20 Jahre und 260 Episoden „Um Himmels Willen": Die ARD ist der Überzeugung, dass man aufhören sollte, wenn es am schönsten ist. Am 30. März beginnt die letzte Staffel. Im Interview spricht Fritz Wepper über das überraschende Ende, Dreharbeiten mit Heinz Rühmann und seinen 80. Geburtstag am 17. August.
Herr Wepper, ist „Um Himmels Willen" nach 20 erfolgreichen Staffeln auserzählt oder hätten Sie gern weitergemacht?
Letzteres, weil die Nachricht sehr überraschend kam. Normalerweise wäre jetzt die Zeit gewesen, mich anzurufen, damit wir im April weiterdrehen können. Da hätte ich natürlich zugestimmt. Aber der Produzent der Serie hat sich bei mir angekündigt, und ich habe ihn bayerisch bewirtet mit Weißwürschtl und Brezeln. Er hat mir dann die Entscheidung der ARD übermittelt.
Nicht nur, dass die finale Staffel während der Pandemie abgedreht wurde. Sie kämpften während der Dreharbeiten auch gegen eine Krebserkrankung an – erfolgreich. Waren das die härtesten Dreharbeiten Ihres Lebens?
Das kann ich so nicht sagen. Man hatte bei mir ein Melanom vermutet, weil ich Metastasen hatte. Einen Tag vor Heiligabend bekam ich von meinen Ärzten aus Innsbruck die sehr gute Nachricht, dass sich die Metastasen rückläufig verhalten. So bin ich auf einem sehr guten Weg.
Ist diese Pandemie das Schlimmste, was Sie je erlebt haben?
Der Tod meiner Frau war für mich wesentlich schlimmer. Aber wer hätte sich diese Pandemie vor zwei Jahren träumen lassen, als wir das Leben noch voll und ganz genossen haben. Wenn wir wieder in ein normales Dasein zurückgehen dürfen, werden wir das Leben viel bewusster wahrnehmen als vorher.
Wie waren die Dreharbeiten unter Corona-Bedingungen?
Sie sollten eigentlich Ende April 2020 beginnen, aber ich konnte dann Ende Juni endlich anfangen. Ich wurde dreimal in der Woche getestet und das Team zweimal. Die trugen alle Mundschutz. Das ist ja auch sinnvoll. Wir hatten keinen einzigen Vorfall. Wir haben dann bis in die zweite Dezemberwoche hinein gedreht. Der letzte Tag am Set war zugleich das Ende des Films, wo wir alle zusammen ein Lied anstimmen, das wir an unsere treuen Zuschauer adressieren. Gerade in der Corona-Zeit herrschen die schlechten Nachrichten vor, bei denen als einzige positive Aussicht vielleicht ein Sonnenschein prognostiziert wird. Von vielen Leuten weiß ich, dass sie sich nach den 20-Uhr-Nachrichten entspannt auf der Couch zurücklehnen und sich von unserer Serie unterhalten lassen.
Mit welchen Gefühlen haben Sie die letzte Staffel gedreht?
Zuerst war es ganz normal. Dadurch, dass wir durch Corona nicht aufgehalten worden sind und trotzdem drehen konnten, hatten wir ein Glücksgefühl. Ich habe selten so entspannt vor einer Staffel gestanden wie letztes Jahr. Aber vor der letzten Folge kam der Produzent zu mir, um mir die Entscheidung der ARD mitzuteilen.
Wie würde Wöller sich in der gegenwärtigen Pandemie als Krisenmanager verhalten?
Wöller hat ja nicht mehr die Chance bekommen, in der Pandemie aktiv zu sein. Es war auch nicht Gegenstand dieser Staffel, obwohl wir sie in der Zeit gedreht haben. Aber es ist schwer, mit Mundschutz zu arbeiten. Die Atemmaske killt ja auch die Aussprache.
Zeigt Wöller in der finalen Staffel neue Seiten?
Er ist ziemlich herausgefordert, weil zwei Kontrahenten um das Bürgermeisteramt aufgetaucht sind. Einer davon ist sein engster Vertrauter, was ihn natürlich seelisch enttäuscht.
Seine Top-Themen beim Kampf um das Bürgermeisteramt: neue Arbeitsplätze und die schwächelnde Konjunktur. Ist Wöller ein Mann der Zukunft?
Zur realen Politik von heute will ich mich nicht äußern. Wöller ist natürlich ein langjähriger Würdenträger, der zum Oberbürgermeister wurde. In dieser Staffel führt er kein einfaches politisches Leben. Wie sich das entwickelt, ist spannend anzusehen.
Ein neues weibliches Wesen tritt in Wöllers Leben. Hat diese Dame aus China die Fähigkeit, ihn nervös zu machen?
Ja. Die Frauen haben ihn wahrscheinlich alle nervös gemacht. Er war ja mal verheiratet und hat auch afroamerikanische Enkelkinder. Er ist rassistisch nicht voreingenommen. Das entspricht schon mal meiner eigenen liberalen Gesinnung. Aber in dem Fall ist es eine rein politische Schwierigkeit. Denn wenn man in Kaltenthal zur Wahl geht, steht nicht nur einer auf dem Zettel.
