Union und Grüne wollen jetzt endlich ihre Kanzlerkandidaten bestimmen. Bei der Union könnte es jetzt ganz schnell gehen. Die Personalentscheidungen werden auch klären, ob es zu einem Richtungswahlkampf kommen wird.
Es war ein langer Weg voller wortreicher Satzgebilde für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hin zu der Aussage: „Ja, ich stehe als Kanzlerkandidat zur Verfügung". Noch vor einem Jahr war er felsenfest davon überzeugt: „Mein Platz ist in Bayern". Im FORUM-Gespräch im vergangenen Oktober, längst tobte in der Union die K-Frage, wich er geschickt aus, als er gefragt wurde ob sein Platz weiterhin in Bayern ist. Kurz nach Ostern in einer Talkshow daraufhin angesprochen, verwies Söder auf den Umstand, dass er ja als Ministerpräsident doch öfter in Berlin zu tun habe und vermutlich im kommenden Oktober auch an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen werde. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht verriet, ob er Letzteres als möglicher Hausherr oder als Gast aus Bayern zu gedenken tue. Ein typischer „Söder" eben.
Einige Tage später legte er nach. „Mein Platz ist heute in Bayern". Das klang sehr danach, als wolle (und müsse) er gerufen werden von den CDU-Freunden im Bundestag und vielleicht sogar aus dem CDU-Parteivorstand, dass er sich doch bitte endlich als Unionskanzlerkandidat zur Verfügung stellen solle. Sieben CDU-Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg erbarmten sich und riefen laut nach ihm. Endlich, denn ein Markus Söder erklärt sich nicht selbst, ohne als Heilsbringer oder wahlweise Retter gerufen worden zu sein. Auch wenn es nur sieben anstelle von gut 200 CDU-Bundestagsabgeordnete waren, die da hätten rufen können.
Söder ließ sich in Berlin vertreten
Söder will nun doch nach Berlin, obwohl er die Stadt nicht sonderlich mag, aber da steht nun mal das Kanzleramt. Was seine bisherige Tätigkeit als Ministerpräsident in Berlin in der Länderkammer und bei den Ministerpräsidenten-Konferenzen angeht, hat er diese Tätigkeit ganz offensichtlich auch erst kürzlich für sich entdeckt. Bei den alle vier Wochen stattfindenden Bundesratssitzungen ließ er sich bisher regelmäßig vertreten, schließlich wurde er in Bayern gebraucht, denn da war ja sein Platz. Unvergessen, seine erste Ministerpräsidentenkonferenz als frisch gekürter Landeschef im Frühjahr 2018. Da erschien er für eine Stunde und ließ dann seine verdutzten Amtskollegen allein zurück. Doch das hat sich seit dem Beginn der unionsinternen Debatte um die Kanzlerkandidatur sichtlich geändert.
Söder hatte die bundespolitische Bühne für sich entdeckt. Und Bühne und Kameras kann der 54-jährige Franke aus Nürnberg. Söder hat unter anderem beim Bayerischen Rundfunk Fernsehjournalist gelernt und weiß sich so in den Talkshows geschickt zu präsentieren, was seine Umfragewerte in die Höhe schießen ließ. Das kann der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet in beiden Fällen derzeit nicht von sich sagen. Nach seiner Wahl zum CDU-Chef im Januar blieb in den Umfragen ein positiver „Laschet-Effekt" zunächst aus, und nun rutschen seit Wochen die Werte bedrohlich ab. Ende März schlug eine Meldung in der CDU-Parteizentrale ein wie der berühmte Blitz im Dachgebälk. Ohne CSU würden die Christdemokraten erstmals hinter Bündnis 90/Die Grünen liegen. Alarmstufe Rot für CDU-Chef Armin Laschet. Denn nicht nur seine Kanzlerkandidatur rückte damit immer weiter in die Ferne, sondern auch der Führungsanspruch der gesamten CDU als Volkspartei im Bundestag.
