Der Kampf, auf den die Boxwelt seit Jahren wartet, ist endlich perfekt: Die Schwergewichtler Anthony Joshua und Tyson Fury duellieren sich in diesem Jahr gleich zweimal. Es geht um vier Titel, Ruhm, Ehre – und jede Menge Geld.
Tyson Fury trägt zwar eine rote Badeshorts, doch mit der Ästhetik des Serien-Hits „Baywatch" hat dieses Instagram-Video nur wenig gemein. Der Schwergewichts-Weltmeister stürzt sich in der Bucht von Morecambe ins kalte Meer, seine Hose rutscht ihm dabei nach unten, der unverkennbare Bauchring wabert bei den Bewegungen. Aber Fury hat seinen Spaß, und er genießt den Urlaub im Nordwesten Englands auch an der Theke. Im Urlaub trinkt er nach eigener Aussage zwölf Pints Bier pro Tag, das sind umgerechnet knapp sieben Liter. „Ich habe trainiert und trainiert und trainiert, ohne dass es Fortschritte gab – also bin ich jetzt ein Mann der Freizeit", sagte der 32-Jährige bei „iFL TV". Doch schon bald soll dieser „Mann der Freizeit" wieder in den Ring steigen – und zwar nicht gegen irgendwen, sondern gegen den wohl austrainiertesten Box-Weltmeister, den die Sportart je gesehen hat. Der Mega-Fight zwischen WBC-Champion Fury und Anthony Joshua, der die WM-Gürtel der großen Verbände WBA, IBF und WBO hält, ist nach monatelangen Verhandlungen endlich perfekt. „Der schwierige Teil ist immer, alle dazu zu bringen, Stift auf Papier zu bringen", sagte Joshuas Promoter Eddie Hearn. Dies sei nun geschehen, „und wir werden in den nächsten Wochen hart daran arbeiten, um den Ort und das Datum für den größten Kampf im Boxsport zu bestätigen". Zuvor hatte schon Furys Co-Promoter Frank Warren öffentlich bekannt gegeben, dass der Kampf „im Juni, spätestens im Juli" stattfinden werde. Bei der Vereinbarung soll es sich um zwei Kämpfe handeln, „und es hängt vom ersten Kampf ab, was danach wo passiert", ergänzte Warren.
Zwei typen voller Gegensätze
Die Kassen der Boxprofis werden also gleich zweimal klingeln, berichtet wird über je 100 Millionen Pfund (116 Millionen Euro) pro Athlet. Im ersten Duell soll die Börse geteilt werden, beim geplanten Rückkampf im November oder Dezember würde der Sieger 60 Prozent erhalten. Gesucht wird noch nach einem Austragungsort, was sich in Zeiten der Corona-Pandemie als nicht so einfach darstellt. Vor Ort muss ein solches Mega-Spektakel mit Zuschauern behördlich erlaubt sein, und die Veranstalter müssen das nötige Geld mitbringen. Kein Wunder, dass laut Medienberichten Saudi-Arabien beste Chancen auf die Austragung haben soll. Der Wüstenstaat hatte sich schon den WM-Rückkampf im Dezember 2019 zwischen Joshua und Andy Ruiz gesichert und dafür rund 60 Millionen US-Dollar gezahlt. Insider gehen davon aus, dass mit einem Duell Joshua vs. Fury mindestens doppelt so viel Geld zu verdienen ist. Brisanz verspricht nicht nur die Paarung, sondern auch der Einsatz: Der Gewinner wird alle Gürtel der vier großen Verbände vereinen. Einen „Undisputed Heavyweight Champion" hatte es zuletzt 1999 in Lennox Lewis gegeben. Als der wahrscheinlich größte Boxer aller Zeiten, Muhammad Ali, aktiv war, gab es die Verbände WBO und IBF noch nicht. Die Promoter versprechen nun ein ähnliches Spektakel, wie es Ali zu seinen besten Zeiten geboten hat. Es werde ganz sicher Veranstalter oder Staaten geben, die diese exorbitanten Summen zahlen, so Hearn. Auch Katar, Dubai, Abu Dhabi, die USA, Australien, Singapur und China waren im Gespräch. „Das ist der größte Kampf im Boxen und eines der größten Sportereignisse der Welt", sagte der Joshua-Promoter. „Es wird ein großer Gewinn für ein Land, das sich präsentieren will."
So oder so: Die Aufregung in der Szene ist groß, der Kampf der beiden Schwergewichts-Boxer wird schon seit Jahren mit Sehnsucht erwartet. Auch, weil beide Typen voller Gegensätze sind. Hier der kultivierte, eher schüchterne und trainingsbesessene Joshua, der als früherer Amateur technisch sauber und sehr fokussiert boxt. Da der skandalträchtige, extrovertierte und stets provozierende Fury, der trotz seiner Größe von 2,06 Meter sehr beweglich auf den Beinen ist und ebenso schnell die Fäuste durchstechen kann. Als „fast and FURYous" wird dieser unkonventionelle, aber erfolgreiche Boxstil des Briten manchmal bezeichnet. Das musste auch schon Wladimir Klitschko erfahren, als Fury ihm im November 2015 in Hamburg keine Chance ließ und die zehnjährige Erfolgs-Ära des Ukrainers beendete. Furys Plan damals war von Anfang an, „Chaos zu stiften", wie er später zugab. Bei den Pressekonferenzen, als er als Batman verkleidet oder mit einem umgedichteten Bette-Midler-Lied für Verwirrung sorgte. Aber auch im Ring, indem er zwischen Rechts- und Linksauslage wechselte und sich entgegen der Voraussagen erstaunlich fit präsentierte. „Er war die ganzen zwölf Runden lang unglaublich schnell", sagte Klitschko hinterher verblüfft.
