Der „Null Prozent Späti" in Kreuzberg bündelt mehr als 200 genussvolle Alternativen zum Alkohol. Isabella Steiner und Katja Kauf gründeten den kleinen Laden und Onlineshop, in dem sich die ganze Welt von Spirituosen, Botanicals, Wein und Bier „ohne" abbildet.
Noch nie war es einfacher, geschmackvoll nüchtern zu bleiben. Ganz gleich ob mit Wein, Sekt, Spirituosen oder Bieren – all das gibt es, und es ist mehr als nur „ohne". Oder dürfte es gleich ein Botanical sein? Ein Getränk, das gar nichts Bekanntes nachahmt, sondern eigenständig gedacht wurde? Wie vielfältig das Angebot ist, zeigen der „Null Prozent Späti" und die Website www.nuechtern.berlin: Im Souterrain-Laden in Kreuzberg und im Onlineshop werden 200 Sorten Non Alcoholics von 75 Herstellern verkauft.
Die Inhaberinnen Katja Kauf und Isabella Steiner eröffneten ihren Shop im November 2020. Er ist der erste und bislang einzige seiner Art in Berlin. Es gab einen Pop-up-Vorläufer im Halleschen Haus sowie in einer Schöneberger Galerie. Der Zuspruch der Kunden gab das klare Signal: Der Berliner Markt ist reif für einen solchen Spezial-Späti, der allerdings eher tagsüber bis frühabends geöffnet ist. Steiner und Kauf – die eine Soziologin mit Blick auf gesellschaftliche Trends, die andere Betriebswirtin – entschieden sich für die Selbstständigkeit und Alkoholfrei in Vollzeit nach ausführlicher Vorbereitung.
Und nach eigenem Erleben: „Man kann in dieser Stadt 24/7 trinken. Man hat immer die Gelegenheit dazu", erzählt Isabella Steiner. Sie protokollierte, was und wie viel sie trank. „Als ich in der PR im Fashion-Bereich gearbeitet habe, erreichte der Alkoholkonsum ein neues Level. Man stand immer mit einem Glas Champagner in der Hand herum." Isabella Steiner und Katja Kauf zogen 2017 zusammen in eine WG. „Wir haben das weiter getrackt. An einem verkaterten Augusttag stellte sich die Frage: Was trinken, wenn nicht Alkohol?" Nur Säfte und Wasser sollten es bitteschön nicht sein, mehr Abwechslung dagegen sehr. Sie stießen bei ihrer Recherche auf das erst 2015 gegründete Unternehmen Seedlip aus Großbritannien mit seinen Botanicals. „Das ist die Mutter aller Non Alcoholics. Es gibt dir das Gefühl von Hoch- und Gleichwertigem." Isabella Steiner und Katja Kauf wollen das Alkohol-Trinken keineswegs verbieten. „Uns geht es nicht ums Nein zum Alkohol, sondern ums Ja zu Alkoholfrei." Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied.
Non Alcoholics sind nicht einfach nur „ohne Alkohol". Sie können eine ganz eigene, neue Welt eröffnen. Versteht sich, dass es die drei Seedlip-Sorten auf der Basis von Destillaten und Extrakten von Zitrusfrüchten, Erbsen oder Kräutern im „Null Prozent Späti" zu kaufen gibt. Der Seedlip Grove 42 etwa hat Anklänge an Orangen, Mandarinen und Blutorangen. Mit einem guten Tonic Water wie dem von Thomas Henry und einer Orangenzeste entsteht ein erfrischender, floraler und leicht herber Drink. „Restalkohol: maximal 0,5 Prozent" steht auf der Website. Ich dachte, Non Alcoholics seien ganz ohne?
Das sei nicht so einfach, erläutert Katja Kauf: „0,0 Prozent kann draufstehen. Dann dürfen aber bis zu 0,5 Prozent Restalkohol drin sein." Die Hersteller erklärten das gern mit reifen Bananen, deren Zucker durch Gärung auch in eine kleine Menge Alkohol umgewandelt wird. Wer tatsächlich 0,0 Prozent Alkohol in Flasche und Glas haben möchte, sollte definitiv genauer hinschauen oder das „Null Prozent Späti"-Team befragen. „Wir haben ein sehr erklärungsbedürftiges Produkt", sagt Isabella Steiner. „Man muss es ganz klar sagen: Das sind Erwachsenengetränke und nichts für Kinder. Aber wir wollen ja auch nicht in die Kindlichkeitsecke hinein."
