Wenn in genau einem halben Jahr die Bundestagswahl stattfindet, steht nur eines fest: Es wird bis dahin der ungewöhnlichste Wahlkampf. Corona-Bedingungen erfordern neue Formate und die politische Ausgangslage ist völlig offen.
Parteigremien und Kommentatoren waren noch vollauf damit beschäftigt, den großen Auftakt ins Bundestagswahljahr mit zwei Landtagswahlen zu interpretieren, als die Meldung vom vorläufigen Impfstopp mit dem Astrazeneca-Wirkstoff zum beherrschenden Thema wurde. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl beschreibt die Gleichzeitigkeit die Lebenswirklichkeit unter Pandemie-Bedingungen. Was in normalen Zeiten für tagelange intensive Diskussionen gesorgt hätte, in Talkshows landauf, landab mit der Frage nach Grokos und Ampeln für Gesprächsstoff gesorgt hätte, musste kurzfristig hinter ganz anderen und durchaus existenziellen Fragen zurückstehen.
Die Sehnsucht nach einigermaßen Normalität in einem Leben mit dem Virus, nach einigermaßen Planbarkeit und Sicherheit, wird die nächsten Monate, wird das Wahljahr 2021 bestimmen. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Ergebnisse der Landtagswahlen lesen.
Dabei haben nur wenige Tage im März die Ausgangslage für die Bundestagswahl deutlich verändert. Die Union ist vom sogenannten „Maskenskandal" ins Mark getroffen, und nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeichnet sich ab, dass eine Regierungsbildung auch ohne Unions-Beteiligung nicht mehr völlig undenkbar ist. Die Verluste bei den Wahlen waren für die CDU zwar schon schmerzhaft, standen aber auch im Zeichen der länderspezifischen Konstellationen mit zwei angesehenen und beliebten Amtsinhabern. Tage später wies der Deutschlandtrend den Vertrauensverlust bundesweit aus, die Union büßte vier Punkte ein und rutscht unter die 30-Prozent-Marke. Die durchaus konsequente Haltung der Unionsführung gegenüber den jetzt Ex-Mitgliedern hat offenbar nicht die erhoffte Befreiung gebracht. Die Erfahrung lehrt, dass eine solche Spirale, ist sie erst einmal in Gang, eine Eigendynamik entwickeln kann.
Grüne profitieren von Regierungskrise
Gleichzeitig gerät der über lange Zeit der Pandemie angesehene Gesundheitsminister von Tag zu Tag mehr unter Druck. Jens Spahn, lange als Aspirant auf die immer noch offene Kanzlerkandidatur der Union gehandelt, agiert unglücklich, zieht den Spott eines „Ankündigungsministers" auf sich und gerät zunehmend unter Erklärungszwang.
Schon vor den jüngsten Verwirrungen um den Astrazeneca-Wirkstoff hat das Empfinden der Menschen, gut regiert zu werden, deutlich gelitten. Auch das fällt auf die Union zurück, die zuvor umgekehrt von einer positiveren Meinung über das Krisenmanagement profitiert hatte. Die weiter offene Frage der Kanzlerkandidatur mag ein Übriges zu dem Eindruck beitragen, dass man bei der Union nicht recht weiß, wo man dran ist. Der neue CDU-Chef Armin Laschet hat dazu jedenfalls noch wenig Hinweise gegeben.
Die SPD hat dagegen Klarheit geschaffen, personell und programmatisch. Dass die Sozialdemokraten derzeit auch noch ein ungewohntes Bild der Geschlossenheit abgeben und sich insbesondere durch den Wahlsieg von Malu Dreyer beflügelt sehen, ist sicherlich keine schlechte Ausgangsbasis, auch wenn der Weg zurück auf Platz zwei in der Parteienlandschaft noch langen Atem erfordert.
Dort haben sich die Grünen bekanntlich festgesetzt. Auch sie profitieren erkennbar davon, dass die Partei einen geschlossenen und entschlossenen Eindruck macht. Aber auch sie haben die Frage nach der Kanzlerkandidatur bislang nicht offiziell geklärt, was ihnen aber – im Gegensatz zur Union – nicht sonderlich als Manko angekreidet wird. Das überrascht. Schließlich war die Möglichkeit, dass erstmals ein Grüner oder eine Grüne ins Kanzleramt einzieht, nie so groß wie zur Zeit. Innerparteilich läuft wohl alles auf Annalena Baerbock als Spitzenkandidatin hinaus.
Für FDP-Chef Christian Lindner haben die Landtagswahlen Luft geschaffen. Sein Kurs der Kritik an den Lockdown-Maßnahmen hat einen spezifischen Ansatz verfolgt, der die liberale Opposition wieder sichtbar gemacht hat in einer Zeit, die allgemein als Zeit der Exekutive in der Krisenbewältigung gilt. Zudem hat er die Partei mit Generalsekretär Volker Wissing für den Wahlkampf neu aufgestellt. Dass über eine Möglichkeit einer Ampel im Bund diskutiert wird, hat auch damit zu tun, dass man mit den Liberalen rechnet. Beflügelt sicherlich auch von den Landtagswahlen, legen sie beim Deutschlandtrend um zwei Punkte auf zuletzt neun Prozent zu.
Die Linke konnte bei den Wahlen keine Signale setzen, wie sie überhaupt während der Pandemiezeit wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Im bundesweiten Trend (um die sieben, acht Prozent) hat sich im Grunde nichts verändert. Dass die Partei als Erste eine rein weibliche Doppelspitze gekürt hat, hat bislang nur für Schlagzeilen um den Parteitag gereicht. Susanne Henning-Wellsow und Janine Wissler bleibt wenig Zeit, um bis zur Wahl Profil zu gewinnen.
Die AfD scheint sich auf einem gewissen Sockel von Stammwählern einzupendeln. Der Versuch, von „Querdenkern" und anderen Gegnern der Corona-Maßnahmen zu profitieren, hat offenbar wenig gefruchtet. Legt man die Landtagswahlen zugrunde, haben die Parteien an den politischen Rändern im Gegensatz zu etlichen Befürchtungen in den angespannten Krisenzeiten zumindest bislang nicht profitiert.
Diese Ausgangslagen werden zumindest die nächsten Wochen in der politischen Auseinandersetzung mit bestimmen. Nach Ostern werden sich zunächst Union und Grüne personell entscheiden, bis zu den Sommerferien wollen die Parteien ihre endgültigen inhaltlichen Angebote in Form von Wahlprogrammen auch offiziell beschlossen haben. Und ansonsten gilt auch für Strategen und Wahlkämpfer das Gleiche wie für alle: Nichts ist wirklich fest planbar in diesem Jahr.