Mit Peter Bosz schien Bayer Leverkusen den idealen Trainer gefunden zu haben. Im Dezember schien der Niederländer auf dem besten Weg, eine Ära zu prägen und endlich einen Titel nach Leverkusen zu holen. Jetzt ist er schon weg.
Die Fußball-Bundesliga ist längst schon keine Zwei-, sondern eine Mehrklassengesellschaft. Die einen wollen in die Champions League, die anderen in den Europacup, die nächsten einen sicheren Mittelfeldplatz, für andere wiederum geht es nur um den Klassenerhalt. Doch völlig unabhängig von den Ambitionen und Zielen haben die Vereine in Bezug auf ihre Trainer alle einen gemeinsamen Wunsch: Kontinuität.
Gefunden haben sie die wenigsten. Nehmen wir Schalke 04. 2017 holten die Schalker Domenico Tedesco als Trainer, 2018 wurde er Vizemeister, verlängerte bis 2022, und Manager Christian Heidel sagte: „Kontinuität ist eine wichtige Grundlage für die Ziele, die wir uns für Schalke 04 in den kommenden Jahren gesteckt haben. Gerade auf der Position des Cheftrainers, der in sportlicher Hinsicht für mich der wichtigste Mann in einem Fußballverein ist." Neun Monate später war Tedesco weg. Heidel allerdings schon vorher.
Völler: Die Entwicklung war nicht absehbar
Arbeitet ein Trainer lange in einem Verein, hat das viele Vorteile für diesen. Der Trainer wird zum vermarktbaren Gesicht, er kann der Mannschaft eine Handschrift geben, zudem muss man das Team nicht so oft nach den Wünschen der Trainer umbauen und auch nicht so oft Abfindungen zahlen. Es hat also außer vielleicht neuen Reizen fast nur Vorteile, langfristig mit ein- und demselben Trainer zu arbeiten. Dennoch haben viele Vereins-Verantwortlichen einen nervösen Finger, wenn es darum geht, sich von Trainern zu trennen. Der finanzielle Druck, das Saisonziel zu erreichen – welches auch immer es ist – ist groß. Gerät es auch nur in Gefahr, sprechen sie von zu groß gewordenem Druck und den Mechanismen der Branche und verpflichten einen Retter. Der meist ein ganz kurzes Auf beschert, um alsbald in den ähnlichen Kreislauf zu geraten wie sein Vorgänger.
Bei Bayer Leverkusen war die Situation in dieser Saison eine ganz andere. Die Verantwortlichen und auch die meisten Fans von Bayer waren sich sicher, endlich den richtigen Trainer für den Verein gefunden zu haben. Der Niederländer Peter Bosz ließ herrlichen Offensiv-Fußball spielen, er war wegen seiner menschlichen Art sehr beliebt, und er entwickelte Talente wie Kai Havertz oder Florian Wirtz weiter. Dass er im Vorjahr unter dem Strich mit Bayer die Saisonziele verpasste, wurde ihm nicht negativ ausgelegt. Die Champions League verfehlte man als bester Fünfter der Liga-Historie knapp, im DFB-Pokal waren die Bayern im Endspiel eine Nummer zu groß, in der Europa League schied Leverkusen im Viertelfinale aus. Dennoch fühlte man sich mit Bosz auf dem richtigen Weg zum ersehnten Titel seit 1993. Und als Bayer Mitte Dezember als Tabellenführer ins Spitzenspiel gegen den FC Bayern ging und dann auch noch führte, schien sich das alles zu bestätigen.
Stimmung kippte innerhalb weniger Wochen
Doch dann drehte sich das Ganze innerhalb weniger Wochen dramatisch. Das Bayern-Spiel wurde durch ein Gegentor in der Nachspielzeit mit 1:2 verloren, im DFB-Pokal scheiterte die Werkself trotz Führung in der Verlängerung beim Viertligisten Rot-Weiss Essen, in der Europa League durch zwei Niederlagen am Schweizer Meister Young Boys Bern. Die von Verletzungen und insgesamt sieben positiven Corona-Fällen geplagte Mannschaft verlor ihre Selbstverständlichkeit und ihr Selbstvertrauen und stürzte auch in der Liga immer weiter ab.
Trotz der Pleiten in den beiden Pokal-Wettbewerben und der in immer weitere Ferne rückenden Qualifikation für die Champions League – die Leverkusen eigentlich unmissverständlich als Ziel ausgegeben hatte – stärkten die Bayer-Bosse Bosz immer wieder den Rücken. „Wir haben in vielen Bereichen eine gute Entwicklung genommen. Das steht außer Frage. Ein Trainerwechsel ist kein Thema", sagte Sportdirektor Simon Rolfes Ende Februar. „Peter Bosz hat über lange Zeit gezeigt, dass er ein guter Trainer für Bayer 04 ist. Und deshalb hat er auch jetzt und in dieser schwierigen Phase unser Vertrauen", betonte Club-Chef Fernando Carro Anfang März. Sportchef Rudi Völler sagte wenig später vor dem Anstoß gegen Arminia Bielefeld, Bosz sei „Plan A, B und C". Das Spiel gegen Aufsteiger Bielefeld ging 1:2 verloren, es folgte ein 0:3 bei Hertha BSC und Bosz war weg.