Bestens vernetzt mit den Bars der Stadt
Deshalb kommen die Erwachsenen besonders gern persönlich im „Null Prozent Späti" in der Solmsstraße, gleich ums Eck von der Bergmannstraße, vorbei. Um sich beraten zu lassen und Unbekanntes zu entdecken. „Wir haben festgestellt, dass unsere Kunden viel älter und gar nicht unsere Altersgruppe sind", sagt Steiner. Sie ist 32, Katja Kauf 29 Jahre alt. Es kommen solche Kundinnen wie ich: die vielleicht nicht – mehr – gut Alkohol vertragen. Mit dem Auto unterwegs sind oder Medikamente einnehmen. Plus natürlich Schwangere, die in Gesellschaft „mittrinken" möchten. Teils mag die Zurückhaltung der Jüngeren mit den Preisen zu tun haben. „Wein gibt es nicht unter acht oder neun Euro pro Flasche. Für Jüngere ist das schon viel, für Ältere nicht", sagt Katja Kauf. Eine Flasche Rotwein von „Kolonne Null" etwa kostet um die zwölf Euro.
Bei meinem ersten Besuch trieben mich Neugier und die Suche nach etwas Besonderem in den „Null Prozent Späti". Katja Kauf war vor Ort und riet mir zu „unserem Geheimtipp": Markmans Herbal Elixir No. 1. Seither wohnte eine schicke, übergroße braune Apothekerflasche in meiner Kühlschranktür und wartet darauf, bei Gelegenheit ihren Inhalt über einen dicken Eiswürfel zu ergießen. „Ein ganz eigener, mit nichts vergleichbarer Geschmack" erwarte mich, versprach Kauf. Ich wurde nicht enttäuscht.
„Das ist nichts für Kardamomhasser", kündige ich einer Freundin zur Verkostung an. Laut Etikett sind Grüntee, Streuobst-Apfelsaft, Limetten, Minze und eine „geheime Mischung reinster und hochenergetischer Kräuter- und Gewürzessenzen" die bestimmenden Bestandteile. Meinen Geschmacksknospen nach dominieren Kardamom, Orange und Minze. Produktpoesie hin, die – unbegründete – Furcht vor einer schlaflosen Grüntee-Nacht her: Der Markmans war eine Superempfehlung. Er wird Dauerbewohner in meinem Haushalt!
Ein alkoholfreier Gin wie der Vogelfrei von Heimat oder ein weißer Undone No. 8 Not Vermouth sind dagegen für das Geschmacksgedächtnis vergleichsweise bekannte und abrufbare Getränke. Der Not Vermouth wurde mir von Izabela Rosiak von der „Bar in a Jar" empfohlen. Ein großer Eiswürfel und der Nicht-Wermut on top: Schon habe ich auf die einfache „On the rocks"-Art einen sommerlichen, herbsüßen, pfirsich-lastigen Aperitif im Glas. Ein wirklich gutes Zeug, mit dem ich mich schon auf dem Balkon sitzen sehe.
Natürlich sind mit Gin, Tequilas, Cointreau und Vodka „ohne" auch komplexe Drinks mixbar. „Wir haben sogar einen Malt Whisky von Lyre’s aus UK. Den kann man auch pur trinken, das ist spannend", sagt Isabella Steiner. So spannend, dass er nach dem Eintreffen einer neuen Lieferung rasch ausverkauft ist. Der „Null Prozent Späti" ist außerdem sehr gut mit den Bars in der Stadt vernetzt, „die viel Wert auf Alkoholfreies legen". Hatte ich nicht gerade einen „Salted Caramel Cherry" in der Online-Bar des Galander? Genau. Die Namen Monkey Bar, Sohnemann Bar, Orania, Golvet und Goldfisch Bar fallen ebenfalls. Ich merke sie mir gern fürs „Danach" und um mir die Inspiration für mixologische Alkoholfrei-Versuche zu Hause zu holen. „Weg von den Mocktails" wie etwa einer Virgin Colada gehe der Trend, sagt Isabella Steiner, hin zu Eigenständigem. „Wir wollen zeigen, dass es cool ist, etwas Neues, Eigenes zu machen."
