Die VHS-Literaturkurse „Hut ab vor den alten Meistern" und „Alles was Mann/Frau wissen muss" – geleitet von Dr. Heribert Leonardy – nehmen die Teilnehmenden mit auf eine vergnügliche Bildungsreise.
Heftige Debatten löste das Buch „Bildung – Alles, was man wissen muss" von Professor Dietrich Schwanitz aus, als es 1999 auf den Markt kam. Auf 697 Seiten hatte der selbsternannte Bildungspapst alles zusammengetragen, was seiner Meinung nach das Wichtigste aus Geschichte, Literatur, Philosophie, Kunst und Musik ist und zum Bildungskanon in Deutschland gehören sollte. Mit seinem Buch war Schwanitz über Nacht zum Chefkritiker der deutschen Bildungspolitik avanciert, da er auch wortgewaltig auf die Bildungsmisere an den deutschen Schulen und Hochschulen hinwies und gnadenlos mit dem unnützen Wissen über die High Society, dem Fernsehprogramm und dem Sport abrechnete.
Das Buch wurde in Talkshows und im Feuilleton rauf und runter durch die Mangel gedreht. Die einen meinten, die ausgewählten Wissensbereiche seien nicht ausreichend; die Naturwissenschaften und andere aktuelle Themen würden sträflich vernachlässigt. Die anderen sagten, das Niveau seines Bildungskanons sei zu hoch. Manche attestierten Dietrich Schwanitz sogar sachliche Fehler.
Nichtsdestotrotz steht seit Schwanitz die Frage im Raum: Was muss man nun wirklich wissen, um als gebildet zu gelten, und wie kann man unser Bildungssystem auf Vordermann bringen, damit all dieses ausgelobte Wissen in die Köpfe der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gelangt?
Interesse an Klassikern wird vorausgesetzt
An diese Fragen knüpft der Kulturwissenschaftler Dr. Heribert Leonardy mit seinen zwei VHS-Kursen an: „Hut ab vor den alten Meistern" bei der VHS Neunkirchen und „Bildung – Alles, was Mann/Frau wissen muss" bei der VHS des Regionalverbandes Saarbrücken.
In beiden Kursen dreht sich alles um die Fragen: Sind die „alten Schinken" wirklich noch von Relevanz? Muss man wirklich wissen, um was es in der „Odyssee" geht? Oder in „King Lear", „Johanna von Orleans" oder „Die Pest"?
„In meinen Kursen braucht keiner Angst zu haben zuzugeben, bestimmte Bücher nicht zu kennen. Jeder kann mitmachen, egal wie alt, egal welche Vorbildung. Hauptsache er beziehungsweise sie hat Interesse daran herauszufinden, was uns die alten Klassiker zu sagen haben, und was man über sie wissen sollte. Wir gehen sozusagen auf eine vergnügliche Bildungsreise", erklärt der 57-jährige Dozent.
Viele kennen Literatur aus der Schule als etwas, was sie nicht ernsthaft interessiert oder wirklich berührt hat, wofür sie sich einfach keine Zeit genommen haben. Viele werden bei Homer vielleicht noch an die „Ilias" denken, oder an das Trojanische Pferd. Aber wie war das damals zwischen den Griechen und Trojanern? Und um was ging es im Trojanischen Krieg? Viele werden staunen, wenn sie hören, dass Achilles schwul war, was im antiken Griechenland vor allem in Form der Knabenliebe gang und gäbe war. Und wie ist das heute? Spannende Fragen, die der promovierte Literaturwissenschaftler, Anglist und Amerikanist nach dem Kennenlernen dieser Klassiker mit den Teilnehmenden des Kurses tagesaktuell diskutieren möchte.
Oder nehmen wir andere Klassiker: Die Stücke von William Shakespeare, zum Beispiel „Macbeth", „Romeo und Julia" oder „Falstaff". Gehört haben davon bestimmt die meisten. Doch wer hat sie gelesen? Um was geht es dabei? Shakespeare selbst lebte in einer Zeit, in der die wenigsten Menschen lesen konnten. Seine Stücke wurden vor allem für die Bühne inszeniert, sie waren sozusagen die Kino-Aufführungen des 16. Jahrhunderts. Dieser wohl bedeutendste englische Dramatiker, Lyriker und Schauspieler hat in einer sehr blumigen Sprache geschrieben, alle seine Themen kreisten um menschliche Konflikte, um tiefe Gefühle wie Liebe, Tod, Loyalität. Also die großen Themen der damaligen und auch der heutigen Zeit. „In meinem Kurs schmökern wir durch diese Klassiker und erleben auf spannende und kurzweilige Weise, wie Schuld, enttäuschte Freundschaften und Feindschaften zwischen zwei Familien uns bis heute berühren."
Selbstverständlich führt in den Literaturkursen von Dr. Leonardy kein Weg an Goethe und Schiller vorbei. Was ist das besondere an „Faust"? Was will uns „Wallenstein" heute noch sagen? Auch hier lohnt es sich, die Geschichten von damals aus heutiger Sicht zu lesen.
Doch nicht nur bei den „alten Schinken" verharrt Dr. Leonardy. Er hat auch moderne Bücher in seinem Repertoire, von denen er überzeugt ist, dass sie zu denen zählen, die man kennen müsse. „Dracula" von Bram Stoker zählt er dazu und „Moby Dick" von Herman Melville.
Bram Stoker griff in seinem Roman „Dracula" damals aktuelle Themen auf, wie zum Beispiel Glauben an Vampire, alte Schlösser, Ahnenflüche und übernatürliche Erscheinungen, die er zu einer Reise-, Liebes-, Abenteuer- und Schauergeschichte verarbeitete.
Literatur wird zum Diskussionsstoff
Melvilles Roman wurde erst berühmt, als der Autor längst gestorben war. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Walfang durchaus populär, doch ein Großteil des Romans kreiste um philosophische und religiöse Exkurse des Autors. Themen, die damals nicht gerade auf der Hitliste der Lesekundigen standen. Als reiner Abenteueroman wäre er bestimmt angekommen. Auch die ausgiebige Beschreibung des Walfangs und das Zerlegen der Wale waren damals eher von geringem Interesse. Erst Anfang der 1920er Jahre wurde „Moby Dick" wiederentdeckt und später durch seine Verfilmung für viele Jugendliche unvergessen. Aber wieso?
Beide Romane stehen für ihre Zeit, in der andere Themen in den Fokus rückten. Nicht mehr Könige oder Kriegsherren waren plötzlich die Helden, sondern einfache Menschen. Diesen Bruch kann man besonders nach dem Ersten Weltkrieg erkennen. In dieser Zeit entstanden Werke, die sich mit den Erlebnissen des einfachen Soldaten auseinandersetzten. Spannend zu sehen, dass mit dem 18. Jahrhundert auch verstärkt Frauen Romane schrieben. Doch welche davon sollte Mann/Frau kennen?
Antworten dazu gibt es in den beiden VHS-Kursen von Heribert Leonardy, der einzelne Passagen aus ausgewählten Büchern vorlesen wird, mit anschaulichen Bildbeispielen und Fragen die Kursteilnehmer locken möchte, ihre Auffassungen von Literatur zur Diskussion zu stellen und gemeinsam herauszufinden, was wirklich zum Bildungskanon zählt.