Praktisch jedes Kind kannte sie: Urte Blankenstein mimte im DDR-Fernsehen 20 Jahre lang Frau Puppendoktor Pille. Nun hat die mittlerweile 77-Jährige über diese Zeit ein Buch herausgebracht.
Berufswünsche hatte Urte Blankenstein viele: Bäckerin, Försterin und Sängerin wollte sie werden. Als Schauspielerin verkörperte sie später sogar einiges davon auf der Bühne. Doch ihre Paraderolle fand die Berlinerin in der fürsorglichen Frau Puppendoktor Pille, die sie von 1968 bis 1988 im DDR-Fernsehen spielte. Über 1.500-mal flimmerte sie im Abendgruß des Sandmännchens über die Mattscheibe und gab nicht nur Puppenmuttis Tipps. In der DDR kannte die Darstellerin praktisch jedes Kind. Ihr bürgerlicher Name Urte Blankenstein war dagegen weitgehend unbekannt. Auch dass die Berlinerin schon vor der Wende viele West-Tourneen bestritt, wussten im Osten nur wenige.
In den 90er-Jahren erklärten sie diverse Medien mal für tot – weil eine ihrer beiden Vorgängerinnen in der Rolle von Puppendoktor Pille (Helga Labudda) verstorben war. „Es handelte sich um eine Verwechslung, die sich im Blätterwald verselbständigte", lächelt Urte Blankenstein. Sie ist eine von den Gesprächspartnerinnen, bei denen man gleich weiß, dass ein Zeitungsbeitrag nicht ausreicht, um alle Geschichten und Anekdoten aufzuschreiben. Bloß gut, dass die studierte Schauspielerin in ihrer Autobiografie „Habt ihr Kummer oder Sorgen …" (Bild und Heimat) ausführlicher wird. Dazu stellte ihr der Verlag Co-Autor Frank Nussbücker zur Seite. „Das tat man ganz sicher, um meinen Schreibfluss zu stoppen", scherzt die Berlin-Köpenickerin. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie drei Bücher geschrieben, wie sie erklärt. „Ich habe mich ganz schön am Riemen gerissen."
Mit Kinderprogramm auch auf Tournee
Im Buch verrät Urte Blankenstein, dass sie beim Fernsehen auch als Regieassistentin arbeitete, unter anderem für „Oberhofer Bauernmarkt" und „Wunschbriefkasten". „Außenseiter – Spitzenreiter"-Moderator Hans-Joachim Wolfram wollte die „Pille" sogar mal als Co-Moderatorin, was die Ost-Fernsehchefs jedoch ablehnten. Erst nach der Wende moderierte mit Ex-Eiskunstlauf-Weltmeisterin Christine Errath auch eine Frau das Magazin. Zeit für noch mehr Fernsehjobs wäre laut Urte Blankenstein gewesen, denn alle übers Jahr ausgestrahlten „Pille"-Folgen wurden in nur sechs Wochen (dreimal 14 Tage) aufgezeichnet.
Dafür spielte Urte Blankenstein immer mehr live. Das TV-Format direkt vor Kindern umzusetzen, schien anfangs aber schwerer als gedacht: „Beim hundertsten Tipp für besorgte Puppenmuttis, ihren Lieblingen bei Halsschmerzen einen Schal umzubinden, wurde anderen Kindern schnell langweilig. Auch fehlende Puppenaugen konnte ich natürlich nicht ersetzen", blickt die 77-Jährige zurück. Bei Liveauftritten trug sie übrigens einen weißen Arztkittel, im Fernsehen dagegen gelb – wegen der Farbtäuschung im Studio.
Den ersten West-Auftritt vermittelte ihr Bühnenpartner Dr. Peter Kersten („Zauberpeter") Anfang der 80er-Jahre in Wien. Danach war sie mit ihrem Kinderprogramm oft und für längere Zeit in Westeuropa auf Tournee, unter anderem in Dänemark, Belgien sowie in der Bundesrepublik. Häufig ging es nach Villingen-Schwennigen in Baden-Württemberg. Bereits vor 1990 sah Urte Blankenstein Florenz und Venedig, wovon sie damals nur im kleinsten Kreis berichtete. „Abhauen" kam aber nie infrage, betont die Künstlerin. Sohn Mathias lebte schließlich daheim in Ostberlin und ihren Beruf hätte sie in der Form im Westen nicht ausüben können, ist Blankenstein sich sicher.
Zu Hause ist sie seit vielen Jahren im Berliner Südosten: „Ich liebe Köpenick mit dem vielen Grün und Wasser. Auch Grünau mag ich. Dort wohnt eine Kollegin direkt am Wasser." An Berlin schätze sie das Großstadtflair, die Theater und Konzertsäle. Leider sei die Hauptstadt in den letzten Jahren sehr laut und schmutzig geworden.