Im achtköpfigen Team kristallisieren sich langsam „Fachrichtungen" heraus. Kürzlich stieß Bier-Experte Rainer Walisser dazu. Die zuvor „ganz kleine Bier-Ecke" wird von ihm nun mit alkoholfreien Sorten bestückt und vergrößert. „Wir haben schon fünf neue, tolle Sorten da, die du nicht im Discounter oder Späti findest", sagt Katja Kauf. „Zum Beispiel ein Riesling-Bier." Hört sich fancy an und bleibt gern einer neuen Probierrunde vorbehalten.
Katja Kauf ist „eher der Weintrinker", die auch „gern auch einen Roten" zu sich nimmt. Alkoholfreier Wein entsteht, indem die Trauben wie üblich gekeltert werden. Erst dem fertigen Wein wird der Alkohol entzogen. Das unterscheidet ihn von einem Verjus, der aus unreifen Trauben gewonnen wird. Mein Liebling ist der Fischer Verjus Frizz aus Bio-Trauben, der sich ganz vorzüglich anstelle von Sekt trinken lässt. Schön vollmundig lässt der echte Null-Prozenter aus Österreich keinen Alkohol vermissen. Er macht sich mit ein, zwei Gläschen zum Anstoßen bestens. Mit den alkoholfreien weißen Weinen dagegen tue ich mich vorerst schwer. Sie scheinen mir wie Natural und Orange Weine recht weit vom gelernten Geschmack entfernt. Vom Sauvignon Blanc von König & Krieger bin ich schließlich angetan. Eine gewisse Süße und Aromenfülle von Cassis, grüner Paprika und ein Hauch von Gras machen sich angenehm prickelnd im Glas und anschließend in mir breit.
Manchmal geringe Restalkohol-Werte
Gerade auch beim Wein gilt: „Die Branche ist noch sehr neu. Das ist gut, da tut sich noch vieles", sagt Katja Kauf. Was vor drei Jahren nach Ersatz schmeckte, kann heute sortenrein und mit ganz anderer Geschmacksspanne daherkommen. Manches, wie den Fokus auf Lagen und Terroir, gibt es aber noch nicht. Anderes, wie eine einheitliche Klassifikation für alkoholfreie Weine, muss neu geschaffen werden. „Die Zuckerwerte für einen trockenen Wein kannst du nicht nach alkoholischen Weinen klassifizieren." Beispiel: der Cabernet Sauvignon von Goodvines. Der Rote wird im „Null Prozent Späti" als „trocken" verkauft. Er würde nach alkoholischer Lesart aber als „lieblich" eingestuft. Nicht zuletzt deshalb finde ich den Service auf der Website mit ausführlichen Beschreibungen der einzelnen Produkte sehr gut. „0,0 Prozent", „Pregnant" oder „Plant Based" etwa sind auf den ersten Blick per Piktogramm erkennbar. Genaue Restalkoholwerte, Restsüße, Inhaltsstoffe oder Nährwerte beispielsweise sind ebenfalls notiert. Das hilft bei der Orientierung und Kaufentscheidung.
Ganz gleich ob Botanical, Spirituosen „ohne", Bier oder Wein: Vieles ist hochdynamisch in Bewegung. Allein beim Rum gebe es inzwischen sechs Sorten „und es kommen noch viele dieses Jahr", sagt Isabella Steiner. Die Saison für Aperol-Alternativen wie einen Vincent-Aperitif von Schladerer oder einem Mondino Senza Aperitivo geht gerade erst los. „Als es wärmer geworden ist, haben wir das direkt gemerkt." Selbst ganze „0 Prozent-Bundles" mit – bis aufs Eis – sämtlichen Zutaten für einen „Hibiskus Spritz" oder „Breakfast Martini" können bestellt und deutschlandweit geliefert werden.
Der Alkoholfrei-Markt ist zweifellos eine Wachstumsbranche, in der viele mitmischen wollen. Beim Durchstart haben Steiner und Kauf mit dem „Null Prozent Späti" und „Nüchtern Berlin" ihre Nase ganz weit vorn – sehr zum Wohl und Vergnügen für uns in Berlin.