Der Schnelltest als Pflichtangebot für jedes Unternehmen – zumindest in Berlin ist das bald Gesetz. Auch ein Modell für den Rest des Landes? Das Kanzleramt jedenfalls macht Druck, die Wirtschaft schießt quer und spricht von Organisationsversagen.
In Berlin hat sich der Senat bereits darauf verständigt: Unternehmen in der Bundeshauptstadt müssen ihren Angestellten zweimal pro Woche das Angebot eines Corona-Schnelltests am Arbeitsplatz machen. Gleichzeitig soll die Homeoffice-Auflage strenger werden, um noch weniger Angestellte überhaupt dort auftauchen zu lassen. Laut Senat ist Berlin das erste Bundesland, das diesen Schritt geht, weil die Regeln auf Bundesebene nicht ausreichten und Firmen zu wenig aktiv geworden seien. Demnach sollen Berliner Unternehmen künftig 50 Prozent ihrer Büroarbeitsplätze im Homeoffice anbieten.
Noch immer ist nicht klar, welche Rolle der Arbeitsplatz bei der Ausbreitung des Coronavirus spielt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert deshalb, die Unternehmen flächendeckend in die Pflicht zu nehmen und Tests zur Auflage zu machen. Die Debatte, ob und wie Unternehmen verpflichtet werden sollen, Testangebote zu machen, dauert bereits seit Wochen an. Einen ersten Termin mit den Spitzenverbänden der deutschen Arbeitgeber ließ die Kanzlerin verstreichen. Dabei wünscht sich das Kanzleramt von den Arbeitgebern, dass diese in Eigenregie testen und die Kosten dafür tragen. Diese stemmen sich jedoch dagegen, denn dies kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit für die Organisation dieser Angebote.
Dabei existieren bereits jetzt schon in vielen deutschen Betrieben Schnelltestangebote – in wie vielen, ist jedoch unklar, hier gehen die Zahlen auseinander. In einem Schreiben nun sprach der Bund der Arbeitgeber (BDA), der die Gespräche mit dem Kanzleramt über dieses Thema mit den übrigen Spitzenverbänden koordiniert, von 80 bis 90 Prozent aller Unternehmen, die entweder bereits testen oder Tests vorbereiten. Vor Ostern hatte der BDA seine Mitglieder noch einmal darum gebeten, die „vorhandenen Testkapazitäten zur Unterstützung einer rechtzeitigen Infektionsbekämpfung auszuweiten", so der Verband in einer offiziellen Stellungnahme. Auf der Internetseite wirtschafttestetgegencorona.de bündelt der Verband zusammen mit den übrigen Spitzenverbänden aus Industrie und Handwerk hierzu Informationen und FAQs.
Deutliche Worte richtet der BDA jedoch an die Regierungsverantwortlichen. Kritisiert wird die Haltung der Politik, die glaube, Beschaffungsverzögerungen der notwendigen Schnelltests könnten durch eine Verordnung behoben werden. „Angesichts eines teilweisen Organisationsversagens und Managementfehlern von politisch Handelnden auf Landes- und Bundesebene, wirken (…) drohende Hinweise auf angeblich mangelnde staatsbürgerliche Verantwortung unangemessen auf die Wirtschaft und sollen wohl eher von eigenen Defiziten ablenken", heißt es.
Politik zwischen Pflicht und Selbstverpflichtung gespalten
Ungeachtet der Kritik macht das Kanzleramt weiter Druck. Wenn zu wenige Firmen diese Möglichkeit bis Anfang April anbieten, müssten die Unternehmen dazu verpflichtet werden, kündigte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) an. Ab welchem Anteil die Pflicht konkret eintreten solle, sagte Braun nicht. „Wir haben keine Quote festgelegt. Klar ist, wenn es nicht zwei Drittel bis drei Viertel der Firmen sind, ist es zu wenig." Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor von „Richtung 90 Prozent" gesprochen. Mit der aktuellen Testquote in Unternehmen zeigte sie sich unzufrieden.
Ob die Testkapazitäten in den Betrieben mittlerweile tatsächlich in Richtung 90 Prozent tendieren, bezweifelt eine aktuelle Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Sie spiegelt allerdings die Situation im März wider. Am 9. März hatte der BDA seine Mitglieder erstmals dazu aufgefordert, wo möglich, Schnelltests anzubieten, um Infektionsherde früh zu erkennen. Demnach bieten die Hälfte aller Betriebe ihren Angestellten regelmäßig Schnelltests an oder planen, dies bald zu tun – ausgenommen die Betriebe, die coronabedingt komplett geschlossen sind, wie beispielsweise Gastronomie- und Reisebetriebe, Hotels oder Unternehmen der Kreativbranche. Für größere Betriebe seien Beschaffung und Organisation der Testungen hierbei einfacher als für kleinere, fand die Studie heraus.
Inwieweit der Arbeitsplatz zur Verbreitung des Virus beiträgt, darüber gibt es tatsächlich noch keine Zahlen – ein Unding, findet Jörg Hofmann von der IG Metall. Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest, dass die Inzidenzrate bei den Erwerbstätigen leicht über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt, der Krankenstand 2020 aber gegenüber 2019 stabil geblieben ist. Ein Grund dafür könnte beispielsweise sein, dass andere Krankheiten wie die Grippe in der aktuellen Saison schwächer ausgeprägt waren als in Vorjahren.
Die Politik bleibt in der Frage der Testpflicht erst einmal gespalten. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann sprach sich gegen eine Testpflicht aus. „Ich vertraue hier auf Einsicht und Eigenverantwortung", sagte Althusmann dem „Handelsblatt". Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, kritisierte in der Zeitung eine Testpflicht, weil es bereits eine große Testbereitsschaft in der Wirtschaft gebe. „Eine Testpflicht ist deshalb zum gegebenen Zeitpunkt vor allem eine Misstrauenserklärung der Politik an die Unternehmen in ihrer Gesamtheit, für die es keine Grundlage gibt", sagte Hüther. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sprach sich unabhängig von einer Quote für eine Testpflicht in Unternehmen aus. „Es braucht sofort eine bundesweite Testpflicht für Unternehmen", sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung". „Für einen freiwilligen Test-Appell ist es viel zu spät, weil einfach nicht alle Betriebe mitmachen." Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) setzt dagegen auf eine Selbstverpflichtung der Betriebe. Das hatte Heil im ZDF-„Morgenmagazin" bekräftigt. „Aber wenn das nicht passiert, muss auch klar sein, werden wir ein verpflichtendes Testangebot machen", wendete Heil ein. Kanzlerin Merkel kündigte eine Entscheidung für Mitte April an.