Der amerikanische Schauspieler Giancarlo Esposito über seine Rolle in „Godfather of Harlem", Rassismus in Amerika, seine Hoffnung auf eine bessere Welt und warum er bei einer Polizeikontrolle nie ein Smartphone in der Hand hält.
Wer jemals die Kultserie „Breaking Bad" gesehen hat, wird Giancarlo Esposito nicht vergessen. Als Chef eines Meth-Labors und der Fastfood-Kette Los Pollos Hermanos übertraf er sogar Walter White an Skrupellosigkeit. „Eine so wunderbare Rolle kriegt man nur einmal im Leben angeboten. Es war ein Riesenspaß, sie zu spielen. Wir waren ein tolles Team. Ich trauere der Serie immer noch ein bisschen nach", meint Esposito lachend. Prägnante Rollen hat der heute 62-Jährige natürlich auch davor und danach gespielt – immerhin ist er seit gut 40 Jahren im Filmbusiness. Zum Beispiel in Filmen von Spike Lee (unter anderem in „Do the Right Thing" und „Malcolm X"), in „Ali", „Money Monster", „Okja"; seit 2019 gehört er zur Stammbesetzung in der Sci-Fi-Serie „The Mandalorian". Aktuell spielt er in der Drama-Serie „Godfather of Harlem".
Mr. Esposito, kann man nach den „Sopranos" eigentlich noch guten Gewissens eine Mafia-Serie machen, die in New York spielt?
(lacht) Aber sicher! „Godfather of Harlem" unterscheidet sich ganz wesentlich von den „Sopranos". Sie erzählt die Geschichte von Bumpy Johnson, der in den 1960er-Jahren der schwarze Pate von Harlem war. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen der italienischen Mafia und Johnsons Gangster-Syndikat sind das Thema der Serie. Man bekommt dabei aber auch einen sehr guten Eindruck vom politischen und sozialen Klima jener unruhigen, hochexplosiven Zeit. Der Konflikt um die Vorherrschaft in Harlem treibt die Story kräftig voran. Aber wie bei jeder guten Serie gibt es auch hier verschiedene Ebenen.
Wäre Bumpy Johnson nicht die Rolle für Sie gewesen? Stattdessen spielt ihn Forest Whitaker.
Nein, Forest ist ein schauspielerisches Schwergewicht und genau der Richtige für diese sehr komplexe Rolle. Mit ihm zusammen vor der Kamera zu stehen war übrigens einer der Gründe, warum ich bei „Godfather of Harlem" unbedingt mitmachen wollte. Von ihm kann ich als Schauspieler noch viel lernen. Außerdem haben mich die historischen Bezüge sehr interessiert.
Sie verkörpern den Politiker Adam Clayton Powell Jr., …
… der Harlem im Repräsentantenhaus von 1945 bis 1971 vertreten hat. Er war ein leidenschaftlicher Politiker, der den Civil Rights Act im Jahr 1964 gegen große Widerstände tatsächlich durchgekriegt hat. Dieses wichtige Bürgerrechts-Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und Hautfarbe. Wenn ich mir den Zustand anschaue, in dem sich Amerika heute befindet, muss ich leider sagen, dass sich in puncto Diskriminierung nicht so viel geändert hat.
Sie meinen den wieder aufgeflammten Rassismus?
In den USA gibt es immer noch systematischen Rassismus! Dazu die brutale Vorgehensweise der Polizei gegen Schwarze. Noch immer werden Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religionszugehörigkeit diskriminiert. Es gab zwar zum Glück einige Fortschritte – verglichen mit den 60er-Jahren –, aber es ist immer noch sehr schlimm. Auch deshalb finde ich diese Serie so wichtig. Besonders beeindruckt hat mich, wie die Macher von „Godfather of Harlem" die damaligen Geschehnisse mit den Augen von heute betrachten und sie so in die richtige Perspektive setzen.
Als die Rassenunruhen in den 60er-Jahren hochkochten – Stichwort: Malcolm X und Martin Luther King – waren Sie noch sehr jung. Wie wichtig war Ihnen dieser geschichtliche Bezug später, als Erwachsener?
Sehr wichtig. Ich bin der Sohn einer afroamerikanischen Mutter und eines italienischen Vaters. Ich habe Rassismus von beiden Seiten erlebt: Für die Italiener war ich zu schwarz, für die Afroamerikaner war ich ein Außenseiter mit einem sehr seltsamen Vornamen – Giancarlo. Hätte ich Jerome geheißen, dann wäre alles viel einfacher für mich gewesen.
Ernsthaft?
Ja. Engstirnigkeit gibt es leider überall. Nirgendwo richtig dazuzugehören, das hat mich als Teenager sehr belastet. Als Erwachsener hat es mich dann aber erst recht dafür sensibilisiert, dass alle Menschen gleich sind, auch wenn sie verschiedene Hautfarben oder Religionen haben. Regisseur Spike Lee hat mich mal einen „Afro-Europäer" genannt, weil ich in Kopenhagen zur Welt kam und dort eine Zeitlang gelebt habe. (lacht) Damals wusste ich nicht, ob das ein Beleidigung oder ein Kompliment war.