Den Fehler, den in 31 Profikämpfen noch ungeschlagenen Fury zu unterschätzen oder auf seine Psychospielchen reinzufallen, will Joshua nicht machen. „Er kann ankommen mit was er will, das ist mir egal. Die Mätzchen bei der Pressekonferenz, die Mätzchen im Kampf, die Hände hinter seinem Rücken", sagte Joshua. Das alles gehöre zu Furys Job, „aber mein Job ist es, die Show zu beenden". Die aktuellen Bilder und Videos vom übergewichtigen und trainingsfaulen Fury nimmt Joshua daher auch nicht besonders ernst. „Mir ist es egal, ob er aktuell ein paar Extra-Kilos drauf hat. Ich bereite mich auf den besten Tyson Fury aller Zeiten vor", sagte der 31-Jährige. Noch aber lässt Fury die Seele baumeln. „Werde ich in den nächsten zehn Minuten gegen Joshua kämpfen? Nein", sagte er. Sollte der genaue Termin feststehen, werde er irgendwann mit dem Training wieder beginnen. Ohne Eile und voller Selbstvertrauen. „Ich brauche sowieso nur sechs, sieben Wochen für diesen Penner", tönte Fury.
Sportlich auf Augenhöhe
Sein letzter Kampf liegt mehr als 13 Monate zurück. Beim K.-o.-Sieg gegen den US-Amerikaner Deontay Wilder zeigte Fury eine phasenweise brillante Leistung. Joshuas letzter Fight ist noch nicht so lange her, im Dezember 2020 schlug er in London den von Ulli Wegner trainierten Bulgaren Kubrat Pulev wenig glanzvoll nach Knock-out in der neunten Runde. Danach fragte Joshua noch im Ring: „Wer will Anthony Joshua 2021 gegen Tyson Fury boxen sehen?" Die Antwort ist: alle. Die einen wollen, dass Joshua dem Maulhelden Fury einen Denkzettel verpasst. Die anderen hoffen, dass Fury mit seiner provokanten und unterhaltsamen Art auch Adonis Joshua zum Einsturz bringt. Sportlich dürften sich beide auf Augenhöhe begegnen, auch wenn sich ihr Boxstil sehr unterscheidet. Doch auch darin besteht der Reiz des Duells. Joshua muss und will beweisen, dass er aus der überraschenden Niederlage gegen Ruiz im Juni 2019 gelernt hat und tatsächlich der unumstrittene Box-Champion seiner Zeit ist. „In mir steckt immer noch so viel, was ich dem Boxen geben möchte", sagte AJ. „Der Pfad zum unumstrittenen Champion ist Teil der Reise, nicht das Ende." Unumstrittener Champion? Da muss Fury lachen. Für ihn ist der muskulöse Joshua nur „ein großes Kuschelbaby" und „überhaupt nicht gefährlich". Dass ihn Ruiz mit einem Kampfgewicht von 136 Kilogramm ausknocken konnte, bestätigte Fury in seiner Meinung über Joshua. „Ich habe ein größeres Herz, bin härter, mental wie physisch stärker. Ich schlage härter, alles spricht für mich", sagte Fury gewohnt selbstdarstellerisch. „Wenn ich auf ihn zurolle, kann er das nicht händeln." Das sei, „wie mit einem T-Rex zu ringen", veranschaulichte der Boxer, „er kann nicht gewinnen. Ich bin unzerstörbar."
Im Punkt Trash-Talk wird Joshua definitiv den Kürzeren ziehen, mit dem typischen Ballyhoo im Box-Business fremdelt der Olympiasieger von 2012 noch immer. Der Ehrgeizling arbeitet lieber im Gym an seiner Physis und seiner Taktik. Der K.o. gegen Ruiz sei ein herber Niederschlag gewesen, habe aber auch eine heilende Wirkung gehabt, so Joshua. Der Brite hat sich taktisch neu aufgestellt, er will unberechenbarer boxen. „Ich durchlebe eine enorme Transformation in meinem Kampfstil", berichtete er. „Es ist egal, wen du mir hinstellst, ob klein, groß, schwer, leicht – ich werde in der Lage sein, sie alle zu besiegen." Doch auch Fury ist taktisch sehr variabel, gegen Wilder zum Beispiel überraschte der WBC-Weltmeister mit einer offensiven Gangart. Mike Tyson glaubt, dass Fury weiterhin der deutlich bessere Instinktboxer ist. „Joshua ist ein meisterhafter Puncher, aber man sieht seine Schläge kommen, er telegrafiert seine Schläge", sagte die Box-Ikone im BBC-Interview. „Und das ist ein Rezept, das ins Desaster führt." Desaster – das klingt herrlich in Furys Ohren. Je unübersichtlicher und chaotischer es im Ring zugeht, desto größer sind seine Chancen. Und diese Fläche nutzt er für seinen Spott: „Ich könnte 14 Pints trinken und AJ trotzdem eine Tracht Prügel verpassen."