Bei Ferrari wurde Sebastian Vettel zu einem Auslaufmodell – zu einer „unerwünschten Person". Bei seinem neuen Rennstall Aston Martin ist der Vierfach-Champion der neue Messias. Als Heilsbringer soll der 33-Jährige dem Team mit seiner Erfahrung und Strahlkraft neue Impulse verleihen.
Exakt 120 Tage lang war Sebastian Vettel nach seinem Rausschmiss bei Ferrari in einem vertragslosen Zustand. Nach einer sechs Jahre mehr oder weniger intensiven Beziehung war die anfangs euphorische Liebe mit den Roten Ende 2020 endgültig erloschen. Die neue „Flamme" des Deutschen heißt jetzt Aston Martin, ein britischer, grüner Rennstall. Dessen Teamchef Otmar Szafnauer und sein neuer Angestellter kennen sich seit Jahren, sind befreundet. Wen wundert’s da, dass ein viermaliger Weltmeister mit offenen Armen empfangen wurde, was der Neuankömmling wohlwollend bestätigte: „Das ganze Team hat mich sehr herzlich willkommen geheißen. Alle sind offen und freundlich. Sie haben es mir sehr leicht gemacht, mich bei ihnen einzufinden." Was die beiden letzten Jahre in seiner Ferrari-Ära nicht mehr der Fall war. Blicken wir ein letztes Mal zurück auf Vettels „rote Zeit":
Am 12. Mai 2020 war es dann überraschend auch amtlich: Ferrari und Vettel gehen am Ende der Saison getrennte Wege. Und zwar nach eingehenden Gesprächen in beiderseitigem Einvernehmen. So jedenfalls vermittelte es der offizielle Pressetext. Zwei Monate später kam Vettel mit der Wahrheit: „Ich wurde quasi vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Ferrari-Entscheidung ist für mich aus heiterem Himmel gekommen. Mein Chef Mattia Binotto hat mir einfach knallhart gesagt, dass es zwischen mir und Ferrari keine gemeinsame Zukunft mehr geben wird. Ich wurde also kalt abserviert, gefeuert, vom Hof fortgejagt."
„Ich wurde gefeuert, vom Hof fortgejagt"
In Abu Dhabi, wo Vettel 2011 vor zehn Jahren im Red Bull seinen ersten von vier WM-Titeln gefeiert hatte, verabschiedete er sich als Ferrari-Pilot mit Rang 14. Als WM-13. schnitt er so schlecht ab wie seit seiner (halben) Debüt-Saison 2007 nicht mehr. Ferrari beendete die Konstrukteurs-WM 2020 auf Rang sechs, nur 1980 war der erfolgreichste Rennstall der F1-Geschichte tiefer klassiert. Vettel hatte den Italienern immerhin noch nach 118 Rennen 14 Siege beschert. Trotz seiner Frust- und Seuchensaison 2020 mit seiner „Roten Gurke", die oftmals „unfahrbar" war, ist Vettel zwar ohne fünften WM-Titel, aber nicht im Groll von seiner ehemaligen „roten Familie" geschieden „Ich habe meinen Frieden geschlossen. Ich weiß, dass das nicht mein gewohnter Standard war. Da schaue ich vor allem auf mich selbst. Ich wäre glücklich gewesen, Tonnen von Druck zu haben, um die WM zu gewinnen. Ich würde aber nicht sagen, dass ich irgendetwas aus meiner Ferrari-Zeit bereue. Es gab Höhen und Tiefen. Beide gehören zusammen. Ich glaube, dass ich viel gelernt habe", so der ehemalige, aber am Ende gescheiterte, Hoffnungsträger in Rot.
Die Lust an der Formel 1 ist dem Vierfach-Champion aber nicht vergangen, „obwohl ich in den vergangenen zwei Jahren jede Menge Kritik auch von außen einstecken musste", gesteht Vettel. Nach seiner „roten-Ära" startet der Heppenheimer mit 33 Jahren in seine „grüne Zukunft". Sein Wunsch, bei Red Bull oder Mercedes anzudocken, blieb ihm verwehrt. Bei beiden Teams war die Tür zu. Blieb eigentlich nur noch das Mittelfeld-Team Racing Point, das durch den (Marketing-)Namenswechsel zu Aston Martin wurde. Es war, so viel wurde schnell klar, Vettels einzige echte Option, in ein Formel-1-Auto 2021 zu steigen. Das kostete Bahrain-Sieger Sergio Perez seinen Platz beim WM-Vierten. Der Mexikaner ist aber bei Red Bull untergekommen, wo er wiederum den Thai-Briten Alexander Albon verdrängte und Teamkollege von Max Verstappen ist.
„Keiner verlernt, wie man ein Auto schnell fährt"
Vettels neuer Technikdirektor Andy Green macht aber jetzt schon seinem ersten Ansprechpartner dicke Komplimente: „Jeder weiß, was für ein großartiger Rennfahrer Sebastian ist. Keiner verlernt, wie man ein Auto schnell fährt. Wir können Seb das bieten, was er braucht, um auf das Niveau zurückzukehren, das wir von ihm kennen und erwarten." Dem 53-maligen Grand Prix-Sieger wird jedenfalls das Vertrauen entgegengebracht, bei dem einen oder anderen Rennen auf das Podium zu fahren. Dem Hessen ist aber auch klar: „Um Meister zu werden, brauchst du auch 2021 einen Mercedes."