Braucht man auch eine Distanz zu Bayern, um in solch einer satirischen Serie mitspielen zu wollen?
Nein, nein, ich empfinde diese Serie gar nicht als sehr satirisch, sondern als recht glaubwürdig. Zumindest habe ich das von echten Lokalpolitikern bestätigt bekommen. Sie meinten: „Herr Wepper, genauso, wie Sie das darstellen, ist es!" Ich habe handfeste Politiker wie Rainer Barzel, Franz-Josef Strauß und Markus Söder persönlich kennengelernt, die ihr Land verteidigt haben. Das ist schon sehr aufregend.
In Bayern gibt es den berühmten Kabarettisten Gerhard Polt. Haben Sie seinen Wortwitz und seine Ausdrucksweise in die Figur des Wöller mit einfließen lassen?
Ich betrachte mich jetzt nicht als Komiker, sondern als Komödianten. Die Lach- und Schießgesellschaft und die Cabarets waren immer alle links orientiert und kämpften gegen die bösen Rechten oder die CSU. Gerhard Polt hat die sogenannte DDR immer Dädärä genannt. Das fand ich mehr als gerecht. Ich habe seinen Witz immer schon geliebt.
Ist Komödie schwerer als Tragödie?
Das kann man so nicht sagen. Von der Darstellung her ist richtig Lachen zumindest schwieriger als richtig Weinen. Ich habe im Film „Die Brücke" echt geweint, ich weiß, worüber ich rede. Aber wir müssen auch manchmal lachen, wenn wir drehen, obwohl es gar nicht im Drehbuch steht. Man ist beim Spielen angespannt, und wenn ein Witz fällt, lacht man natürlich umso mehr.
Haben Sie typische Wöller-Worte im Lauf der Zeit in Ihren eigenen Sprachschatz übernommen?
Er hat auch etwas von mir, weil ich die Aufgabe habe, geschriebene Rollen wie diese mit Leben auszustatten. Am Theater lernt man, den Zuschauern einen Spiegel vor die Augen zu halten. Wobei die Theatermaske eine lachende und eine weinende ist. Wöller hat manchmal auch ein fragwürdiges Verhalten. Also, ich bin nicht ganz so schlimm wie er.
Wird der eitle, profitgierige Wöller am Ende sprichwörtlich „vom Saulus zum Paulus"?
Nicht unbedingt. Eine einseitige Beurteilung von Wöller gibt es nicht, weil er so vielschichtig ist, wie der Wepper ihn gemacht hat. Es gibt an ihm Positives und Negatives. Ich musste dieser Figur nur das Leben und die Bewegungen einhauchen. Die Zuschauer mochten ihn trotz mancher Widerhaken.
Könnte Wöller theoretisch auf der Theaterbühne weiterleben?
„Derrick" gab es ja auch als Zeichentrickfilm. Die Zuschauer sind aber an die Ebene des Realfilms gewöhnt. Veränderungen werden da nicht besonders gutgeheißen.
Stellt Wöller sich eigentlich Fragen wie: Wie denken andere über mich, was haben die für ein Bild von mir?
Ja, aber nicht so direkt. Es kommt auf die Situation an. Wöller ist manchmal von der Schwester Hanna herausgefordert, was sich sehr von der Realität entfernt. Sie belästigt ihn so, dass man von jedem vernünftigen Bürgermeister erwarten würde, dass er ihr Hausverbot erteilt. Aber es ist für Komödianten unterhaltsamer, so zu spielen als brav zu agieren.
War die Rolle des Wöller rückblickend die beste Entscheidung in Ihrer beruflichen Laufbahn?
Ich hüte mich vor Superlativen. Ich habe meinen Beruf als Elfjähriger am Münchner Staatstheater in „Peter Pan" begonnen. Ich musste mit einem echten Schwert gegen einen Seeräuber kämpfen. Der ältere Kollege sagte zu mir: „Fritz, wenn du einmal Schauspieler werden willst, dann kommst du zu mir". Und das habe ich umgesetzt. Ich habe jahrelang an der Bühne der Jugend in „Pünktchen und Anton" mitgespielt, wo uns Erich Kästner besucht hat. Das sind unvergessliche Erlebnisse. Und meine Filmkarriere begann mit dem Welterfolg „Die Brücke". Für einen jungen Schauspieler war das etwas Besonderes.
Zu Ihrem 80. kündigen Sie Ihre Autobiografie an. Welchen Wepper-Film wünschen Sie sich als Geburtstagsgeschenk noch einmal im Kino?
Alle. Auch die, die nicht so toll waren, wie die „Blaue Kanone". Natürlich „Die Brücke" und „Cabaret" sowie einige der Fernsehfilme. Meinen ersten Auftritt im TV hatte ich 1956 beim Bayerischen Rundfunk – und zwar live. Eine Kollegin sagte: „Wenn ich mich verspreche, bitte sofort Bildstörung!" Das sind Erfahrungen, die nicht allen Schauspielern vergönnt sind.
