Wohnst Du schon oder suchst Du noch? Residieren ist in den Ballungszentren zum Luxusgut geworden. Auf dem Land ist es preiswerter, aber oft nicht attraktiv. Wohnen ist die neue soziale Frage.
Die Bundesregierung rühmt sich, dass im Pandemie-Jahr 2020 so viele Wohnungen gebaut wurden wie seit 20 Jahren nicht. Die SPD fordert: „Wohnen ist keine Ware, Mieten deckeln, Märkte zähmen." Die Linke will große Wohnungsunternehmen enteignen. Und Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) kritisiert die Zersiedelung der Landschaft und findet, es sollten in den Bebauungsplänen keine Eigenheime mehr auftauchen.
Die Wohnungsbaupolitik ist im Wahlkampf angekommen. Das hat der Kommunalwahlkampf am 14. März in Hessen gezeigt. Wenn die Aufregung um Impfen und Testen irgendwann mal in den Hintergrund rückt, wird er zum Thema. Beim Wohnen geht es um Klimaschutz, die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Zukunft der Städte.
In Berlin ballen sich all diese Probleme. Denn die Hauptstadt hat sich zum Tummelplatz deutscher und internationaler Immobilieninvestoren entwickelt, die gute Renditen wittern. Jahrelang stiegen die Mieten hier stärker als anderswo in Deutschland, auch wenn sie noch nicht an das Niveau von Städten wie München oder Frankfurt heranreichten. Nach Berechnungen des Dachverbands Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) kletterten Neuvertragsmieten zwischen 2013 und 2019 um 27 Prozent. Zehntausende wandern auf der Suche nach bezahlbaren Mieten ab nach Brandenburg in den Berliner Speckgürtel. Derweil bemüht sich die Berliner Verkehrsverwaltung, den zunehmenden Innenstadtverkehr in den Griff zu bekommen.
1,5 Millionen Mieten sind eingefroren bis 2025
In dieser Situation entschloss sich der Berliner Senat zu einem drastischen Eingriff in den Wohnungsmarkt (zu dem juristisch auch noch nicht das letzte Wort gesprochen ist). Das Gesetz zur Mietenbegrenzung, das jetzt gut ein Jahr gilt, friert die Mieten für rund 1,5 Millionen Berliner Wohnungen bis 2025 auf dem Stand von Juni 2019 ein. Sie dürfen erst ab dem Jahr 2022 um höchstens 1,3 Prozent jährlich steigen. Die Angebotsmieten sind nach einer Analyse des Onlineportals Immobilienscout24 binnen Jahresfrist um 7,8 Prozent günstiger geworden. Die Mieten von neu auf dem Portal angebotenen Bestandswohnungen, die vor 2014 fertiggestellt wurden und damit vom Mietendeckel erfasst werden, sind um knapp ein Euro pro Quadratmeter gesunken.
Auch Kritiker des Mietendeckels müssen zugeben, dass er gewirkt hat. Wohnsenator Sebastian Scheel (Linke) hat den Mietern eine „Verschnaufpause" verschafft. Doch es ging noch weiter: Die zweite Stufe der Mietpreisbreme griff neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes am 22. November 2020: Danach sind überhöhte Mieten verboten. Mieter, deren Bestandsmiete mehr als 20 Prozent über der Mietspiegel-Obergrenze für den Stadtteil liegt, können diese senken. Fachleute gehen davon aus, dass Mietsenkungen bei rund 340.000 Wohnungen möglich sind. Wer teuer wohnt, profitiert mehr davon als jemand, der eine geringe Miete zahlt.
Die Kehrseite der Medaille: Eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist schwer wie noch nie, der Neubau lahmt, energetische Sanierungen drohen, auf der Strecke zu bleiben. Nach Recherchen der „Immobilien-Zeitung" konkurrieren durchschnittlich 417 Bewerber im grünen Berliner Stadtteil Britz um eine einzige Wohnung. Im innerstädtischen alten Arbeiterviertel Wedding balgen sich 407 Bewerber um eine neu angebotene Bestandswohnung, in Lankwitz sind es 386, in Neukölln 379. Das Wohnungsangebot hat drastisch abgenommen. Viele Vermieter wandeln ihre Wohnungen in Eigentum um. Inseriert werden „Schattenmieten", das heißt auf die Miete wird der Betrag aufgeschlagen, der der Differenz zwischen der reduzierten Miete und der Normalmiete (vor dem Mietendeckel) entspricht. Und viele Vermieter gehen dazu über, möbliert zu vermieten oder einen Keller oder einen Anbau extra zu berechnen.
Immer weniger Sozialwohnungen
Eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Deckel wird im zweiten Halbjahr 2021 erwartet. Bundestagsabgeordnete von CDU und FDP, aber auch Vermieter hatten Karlsruhe angerufen. Sie halten die Regelung für verfassungswidrig. Von dieser Entscheidung hängt ab, ob auch andere Städte wie München oder Frankfurt von solch einem Instrument Gebrauch machen.
Folgt man der Botschaft, die von der Bundesregierung ausgeht, wäre ein Mietendeckel wohl gar nicht nötig. Voller Stolz hatte der zuständige Minister Horst Seehofer (CSU) im Februar 2021 bei der Bilanz der Wohnraumoffensive der Bundesregierung bekannt gegeben, dass im vergangenen Jahr trotz der Pandemie etwa 300.000 Wohnungen gebaut worden seien. Das sei der höchste Stand seit 20 Jahren. Das Ziel, 1,5 Millionen Wohnungen in dieser Legislaturperiode zu bauen, sei „nicht außer Reichweite". Doch sofort hagelte es Kritik. Von den eigentlich geplanten 1,5 Millionen neuen Wohnungen werden bis zum „Ende der Legislaturperiode nur 1,2 Millionen Wohnungen gebaut sein und damit 300.000 zu wenig", sagte der Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), Axel Gedaschko. Der Deutsche Mieterbund kritisierte den Verlust von immer mehr Sozialwohnungen. 43.000 Sozialwohnungen seien bundesweit in den vergangenen fünf Jahren vom Markt verschwunden – und zwar Jahr für Jahr. Dagegen wendet der Stadtforscher Frank Eckhardt von der Bauhaus-Universität Weimar ein, dass wir nicht zu wenig Wohnraum haben, sondern zu viele Wohnungen, die sich in den Innenstädten die „unteren Schichten" nicht leisten können. Womit wir wieder bei der Deckelung der Mieten wären. Der Streit darüber wird in den kommenden Monaten noch viele Wahlkämpfer beschäftigen.