Packende Gangster-Saga mit großkalibriger Besetzung. „Godfather of Harlem" hat das Format der Kult-Serien „Sopranos" und „Boardwalk Empire". Und das will was heißen. Seit Ende März kann die erste Staffel bei Disney+ gestreamt werden.
Eine Metzgerei in Harlem. Rinderhälften am Haken. Mit einer abgesägten Schrotflinte im Anschlag geht ein Mann Richtung Hinterzimmer. Der Mann ist „Bumpy" Johnson (Forest Whitaker), der Pate von Harlem. Nach zehn Jahren Haft im Hochsicherheitsgefängnis Alcatraz ist er zurück in seinem Revier. Doch das hat sich Vincent „Chin" Gigante (Vincent D’Onofrio), ein Unterboss der italienisch-amerikanischen Mafia-Familie Genovese, längst unter den Nagel gerissen. Den lukrativen Heroinhandel inklusive. Bumpy macht Chin klar, dass er sich das nicht bieten lässt. Er meint es verdammt ernst. Ein bedrohliches Wortgefecht beendet Bumpy kurzerhand, indem er auf eine Rin-derhälfte feuert, die es in tausend Stücke zerreißt. Das ist der spektakuläre Auftakt zum blutigen Krieg zwischen Bumpys Gangster-Syndikat und der Mafia. Oder wie Chin sagt: „Die Spiele haben begonnen."
Ein liebevoller Familienvater
Basierend auf wahren Begebenheiten, erzählt „Godfather of Harlem" vom Aufstieg Bumpys zum Paten von Harlem in den 1960er-Jahren. Einem Harlem, das im Heroinsumpf zu versinken droht. Wo die Gier nach Macht und Reichtum das Klima vergiftet. Wo Rassismus an der Tagesordnung ist. Wo sich schwarze und weiße Drogendealer auf offener Straße fast täglich umbringen und der Wortführer der „Nation of Islam" Malcolm X (Nigel Thatch) versucht, die Menschen zum Islam zu bekehren. Unter anderem auch einen Boxer-Champion namens Cassius Clay. Wo der schmierige Kongressabgeordnete Adam Clayton Powell Jr. (Giancarlo Esposito; siehe Interview Seite 88) mit fast allen Mitteln um Wählerstimmen kämpft.
Wir erleben Bumpy, wie er sich liebevoll um seine Familie kümmert. Wie er in einem schicken Café aus Spaß die Kirsche vom Eisbecher seiner Tochter klaut. Und wie er – wenig später – seinen Gegnern die Kehle mit dem Rasiermesser durchschneidet. Wir sehen Chin, wie er beim Espresso-Trinken in seinem Hauptquartier eiskalt den Mord an einem schwarzen Musiker in Auftrag gibt, in den sich seine Tochter bis über beide Ohren verliebt hat. Diese Todsünde beichtet er – als guter Katholik – natürlich schon am nächsten Tag.
Der Brennpunkt dieses modernen Sodom- und Gomorrha-Szenarios ist ganz klar der ultrabrutale Konflikt zwischen Bumpy und Chin, die sich mit wechselnden Allianzen bis aufs Blut bekriegen. Ganz dem Mob-Film-Genre verpflichtet, sind der Pate und seine Nemesis getrieben von abgrundtiefem Hass, bestialischen Rachegelüsten und heimtückischem Betrug. Dabei hält Forest Whitaker die Zügel immer fest in der Hand. Seine Charakterzeichnung des in sich zerrissenen, in seinem Stolz tief verletzten, aber auch dämonischen Bumpy kommt in den besten Momenten an die von James Gandolfini als Tony Soprano heran. Und Vincent D’Onofrio ist ein exzentrischer Teufel par excellence. Schon diese beiden hervorragenden Schauspieler laden zum Binge-Watching. Absolut stimmig ist auch die Atmosphäre der Serie, die einen schnell in den Hexenkessel Harlem hineinzieht. Schmutzige Hinterhöfe, in denen Junkies vegetieren, Bumpys feines Luxusappartement im Lenox-Terrace-Wohnblock (der heute unter Denkmalschutz steht), verruchte Hotelzimmer, schummrige Stripteasebars, Kellerlokale, in denen coole Bands Jazz, Soul und Blues spielen. Nicht zu vergessen die Mode und die Straßenkreuzer – alles wirkt authentisch, wie aus einem Guss.
Ein faszinierendes Sittenbild
Chris Brancato, dem Macher der Krimiserie „Narcos", ist mit „Godfather of Harlem" ein faszinierendes Sittenbild jener hochexplosiven Zeit gelungen. Man bekommt – jenseits der üblichen Kli-schees – ein Gefühl für den sozialen und politischen Zündstoff, der auch heute noch in der US-Gesellschaft schwelt. Und die Geschichte ist längst noch nicht zu Ende erzählt. Deshalb ist es gut, dass die zweite Staffel bereits abgedreht wurde. Wer will, kann „Godfather of Harlem" auch als eine Art Prequel zu Ridley Scotts großartigem Kinofilm „American Gangster" (2007) mit Denzel Washington und Russell Crowe sehen. In der Streaming-Flut mediokrer bis abgrundtief schlechter Serien ist „Godfather of Harlem" ein faszinierendes und absolut sehenswertes Gangster-Tableau.