Und heute?
Ganz klar: ein Kompliment! Es ist doch immer von Vorteil, wenn man verschiedene kulturelle Einflüsse mitbekommen hat. Dadurch kann man sein eigenes Leben und das seiner Mitmenschen nur bereichern. Zumindest habe ich das lange geglaubt. Bis mich auf der Highschool meine afroamerikanischen und italienischen Mitschüler geschnitten haben. Ich hatte lange Zeit weder Freunde unter den Schwarzen noch unter den Weißen. Aber mittlerweile denke ich, dass ich von den zwei besten Welten abstamme, die es gibt!
Die USA haben endlich einen neuen Präsidenten. Glauben Sie, dass es Joe Biden gelingt, Amerika wieder zu vereinen?
Gott sei Dank ist Trump weg vom Fenster! Er hat in Amerika großen Schaden angerichtet und das Land tief gespalten. Ich hoffe wirklich, dass Joe Biden und Kamala Harris die Kraft haben, das Land in die richtige Richtung zu steuern. Doch bis jetzt habe ich leider noch keinen wirklichen Wandel gespürt. Das liegt zum großen Teil auch an den beiden Parteien. Republikaner und Demo-kraten haben sich in den letzten Jahren gegenseitig völlig blockiert. Mir sind Kamala und Joe als Team sehr sympathisch. Aber ich will ihnen nicht zu viel Verantwortung aufladen. Denn sonst werden wir alle eine große Enttäuschung erleben … Wirkliche Veränderungen fangen bei mir selbst an – und bei Ihnen.
Was müssten wir – ganz konkret – als Erstes ändern?
Wir können noch so viel argumentieren und uns die Köpfe heiß reden, aber zuerst müssen wir diverse Gesetze ändern. Ich wünsche mir endlich Gleichberechtigung und Fairness in allen Bereichen des Lebens. Wenn Sie in Amerika schwarz sind und männlich und einfach mit dem Auto die Straße entlangfahren und aus irgendeinem Grund – oder grundlos – von einer Polizeistreife angehalten werden – dann gibt es ein paar Dinge, die Sie unbedingt tun sollten. Ganz gleich, ob Sie berühmt sind oder nicht.
Was für Dinge?
Wenn es mir passiert, dass ich in eine Polizeikontrolle komme, nehme ich zuerst meine Brieftasche und meine Fahrerlaubnis und lege sie ganz langsam aufs Armaturenbrett. Dann rolle ich alle Fenster herunter und lege beide Hände flach aufs Lenkrad. Und ich halte auf gar keinen Fall ein Smartphone in der Hand. Das könnte vielleicht Licht reflektieren, und die Cops könnten denken, das wäre eine Pistole und würden schießen! Dieses Gefühl des Ausgeliefertseins und der absoluten Ohnmacht habe ich jedes Mal, wenn mich die Polizei anhält. Ich liebe mein Leben über alles, und in so einer Situation könnte es mir von jetzt auf gleich genommen werden. Nur wegen meiner Hautfarbe. Oder weil die Cops mein Telefon als Pistole sehen. Dieser Horror prägt einen.
Sie haben beim Dalai Lama und bei Mutter Teresa spirituelle Erleuchtung gesucht. Was hat Sie dazu bewogen?
Den Dalai Lama mag ich, weil er immer glücklich und froh ist. Ich schätze auch seine buddhistische Philosophie, die lehrt, dass alle Menschen Teil dieser Welt sind. Ohne Ausnahme. Was Mutter Teresa angeht, hat mich an ihr am meisten beeindruckt, wie selbstlos sie war. Sie war für mich die Inkarnation einer Dienerin für Menschen in Not. Persönlich gesehen hoffe ich, durch meine künstlerische Arbeit den Menschen auch Freude zu bringen und ihnen dabei helfen zu können, die Welt besser zu verstehen. Wie zum Beispiel mit „Godfather of Harlem". Ich freue mich sehr darauf, dass diese Serie auch in Deutschland zu sehen sein wird. Denn dann erfahren die Zuschauer wirklich viel darüber, wie es damals zuging in Harlem. Und bekommen vielleicht sogar ein Gespür für die Menschen und ihre Probleme. Mir ist klar, dass wir alle zuerst einmal gut unterhalten werden wollen, aber manchmal ist es auch wichtig, mit Dingen konfrontiert zu werden, die uns vielleicht sogar verstören und aufrütteln.
In „Godfather of Harlem" fällt der Satz: „Wenn wir alles noch einmal machen könnten, würden wir es besser machen." Stimmen Sie dem zu?
Ja, aus vollem Herzen. Wissen Sie, was die schlimmsten Übel der Menschheit sind? Machthunger und Geldgier! Wie schön wäre es, wenn wir uns das endlich bewusst machen und diese Geißeln der Menschheit ausrotten könnten.
Ein frommer Wunsch …
… andererseits wählen wir immer noch politische Vertreter, die total selbstbezogen und egoistisch sind und nur ihr eigenes Wohl im Blick haben. Mir ist das sonnenklar. Ich frage Sie: Warum können so viele Leute das einfach nicht erkennen?