„Good n’ Vegan" steht für eine ausgefeilte pflanzenbasierte Küche. Executive-Chef Steffen Sinzinger entwickelte mit seinem Team Konzept und Gerichte für den ersten veganen Lieferdienst in Berlin.
Ideen, auf die einer nur kommen musste: einen veganen Lieferdienst aufsetzen und Berlin mit pflanzenbasierten Gerichten auf Könner-Niveau beglücken. Begrüßenswert, dass die HR Group als Betreiber des Pullman Berlin Schweizerhof genau das tat. In Steffen Sinzinger vom dortigen Restaurant „Blend" fand sie den richtigen Küchenprofi und Executive-Chef für das vor zweieinhalb Monaten gestartete „Good n’ Vegan"-Konzept. Er kreiert mit seinem Team Gerichte, die jeder Nicht-Veganer unbesorgt wegen ihres Wohlgeschmacks und ihrer gemüsigen Finesse zu sich nehmen sollte.
Bei veganem Essen richtet sich der Fokus häufig auf das, was es nicht ist: keine tierischen Produkte. Doch diese Definition ist zu kurz gesprungen. Umgekehrt wird ein Teller daraus: Ja, die Königsberger Klopse sind aus Tofu, das Bulgogi-„Beef" in der Poké Bowl aus Pilzen. Aber wer würde schon „Tofu-Kapern-Klopse" wegen des tollen Namens ordern? Die bekannte Ausschilderung ist vorerst ein kleiner Umweg zur besseren Orientierung. „Die Bezeichnungen sind Steigbügelhalter", sagt Steffen Sinzinger. Er setzt auf Geschmackserlebnisse statt auf Bekehrung. „Uns geht’s wirklich nur ums gute Essen und den Weg zu einem nachhaltigeren Leben."
Das Erlebnis fängt optisch schon sehr überzeugend an. Wir klappen am heimischen Esstisch die klimaneutralen Pappschalen, „die den ökologischen Fußabdruck nicht vergrößern", mit den drei Vorspeisen auf. Erfreuen uns an Arrangements wie sie auch auf Sinzingers Restauranttellern zu finden sind: Schwarzwurzeln werden von Grünkohl-Babyleaves umflattert. Ein kontrastfarben grüner Wasabi-Crunch-Streifen wurde über eine Auberginenscheibe auf rotem Kasundi-Kompott gestreut. Unter einem Hügel von Rucola verbirgt sich eine Mozzarella-Kugel auf einer markanten Scheibe Ochsenherztomate.
Wir sind voll motiviert, unser schickes Gemüse wegzugabeln! Mit der Aubergine steigen wir indisch-fernöstlich gemixt ein: Kasundi ist ein auf indischem Senf und Tomaten basierender Dip. Er harmoniert mit Kumin, Auberginenscheibe und Rote-Bete-Blättchen. „Das indische Pendant zur Parmigiana", sage ich. Mit einem leicht pikanten japanischen Wasabi-Touch rutschen wir noch etwas weiter östlich des süditalienischen Auberginen-Auflauf-Stammgebietes und der Kasundi-Heimat Bengalen.
Die Schwarzwurzeln sind der bodenständige, fein ausgearbeitete winterliche Gruß aus dem Norden: Gebraten bleibt die Wurzel bissfest und zart zugleich. Ein großzügiger Wurf von gerösteten Pumpernickelbröseln sowie die filigranen Grünkohlblättchen erinnern an meine westfälische Heimat. Die kulinarische Begleiterin ist großer Gemüsefan und will schon das Etikett „Liebling" an dieses Gericht kleben. Zu früh geurteilt! Die confierte Ochsenherztomate setzt zum Überholen an. Sie macht in Sachen Aroma und Textur ihr eigenes Ding und konkurriert erst gar nicht mit dem süßeren Kompott aus ihren eingedosten roten Verwandten, den Pelati-Tomaten.
Auch die Getränke sind vegan
Wir gabeln den „Käse" an, der auf Basis von Cashewnüssen und fermentiertem Sojajoghurt hergestellt wurde. „Wenn das jetzt Mozzarella di Bufala wäre, wäre es super", meint die Freundin vor dem ersten Bissen. „Das ist aber auch cool. Anders cool!", sagt sie danach. Die elfenbeinfarbene Nuss-Kugel ist weich und ohne die charakteristische faserige Textur des Milch-Pendants. Mich kriegt dieser Teller insbesondere mit einer Oliven-Erde, fein gehackten schwarzen Fruchtstückchen, herum. „Die Winterversion von Mozzarella-Tomate, die ohne zu viel Saisonales gelingt", sagt die Freundin.
„Es muss auch in der Küche funktionieren", sagt Steffen Sinzinger. Beim Vor- und Zubereiten, beim Kochen, Transport und Bestellen: „Es ist mit den Lieferketten bei veganen Produkten nicht immer einfach." Die Hafermilch mit 15 Prozent Fett beispielsweise, die er für die optimalen Königsberger Klopse braucht, war erst nach einiger Recherche im Großhandel zu bekommen. Erstaunlich viel funktioniert aber problemlos: „Wir stellen bis auf zwei Produkte alles selbst her. Das ist gar nicht so aufwendig wie gedacht." Burger Buns oder Pasta sind die „Artikel, die wir aufgrund unserer Kapazitäten nicht abbilden können."