Noch aber haben die „Schwarzpfeile" bei den F1-Testfahrten in Bahrain nicht ihr ganzes Potenzial gezeigt. Schnellster war Max Verstappen im Red Bull, angetrieben von einem japanischen Honda-Motor. Für Weltmeister Lewis Hamilton im Mercedes und Sebastian Vettel im Aston Martin mit einem Mercedes-Motor waren die Testtage nicht gerade berauschend. Der Deutsche aber scheint dennoch hoffnungsvoll in die Saison zu starten. „Das Auto fühlt sich trotz zickiger Getriebeprobleme vielversprechend an", so sein Fazit. Vettel, von der Technik ausgebremst, wirkt enthusiastisch wie lange nicht. „Auch wenn ich schon für vier Formel-1-Teams und viele Jahre lang gefahren bin, ist es für mich immer noch aufregend, eine neue Saison mit einem neuen Team zu beginnen", so Vettel. „Als Fahrer habe ich immer ein Auge auf die Konkurrenz geworfen, und dieses Team hat mich immer wieder mit dem beeindruckt, was sie ohne das größte Budget erreichen konnten", stellte Vettel fest. Mit wenig Budget habe man schon als Team unter dem Namen Force India am meisten herausgeholt.
Grün ist also die Hoffnung für Vettels weitere F1-Zukunft. Nach Jordan, Midland, Spyker, Force India und Racing Point hat Vettels Team jetzt mit Aston Martin den sechsten Namen in 30 Jahren, seit der Ire Eddie Jordan 1991 den gleichnamigen Rennstall gegründet und zu vier Siegen geführt hat, unter anderem mit dem Mönchengladbacher Pilot Heinz-Harald Frentzen. Aber erstmals tritt man in dieser Saison als Werksteam an. Der Bolide mit der Typenbezeichnung AMR21 ist eine Evolution (Weiterentwicklung) des Vorjahrsmodells von Racing Point.
In drei Jahren um die WM mitfahren
Einen großen Fürsprecher hat Sebastian mit seinem neuen „Grünen"-Chef Otmar Szafnauer. Man werde Sebastian sozusagen „Liebe" entgegenbringen, so der gebürtige Rumäne. Von seinem Neuzugang Sebastian Vettel verspricht sich Szafnauer viel. Mit Blick auf den Heppenheimer betonte er: „Sebastian ist jemand, von dem wir alle lernen können, und seine Integration in das Team verlief sehr reibungslos – wie man es von jemandem mit so viel Erfahrung erwarten kann. Für mich ist klar, dass Sebastian nichts von seiner Grundschnelligkeit verloren hat. Er hat gewiss nicht vergessen, wie man einen Rennwagen fährt. Seine Arbeitsethik ist vorbildlich. Jetzt liegt es an uns, ihm ein wettbewerbsfähiges Auto zu geben", so Szafnauer. Von Vettels Können überzeugt ist auch Teameigentümer Lawrence Stroll, Vater von Vettels Stallgefährte Lance Stroll. Der kanadische Mode-Milliardär hat vor zwei Jahren das Racing-Point-Team gekauft und ist als Hauptinvestor (25 Prozent) beim britischen Sportwagenhersteller eingestiegen. Die britische James-Bond-Traditionsmarke gibt 61 Jahre nach ihrem letzten Auftritt in der Formel 1 ein Comeback in der Königsklasse. Podestplätze oder gar Siege waren 1959 und 1960 Fehlanzeige – was sich aber jetzt ändern soll. Ziel für die Saison 2021 sei es, „regelmäßig auf dem Podium zu stehen und ein paar Rennen zu gewinnen", so Lawrence Stroll. Das ehrgeizige Ziel für die neue Saison ist klar definiert: „Wir wollen als Aston-Martin-Team Dritter in der Konstrukteurswertung werden." In „drei bis fünf Jahren" wolle man in der Lage sein, sogar um die Weltmeisterschaft mitzufahren, heißt es vom britischen Rennstall.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff glaubt, dass Sebastian Vettel bei Aston Martin noch einmal aufblühen kann. Bei Ferrari habe es vor allem auf menschlicher Ebene nicht mehr gepasst. „Sebastian war in den letzten Jahren in einer Abwärtsspirale, wo meiner Meinung nach gerade das Zwischenmenschliche einen großen Faktor hatte", so Wolff. Auch sein Fahrer Lewis Hamilton will seinen Dienstwagen „bestmöglich verstehen lernen. Wir werden erst im Qualifying am Samstag erfahren, wo wir im Vergleich zu den anderen Teams stehen. Dann werden alle mit offenen Karten spielen müssen", so der 36-Jährige, der seinen achten WM-Titel in Angriff nehmen will. Das Rennen startet an diesem Sonntag, 28. März, um 17 Uhr (Sky) in Bahrain und ist der Auftakt von 23 Grand Prix in dieser Saison.