Die letzten Wochen haben das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik massiv beschädigt und damit einen schon länger anhaltenden Trend beschleunigt. Damit droht die Politik eine große Chance zu verspielen. Denn in der Krise funktioniert es an der Basis noch erstaunlich gut.
Erst die Wirrnisse um Astrazeneca, dann die verkorkste „Osterruhe", dazwischen der „Maskenskandal" und schließlich „Brückenlockdown" und „Modellregion". Die letzten Wochen haben ihre Spuren hinterlassen. Schon vor den März-Ereignissen war erkennbar, dass der Sinkflug in Sachen Vertrauen in die Politik bedrohliche Ausmaße annehmen könnte.
Über die Hälfte der Deutschen (54 Prozent) war der Meinung, Politiker seien überfordert. „Da kippt etwas", kommentierte der Heidelberger Soziologe Manfred Schmidt die Zahlen im Rahmen der Langzeitstudie „Ängste der Deutschen" (im Auftrag der R und V Versicherung). Und das waren Zahlen von Ende Januar. Da wusste noch keiner, was an fast schon selbstzerstörerischen Meldungen die hypernervösen Schlagzeilen im März beherrschen würde.
Selbst während der ersten unsicheren Lockdown-Phase (April 2020) waren „nur" 46 Prozent der Deutschen der Meinung, die Politik sei angesichts der Pandemie überfordert. Der jüngste Vertrauensentzug lässt sich am drastischen Absturz der Union in der Sonntagsfrage (27 Prozent, Forsa, 7. April) ablesen. Die Ereignisse und Meldungen der letzten Wochen laden geradezu zu einem Politiker-Bashing ein. Die Politik scheint sich endgültig verrannt zu haben und den letzten Rest an Vertrauen auch noch zu verspielen. Der Eindruck hat sich zunehmend festgesetzt und selbst grundsätzlich Wohlmeinenden fällt es mittlerweile schwer, dagegen zu argumentieren.
Die Basis eines grundlegenden Vertrauens in die politisch Handelnden und das Funktionieren des Systems wird dünner. Die Krise hat dabei etwas verschärft, was ein schon lange schleichender Prozess ist: die Basis bröckelt.
Sowohl Politik- als auch Politikerverdrossenheit sind keine neuen Phänome. Aber die Vertrauenskrise hat eine neue Qualität in einer Zeit, in der es um die höchsten Güter geht. Um Gesundheit, ja, Leben, und das in Abwägung zu den in unserer Demokratie existenziellen (Freiheits-)Rechten.
Wenn Bürger dann den Eindruck gewinnen, Fernsehbilder und Schlagzeilen seien in einem vielstimmigen Durcheinander wichtiger als ein klarer Kurs zu einer wie auch immer gearteten neuen Normalität für alle, wächst der Frust und zerbröselt Vertrauen. Und das durch alle gesellschaftlichen Schichten. Die ohnehin schon länger wachsende Kluft zwischen Gewählten und Volk verbreitert sich nicht nur, die Basis scheint schlicht und ergreifend wegzubröckeln.
Und fast wie im Gleichklang erleben traditionelle Medien einen ähnlichen Vertrauensverlust. Diejenigen, die mit dem Kampfbegriff „Mainstream-Medien" zu Felde ziehen, sind zahlenmäßig zwar weit entfernt von einer Mehrheit, trotzdem scheint ein mulmiges Gefühl Raum zu greifen, in dieser unübersichtlichen Lage irgendwie nicht so wirklich informiert zu sein. Die Mediennutzung steigt, und, wie es scheint, parallel auch der Zweifel an der Glaubwürdigkeit.
„Da kippt etwas": Der Frust wächst, Vertrauen schwindet
Wenn Vertrauen die Währung der Demokratie ist, wie es gerne zitiert wird, dann ist es um den Kontostand nicht gerade rosig bestellt. Diese Beschreibungen sind nicht neu. Talkshows landauf, landab widmen sich ebenso besorgt wie Diskussionsrunden dem Zustand einer Gesellschaft, deren (demokratische) Pfeiler wegzuschmelzen scheinen wie die Polkappen im Klimawandel.
So zutreffend die Beschreibungen solcher Entwicklungen sind, wirken sie doch wie eine etwas holzschnittartige Verkürzung mit einer gewissen Verliebtheit in Weltuntergangsatmosphären.
Es lohnt ein zweiter Blick. Unzweifelhaft bröckelt da etwas ganz gehörig an der Basis weg, das Anlass zu ernster Sorge gibt. Unzweifelhaft gibt es eine gravierende Vertrauenskrise, die vor allem die Institutionen betrifft, die zwischen dem Leben der Einzelnen und der Politik als Ganzem stehen, wie es der Soziologe Jan Wetzel vom Wissenschaftszentrum Berlin beschreibt. Trotzdem antwortet er gegenüber Deutschlandfunk auf die Frage nach der großen Vertrauenskrise mit einem entschiedenen: „Ja und Nein". Denn gleichzeitig ist zu beobachten, dass das Vertrauen im Nahbereich der Menschen offenkundig funktioniert. „Ansonsten wäre hier Bürgerkrieg." Nur ist das, was auf dieser Ebene unverkennbar noch ziemlich gut intakt ist, per se eher leise, in gewisser Weise unspektakulär normal und damit wenig schlagzeilentauglich.
Martin Hartmann, der sich als politischer Philosoph seit Jahren intensiv mit dem Thema Vertrauen beschäftigt, findet im Gespräch mit FORUM (siehe Seite 24) eine Unterscheidung in vertikales und horizontales Vertrauen für diese Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Entwicklungen eine ganz passende Beschreibung. Er stellt aber, wie es sich für einen Philosophen gehört, die grundsätzlichere Frage, wie es sich mit dem Vertrauen verhält, als eine Kategorie im Verhältnis von Bürgern und Regierenden. Und das auch vor dem Hintergrund, dass dieser Verlust schon seit langem auch andere Institutionen wie Gewerkschaften oder Kirchen trifft. Ist vielleicht Vertrauen gar keine so passende Kategorie? Gehört nicht gerade ein gesundens Misstrauen wie ein Stück Lebenselixier zu einer lebendigen und dynamischen Demokratie? Und spielt deshalb womöglich die Frage nach Verlässlichkeit eine viel zentralere Rolle?
Setzt die Enttäuschung damit nicht gerade dort an, wo mit einem konfusen und vielstimmigen Hin und Her um immer neue Schlagworte diskutiert, aber ohne den Anschein einer nachvollziehbarern Linie agiert wird? Und geht bei all der berechtigten Kritik nicht unter, dass es an der Basis zumindest in nach wie vor ganz großen Teilen noch funktionierendes Vertrauen und ein gutes Maß an Solidarität gibt, was sich auch ziemlich konstant an Umfragen zu den Corona-Maßnahmen ablesen lässt?
Gleichzeitig lässt das ständig neu zusammengebastelte Patchwork an Regelungen längst alle Versuche erlahmen, das alles irgendwie noch verstehen zu wollen, was da aus „der Politik" kommt.
Wer sich auf nichts mehr wirklich verlassen kann, wendet sich irgendwann ab. Dass dann Wahlbeteiligungen sinken, ist die logische Schlussfolgerung, wie auch daraus folgend dann die Frage nach der Legitimationsbasis. Und es wirft Fragen nach einem demokratischen Gemeinwesen auf, das von ebenso kritischem wie solidarischem Engagement lebt.