Wohlsein! Auf das schmackhafte Essen nehmen wir erst einmal einen zweiten, dritten, vierten Schluck vom „French First" aus unseren Cocktailgläsern. Wir haben einen veganen Drink im Glas: Die Bar „Becketts Kopf" bereichert mit eigens kreierten Drinks in Fläschchen das flüssige Angebot des „Good n’ Vegan". Wer sie ordert, hat die erste Liga Kaltgetränk im Glas. Vegane Drinks? Hört sich womöglich seltsam an, hat aber einen Grund: Drinks wie die „Sours" werden mit Eiweiß geklärt. Auch bei Wein werden Gelatine oder Eiklar dazu genutzt. Gin, Wermut, Zitrone und Anis legen wir gern aufs häusliche Eis und lassen uns frisch, leicht und duftig in den Frühling beamen. Versteht sich, dass auch die anderen Getränke vom Brło Happy Pils über einen Sparkling Red Grape Juice bis zu Proviant-Limonaden den Kriterien genügen.
Bei den Hauptgerichten habe ich den Signature Dish mitbestellt: Königsberger Klopse mit gebackenem Spitzkohl, gebratenen Selleriewürfeln, Selleriepüree und Cassis-Vinaigrette. Die Klopse auf Tofubasis schmecken gut, haben aber nicht das rauere Mundgefühl vom gewolften Fleisch. Aber ich mag Tofubällchen gern. Mit dem Spitzkohl, vor allem in Kombination mit der Süße der Sellerieknolle und der Säure der Vinaigrette, ist das veganes Soul Food. Zum portemonnaieverträglichen Preis: Die Klopse sind für 10,50 Euro, eine „Berliner Currywurst" mit Pommes für 6,50 Euro zu haben. Die Vorspeisen kosten 7,50 bis 8,90 Euro.
Bei der nächsten Order könnten es gut zwei Vorspeisen pro Nase und ein, zwei Cocktails werden – eine gute Größe für ein präzises, leichtes und süffiges @home-Dinner. Derzeit wird über Wolt und Lieferando im Westen der Stadt geliefert. Bald schon soll eine weitere Hotelküche an der Landsberger Allee als erste Kochstation für die Auslieferung im Ostteil hinzukommen.
Schnitzelchen aus verschiedenen Pilzen
Die Pläne der HR Group für „Good n’ Vegan" sind weitergehend. Sie besitzt deutschlandweit 80 Hotels. Platz genug, um in den größeren Küchen für den Lieferdienst zusätzlich zum eigenen Restaurant zu kochen. Die Gerichte aus dem Berliner Piloten dürften dann überall zu finden sein: Vegane Fish ’n’ Chips, Tonkatsu-Schnitzel oder Poké Bowls mit Bulgogi-„Beef". Letzteres tut seinen Job genauso geschmackvoll wie sonst das Rindfleisch: tief und würzig nach Umami schmecken. Die Schnitzelchen bestehen aus Kräutersaitlingen, Champignons und Shiitake-Pilzen, die in selbst hergestellter Bulgogi-Sauce mariniert und gebraten werden. Eine großzügig geratene Portion Vollkornreis ist die Basis für ein optimistismusfarbenes Mango-Ragout on top. Pak Choi ist für den salatigen Grünanteil zuständig: Blanchierte, klein geschnittene Stiele und die dunkleren Blätter werden mit einem veganen Hausdressing serviert. Ich finde vor allem die Kombi aus zitronigem Ragout und Pilz-Vollmundigkeit hervorragend.
„Good n’ Vegan" ist keineswegs ein Sprössling des „Blend"-Restaurants, für das Steffen Sinzinger in „normalen Zeiten" verantwortlich zeichnet. Er brachte aber von dort Gerichte wie die gemüsigen Vorspeisen mit ein. Im „Blend" heißt der Mix mit Anteilen verschiedener Länderküchen dann „Fusion". So wird es auch nach dem Lockdown, „mit einem Update", bleiben – Fisch und Fleisch inklusive. Die Idee, einen veganen Lieferdienst aufzusetzen, traf auf den exakt passenden Küchenchef. „Wir haben das Konzept innerhalb von zwei Monaten entwickelt, getestet und sind dann in Vollzeit richtig hineingegangen." „Wir" – das sind das zehnköpfige Küchenteam um Sinzinger sowie Berater Alon Shamir. „Es ist mir wichtig, etwas herauszubringen, das richtig funktioniert."
Die Kleinigkeiten zählen. Das macht sich auch in den Desserts bemerkbar: Die Kugel Himbeersorbet als Topping für einen Milchreis mit Mangocreme erreicht mich selbst nach 20 Minuten Fahrt noch kalt und in Form. In ihrem Extra-Becher kommt sie sofort ins häusliche Eisfach. Gleiches bei der Schoko-Tofu-Tarte mit der schmucken Deko aus karamellisierten Pekannüssen: Die Passionsfrucht-Sauce wird separat verpackt, sodass nichts matschen kann.
Normalerweise bin ich kein Fan cremiger, veganer Süßigkeiten. Sie sind mir häufig zu „sticky" im Mund. Doch die Tofu-Creme auf dem Mürbteigboden ist schön schokoladig, fluffig aufgeschlagen und mit angenehmem Mundgefühl. Ich verschwende keinen Gedanken an Vorbehalte, sondern esse sie einfach freudig auf. Das ist sicherlich das Beste, das jedem Gericht passieren kann.