Die Bekenntnisse waren keine Worthülsen. Die Leverkusener Verantwortlichen wollten die Schwächephase überwinden und wirklich mit Bosz weitermachen. Nach der Trennung mussten sie sich hier und da aber gar den Vorwurf gefallen lassen, zu spät gehandelt zu haben. Irgendwann war die Treue einfach auf eine zu große Probe gestellt. Das Aus im Pokal, das Aus in der Europa League, das Risiko, die Champions League zu verpassen – all das nahmen sie bei Bayer in Kauf, um mit ihrem Trainer, der grundsätzlich so gut passte, weitermachen zu können. Doch als das Team die Kurve gar nicht bekam und sogar die Qualifikation für die Europa League in Gefahr geriet, griffen sie eben doch: die Mechanismen des Geschäfts. Mit dem Trainer als schwächstem Glied in der Kette.
Dass das Festhalten am im Januar 2019 gekommenen Bosz in diesem Geschäft eine fast schon außergewöhnliche Treue war, zeigt die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Trennung nur vier Trainer länger im Amt waren: Der ewige Christian Streich in Freiburg, der seit rund dreieinhalb Jahren amtierende Florian Kohfeldt in Bremen sowie die ein halbes Jahr vor Bosz gekommenen Adi Hütter in Frankfurt und Urs Fischer bei Union Berlin.
„Vor zweieinhalb Monaten war das noch unvorstellbar", sagte Völler, als er auf dem Podium saß und die Trennung von Bosz erklären musste. Dessen Beurlaubung sei „eine Niederlage für uns alle. Es ist schade, und es tut auch ein bisschen weh, aber das ist Profi-Fußball." Bosz sei „für lange Zeit eine Toplösung" gewesen. Er sei „ein Toptrainer und ein toller Mensch".
Aber man sei eben auch zu der Erkenntnis gekommen, „dass es in dieser Form nicht mehr weitergeht". Also waren die Leverkusener sogar bereit, ihren als Dauerlösung geplanten Trainer gegen eine komplette Übergangslösung einzutauschen. Denn Hannes Wolf ist ausdrücklich erst einmal nur für die letzten acht Saisonspiele vom DFB ausgeliehen. Dort ist der 39-Jährige, der auch schon Cheftrainer beim VfB Stuttgart und dem Hamburger SV war, Trainer der U18-Nationalmannschaft, die wegen Corona aktuell aber nicht spielt und sich nicht zu Lehrgängen trifft.
Dass Wolf länger bleibe sei „natürlich nicht ausgeschlossen", sagte Völler. Und auch Rolfes ließ die Tür offen: „Was Richtung Sommer passiert, werden wir uns in Ruhe überlegen und im nächsten Schritt anschauen." Wolf betonte, dass ihm nach einigen Erfahrungen mit der Kurzlebigkeit des Geschäfts das Konstrukt gefallen habe. In der Bundesliga wieder eine Chance zu bekommen, bei einem guten Verein mit guter Mannschaft, aber quasi ohne Risiko. Denn wenn man nach den acht Spielen, die man wie eine Probezeit erachten könnte, nicht zusammenfindet, hat Wolf ja seinen Job beim DFB als Sicherheit.
Tür bleibt für Hannes Wolf im Erfolgsfall offen
Aber was ist schon sicher für Trainer in diesem Geschäft? Wie wusste doch Wolfgang Holzhäuser, zum Zeitpunkt der Aussage 2005 kurioserweise auch Geschäftsführer in Leverkusen, als er sagte: „Ein Trainer ist eine temporäre Erscheinung."
Das ist das Brot der Trainer, die zweifellos gut verdienen, aber kurioserweise in sehr vielen Vereinen deutlich weniger als ihre prominentesten Spieler. Im Endeffekt träumt jeder Verein davon, einen Trainer zu finden, der ideal zum Verein und zur Mannschaft passt. Der eine Ära prägt wie eben Streich oder zuvor Volker Finke in Freiburg, wie Otto Rehhagel einst in Bremen oder auch Jürgen Klopp zuletzt in immerhin sieben Jahren in Dortmund. Der Fall Bosz hat aber wieder einmal gezeigt, dass es für einen Verein offenbar unmöglich ist, in ausgeweiteten Krisen am Trainer festzuhalten. Selbst, wenn man das eigentlich unbedingt will. Und grundsätzlich komplett von ihm überzeugt ist.