft, denn das könnte ja zur alles entscheidenden Frage bei möglichen grün-rot-roten Koalitionsverhandlungen sein?
Ich bin strikt gegen die Rolle von Deutschland als Weltpolizist, wir sollten da doch die lieber die Rolle des Vermittlers übernehmen. Es gibt die Auslandeinsätze, ja, und dann stellt sich die Frage, wie wir da rauskommen. In welchem Zeitraum wir da aussteigen, da kann es Kompromisse geben, aber ganz klar, wir müssen eine andere Rolle Deutschlands in diesem Punkt erreichen. Wie gesagt: Wir sollten Vermittler und Vermeider von weltweiten Konflikten werden, ohne Auslandseinsätze der Bundeswehr, die ja ohnehin bei der Friedenssicherung für die Menschen in den betroffenen Ländern nicht viel gebracht haben. Im Übrigen: Diese Einsätze haben sehr viel Geld gekostet, diese Millionen und Milliarden hätte man für die Betroffenen vor Ort besser einsetzen können als für irgendwelche Feldlager der Bundeswehr.
Vor der Regierungsverantwortung kommt nun der Wahlkampf. Die Linke ist stark bei den Jungen und den Alten, die Mitte der Gesellschaft ist Ihnen abhandengekommen. Warum?
Das hängt damit zusammen, dass wir von einer bestimmten Klientel von Intelligenz mit unseren Anliegen akzeptiert und dann natürlich auch von Hartz IV-Empfängerinnen und Empfängern wahrgenommen werden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben uns zu wenig auf dem Schirm. Doch auch um deren soziale Gerechtigkeit geht es, darum müssen wir uns vermehrt kümmern. Man darf doch eines nicht vergessen, die Bewältigung der Kosten der gesamten Pandemie wird doch von den mittleren Einkommen und dem Mittelstand getragen und nicht von den Reichen und Großkonzernen. Letztere haben längst ihre Staatshilfen erhalten und zwar umgehend. Während Hotels und Gaststätten und der kleine Einzelhandel zum Teil bis heute auf die nötigen Hilfen warten, ganz abgesehen von den Künstlerinnen und Künstlern, die ohne Perspektive vor immer neuen bürokratischen
Hürden stehen.
Die Maskenanschaffung endet in einem Desaster, die versprochenen finanziellen Hilfen für das betreffende Gewerbe auch, die Beschaffung des Impfstoffes funktioniert nicht. Haben Sie denn schon ihre Impfvorladung als Mitglied der Hochrisikogruppe erhalten?
Nein, ich bin 73 Jahre alt und warte weiter jeden Tag auf eine Impfeinladung. Die habe ich bis zum heutigen Tag nicht bekommen. Aber es geht um eine weltweite Impf-Gerechtigkeit für uns und alle anderen. Es kann doch nicht sein, dass die westlichen Länder die Impfstoffe aufkaufen und die sogenannte Dritte Welt zusehen kann, wo sie bleibt, das können wir als Linke auf keinen Fall akzeptieren. Nur: Es klappt ja nicht einmal bei uns.