Die CSU stellt zwar nur 34 der derzeit 240 Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, was rund 15 Prozent entspricht. Doch die Umfragewerte der Christsozialen im Freistaat sind derzeit stabil bei gut und gern 47 bis 50 Prozent. Die berühmten bayerischen CSU-Verhältnisse scheinen also wiederhergestellt. Volkspartei eben. Das kann die CDU im übrigen Bundesgebiet nicht von sich behaupten, ganz im Gegenteil. Ohne CSU würde die CDU in den derzeitigen Umfragewerten auf etwa 21 Prozent bis 23 Prozent landen. Damit wären die Grünen (je nach Umfrage mit 20 bis 23 Prozent) derzeit etwa gleich stark, wenn nicht sogar stärker. Denn bei den Grünen ist eher davon auszugehen, wenn sie am 19. April die Spitzenkandidatur geklärt haben, dass es dann einen Habeck-, oder – eher wahrscheinlich – Baerbock-Effekt in den Umfragen geben wird. Die CDU droht damit ins Hintertreffen zu geraten und wäre bei möglichen Koalitionsverhandlungen inhaltlich komplett zwischen ihrer Schwesterpartei und dem möglichen grünen Koalitionspartner eingezwängt. In ihrer Not brachten einige CDU-Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen ihren Fraktionschef im Bundestag, Ralph Brinkhaus, als Kanzlerkandidaten ins Gespräch. Ihm wurden offenbar, zumindest zwischen Rhein und Ruhr, bessere Wahlchancen eingeräumt, als dem NRW-CDU-Landeschef Armin Laschet. Ein kleiner Affront seiner Parteifreunde, da ja auch Ralph Brinkhaus aus Nordrhein-Westfalen stammt.
„Entscheidung unter Männern"
Nun, da sich Laschet und Söder zur Kanzlerkandidatur bereitgefunden haben, bleibt dem CDU-Bundesvorstand eigentlich keine andere Chance, als Laschet zu nominieren. Alles andere würde ihn drei Monate nach seiner Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden desavouieren. Laschet könnte gleich wieder zurücktreten, damit stünde die CDU schon wieder ohne Führung da. Das geht also eigentlich nicht.
Doch die CDU-Strategen im Konrad-Adenauer-Haus am Berliner Lützowplatz sehen auch, dass Söder derzeit in den Umfragen weit vor Laschet liegt, sowohl in der Beliebtheit als auch in der Bekanntheit. Der bayerische Landeschef wäre der dritte Kanzlerkandidat aus dem Freistaat innerhalb von vier Jahrzehnten. Was noch für Söders bundesweite Akzeptanz spricht: Er ist kein Bayer, sondern Mittelfranke und obendrein nicht katholisch, sondern protestantisch. Zwei Faktoren, die laut Wahlanalysen von 1980 und 2002, gerade bei den norddeutschen Wählern mit ausschlaggebend waren, nicht die Union bei den Bundestagswahlen zu wählen. Franz-Joseph Strauß und Edmund Stoiber waren Bayern und katholisch.
Doch so einfach ist die Kandidatenkür in der Union offenbar nicht. Vor beinah 20 Jahren war das einfacher. Angela Merkel reiste damals zu Edmund Stoiber nach Wolfratshausen, und nach einem gemeinsamen Frühstück hatten die beiden sich auf Stoiber geeinigt. Auf etwas Ähnliches hatten viele wohl auch bei Laschet und Söder gewartet, vergebens. Geht es nach den Umfragewerten, hätte Markus Söder eher nicht bei Laschet in Aachen, sondern Laschet in Nürnberg bei den Söders zum Frühstück antreten müssen. Die „Entscheidung unter Männern" wird nun verkompliziert, da die Unions-Bundestagsfraktion auch noch mitentscheiden will.
Sollte tatsächlich Markus Söder zum Kanzlerkandidaten gekürt werden, stünde Deutschland am 26. September eine echte Richtungswahl ins Haus. Mögliche Koalitionsverhandlungen zwischen Union und Grünen unter der Leitung des bayerischen Ministerpräsidenten dürften schwierig werden, auch wenn Söder vor zwei Jahren überraschend sein Herz für die Bienen und die Bäume entdeckt hat. Ein Markus Söder, der sich den Grünen unterordnet, wirkt als Vorstellung etwas utopisch.
Geht es nach den Grünen, so Co-Parteichef Robert Habeck, würde es dazu gar nicht kommen. Habeck hat bereits klargestellt, er würde lieber mit den Sozialdemokraten regieren als mit der Union. Doch da braucht man bei den derzeitigen Umfragewerten viel Fantasie. Da die Grünen im Bund offenbar kein Bündnis Grün-Rot-Rot mit der Linken wollen, bliebe nur noch eines mit der FDP. An die Koalitionsgespräche mit den Liberalen hat Robert Habeck keine guten Erinnerungen. Nach nächtelangen Verhandlungen im Winter 2017/18 entschieden sich damals die Liberalen „lieber gar nicht, als falsch zu regieren".