Waren Sie anfangs sehr nervös vor der Kamera?
Ich hatte keine feuchten Hände, ich hatte Pfützen in meinen Händen. Aber das hat alles Spaß gemacht. Von meiner ersten TV-Gage habe ich mir meinen ersten Fernseher gekauft.
Wer war Ihr wichtigster Lehrer?
Von meinem Lehrer Rolf Günther habe ich Unterricht in Atemtechnik, Sprechtechnik und Schauspiel bekommen. Er hat auch meine Tochter und viele andere ausgebildet. Ich habe mit elf Jahren angefangen und Größen wie Heinz Rühmann, Gert Fröbe, Liselotte Pulver und Maria Schell kennengelernt.
Wie war es, mit dem großen Volksschauspieler Heinz Rühmann zu arbeiten?
Großartig. Ich saß mit Heinz Rühmann zum ersten Mal im Flieger, als wir mit Peter Kraus und Ernst Reinhold den Film „Der Pauker" drehten. Er
flog uns mit seiner Einmotorigen über alle Seen Bayerns: Ammersee, Schliersee, Chiemsee, Tegernsee. Später drehten wir die Komödie „Mein Schulfreund" zusammen. Rühmann war von mir angetan, tätschelte immer meine Hände. Wir haben sogar zusammen Golf gespielt. Auch bei der Oscarverleihung 1960 sind wir uns auf herzliche Weise begegnet.
Haben Sie damals mit einer internationalen Karriere geliebäugelt?
Ich bekam nach „Cabaret" ein Angebot von einem Produzenten. Er meinte, solche Filme solle ich nicht machen. Ich dachte, er scherzt. Er selbst war ein erfolgloser Schauspieler, der durch seine ältere Frau durchgefüttert wurde. Später war er Aufnahmeleiter und hat einen Teil meiner Kollegen kennengelernt, die ihn dementsprechend behandelt haben. Da fertigte er eine schwarze Liste an. Die da draufstanden, durften nicht in „Der Kommissar" und „Derrick" mitspielen. Er war auch derjenige, der mich nicht zur Oscarverleihung gelassen hat. Das werde ich ihm nie verzeihen. Auch wenn er jetzt unter der Erde liegt.
„Der Kommissar" hat ab 1969 Maßstäbe gesetzt fürs deutsche Fernsehen und für deutsche Krimiserien. Und „Derrick" wurde zwischen 1974 und 1998 zur meistverkauften deutschen Serie der Fernsehgeschichte. Sie wurde in über 100 Ländern ausgestrahlt. Wurden Sie aufgrund Ihrer Hauptrolle in beiden Serien überall auf der Welt erkennt?
Ich war 30 Jahre regelmäßig in Norwegen. Als ich zum ersten Mal in Oslo landete, haben die Leute mit dem Finger auf mich gedeutet. Ich war aber noch nie da! Das hat halt „Derrick" ausgelöst. Mittlerweile haben sie dort die Serie x-mal wiederholt. Auf dem Oktoberfest in München kam einmal ein Herr auf mich zu und meinte: „Ich möchte Ihnen danken, weil ich durch Sie im Fernsehen Deutsch gelernt habe!" Bei ihm lief „Derrick" im Original mit norwegischen Untertiteln.
Ein Ende Ihrer Karriere ist auch nach fast 70 Jahren noch nicht abzusehen?
Nein, nein, nein. Ich habe ein Angebot für eine neue Fernsehserie. Normalerweise spreche ich nicht über ungelegte Eier, aber wenn man so abgesägt wird von einem Sender, muss man alles Lebendige durchdenken. Es gibt vier Theaterstücke, die ich auf dem Schreibtisch liegen habe. Mögliche Tourneen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Aber man weiß ja nicht, wie Corona die Länder bestimmt.
Sie schreiben auch an einem Buch über Ihre Liebe zu Hunden. Ihr Deutsch Drahthaar Aron ist Ihr „bester Freund". Was zeichnet diese Freundschaft aus?
Ich bin mit Hunden groß geworden. Mein erster Hund wurde leider überfahren. Jeder Abschied von einem Tier war für mich tragisch. Zweimal hatte ich jeweils Vater und Sohn. Die ersten Schritte der Welpen konnte ich gar nicht sehen, weil ich Tränen in den Augen hatte. Ich hatte immer sehr viel Freude mit Hunden. Mein Aron ist mein bester Freund. Ich habe sehr gute menschliche Freunde, aber die wissen genau, was ich damit meine. Ohne Hund bin ich kein Mensch. In dem Buch erzähle ich auch von meinen Erfahrungen mit Löwenbabys. Ich bin Patenonkel von Elvis im Circus Krone. Ich besitze einige Reitpferde und mir ist auch eine Katze zugelaufen. Im Moment erlebe ich wieder meine Vogelwelt vom Specht über Blaumeise und Kohlmeise bis zu Rotkehlchen und Spatz.