Doch dafür liege die Mark Brandenburg schließlich um die Ecke. So oft es geht, fährt Urte Blankenstein zur Datsche des Sohns nach Strausberg bei Berlin. „Seen gibt es dort zum Aussuchen. Mit meiner Enkelin Clara schwimme ich gern um die Wette. Sie siegt natürlich immer", so die Frau, die sich selbst als „Baderatte" bezeichnet. Dieser Leidenschaft fröne sie auch bei ihrer Freundin Carola Krautz-Brasin im brandenburgischen Neu Zittau zwischen Spree und Dämeritzsee. „Dort fielen uns auch die Lieder für unser Küchenlieder-Programm ein. Und uns fiel auf, wie oft die Mädchen in den Liedern ins Wasser gehen. Allerdings nicht zum Baden", so Urte Blankenstein.
Märkische Ausflüge führten aber auch oft nach Frankfurt/Oder, dorthin, wo Urte Blankenstein 1966 als Schauspielerin am Kleist-Theater begann. „Fast immer zieht es mich zu den ‚Oderhähnen‘, zu den lieben Kollegen und meiner Freundin Dagmar Gelbke. Es ist so ein herrliches Kabarett, ich bewundere diese Künstler. Vorher bummle ich durch die Stadt und schwelge in Erinnerungen."
Drehte auch auf Festen das Glücksrad
Dass in über 50 Bühnenjahren viel passierte, verstehe sich von selbst, schmunzelt Urte Blankenstein. Die Mimin erinnert sich an das wöchentliche Fernsehformat „Tele-Lotto", das sie ein- bis zweimal im Jahr moderierte. Die Sendung wurde jeweils kurz vor der Ausstrahlung aufgezeichnet. „Da ich ganz in der Nähe wohnte, schaffte ich es häufig, ‚Tele-Lotto‘ zeitversetzt bei mir zu Hause zu sehen." Einmal sei sie genau zur Sendezeit – zur vermeintlich original ausgestrahlten Ziehung der Lottozahlen – von einem Fernsehzuschauer angerufen worden. Der war konsterniert: „Ich denke, Sie sind im Sender und machen ‚Tele-Lotto‘. Das ist ja Beschiss", gibt Blankenstein die männliche Stimme wieder. Wer jener Anrufer war, wisse sie bis heute nicht.
Nur wenn die TV-Kultfigur „Tele-Lotto" moderierte, tippte sie auch. „Einmal gewann ich 30 Mark. Meine Sorge, wie ich es mir nicht anmerken lasse, wenn ich einmal den Hauptgewinn hätte, war über die Jahre hinweg unbegründet", lächelt die Darstellerin. Die staunte nicht schlecht, als zu ihrem Kinderprogramm in Gera mal ausschließlich Erwachsene – allesamt Eltern kleiner Fernsehzuschauer – erschienen. „Das war für mich eine große Überwindung." Doch als alle bei Kniebeugen und Märchenraten mitmachten, war klar, dass es funktioniert. Heute wird die Darstellerin auch gern mit ihrem Küchenlieder-Programm für Erwachsene „Eintopf und Frauenzimmer" mit Carola Krautz-Brasin gebucht.
Als Aufträge nach der Wende ausblieben und das DDR-Fernsehen abgewickelt wurde, buk Urte Blankenstein kleinere Brötchen. Sie moderierte im Europa-Park Rust, arbeitete als Werberin und Spielmeisterin oder drehte für einen Schaumweinhersteller auf Festen das Glücksrad. „Die für mich neue Tätigkeit forderte mir eine große Überwindung ab. Ich stand vor Kaufhallen, manchmal auch drinnen, und musste die Leute ansprechen." Hinter einer Rolle konnte sie sich nicht verstecken, erinnert sich Urte Blankenstein. Vielmehr musste sie nun auf fremde Menschen zugehen, was ihr den eigenen Worten nach anfangs schwerfiel. Im Osten erkannten die Berlinerin viele an ihrer Stimme. „Die meisten sprachen mir Mut zu und sagten: ‚Toll, dass Sie das machen‘."
Ob das Format „Puppendoktor Pille" heute immer noch im Fernsehen denkbar wäre? „Ich bin der Meinung, dieses Format ist nicht nur denkbar, sondern auch nötig. Als Ruhepol zu all dem Schrillen, Lauten, Flüchtigen – gerade für die ganz Kleinen! Es gibt gute Sendungen für Kinder, dort würde eine Puppendoktorin auf jeden Fall hineinpassen. Es kommt doch nicht von ungefähr, dass diese Figur so beliebt war."
Nur eine Frage bleibt im Buch und auch im Austausch mit Urte Blankenstein unbeantwortet: Ob beziehungsweise welche Männer in ihrem späteren Leben eine Rolle spielten? Die taffe Seniorin winkt ab: „In ‚Habt ihr Kummer oder Sorgen …‘ geht es um mein Leben als Puppendoktor Pille. Aber das ist eine Idee für ein zweites Buch: ‚Urte Blankenstein privat‘."
Heute wie damals verabschiedet sich Urte Blankenstein auf Kinderveranstaltungen mit ihrem legendären TV-Gruß: „Habt ihr Kummer oder Sorgen, dann schreibt gleich morgen an Frau Puppendoktor Pille mit der großen runden Brille!"