Hemingway nannte ihn „seinen alten Freund", für Napoleon war er der „Tapferste der Tapferen", und der König von Frankreich schmähte ihn als „Elenden ohne Ehre": Marschall Michel Ney aus Saarlouis.
Im Jahr 1769 wird in der französischen Wasserfestung Sarre-Louis ein Junge geboren, der seine Spuren in der Weltgeschichte hinterlassen sollte: Michel Ney. Seine schulische Ausbildung erfährt er am Collège seiner Heimatstadt und wird bis heute der berühmteste Schüler des noch immer existierenden Gymnasiums in Saarlands heimlicher Hauptstadt bleiben.
Ab seinem 13. Lebensjahr übt er in schneller Folge untergeordnete Tätigkeiten aus, die ihn aber alle nicht hinreichend zu fesseln vermögen: in einem Notariat, bei der Staatsanwaltschaft, in einem Hüttenwerk. Gewiss hört er davon: „Napoleon führt den freien Wettbewerb ein, nicht nur beim Militär: Wer etwas fleißig erstrebt, fähig ist, der vermag es nun weiter zu bringen als je zuvor. Jeder einfache Soldat hat ‚den Marschallstab im Tornister‘".
Er, der hochbegabte, impulsive Rothaarige, ergreift die Chance beim Schopfe: Mit 19 Jahren tritt er als Rekrut in die französische Armee ein – und als Husar einen Ritt zu den Sternen an. Vier Jahre später Hauptmann, mit 27 bereits General, mit 35 Marschall von Frankreich. Napoleon hat Wort gehalten.
Nach seinem Sieg bei Oberelchingen gegen zahlenmäßig stark überlegene Österreicher wird der schneidige Böttchersohn gar zum Herzog von Elchingen erhoben. Napoleon rühmt ihn als „Tapfersten der Tapferen". Mit ihm reitet er in einer der fürchterlichsten Schlachten der Menschheitsgeschichte gen Russland. Napoleons Fiasko. Es ist Marschall Michel Ney, der in getreuer Pflichterfüllung die Reste der geschlagenen französischen Armee in historisch heldenhafter Manier heimführt. Wofür er zum „Fürsten von der Moskwa" erhoben wird.
Ernest Hemingway schreibt über „seinen alten Freund Marschall Ney" gerührt „wie viele Tage Ney persönlich mit der Nachhut auf dem Rückzug von Moskau gekämpft hatte, aus dem Napoleon mit Caulaincourt im Wagen davongefahren war". „Der letzte Mann der Großen Armee", so Literat Friedrich Sieburg, „der Russland verließ, war ein Saarländer."
Als der Korse aus seinem Exil auf Elba via Südfrankreich zurückkehrt, schickt Frankreichs Monarchie ihm ausgerechnet Marschall Michel Ney, inzwischen zum Pair, also einem der höchsten Adligen von Frankreich erhoben, entgegen – um ihn zu stoppen. Doch dem Zauber des Rückkehrers kann Ney nicht widerstehen und schwenkt alsbald um. Dabei war er es doch, der Napoleon der vielen Verluste halber zur Abdankung gedrängt hatte und zu den Bourbonen hinübergewechselt war.
Spätestens ab da könnte man Napoleon ironisch als „des Marschalls Kaiser" bezeichnen. Denn Ney ermöglicht somit – den Gedanken zu Ende gedacht – Waterloo, den Untergang. Diese Schlacht mit 47.000 Gefallenen und Verwundeten gewinnt er nicht. Es mag Legende sein: Fünf Pferde werden unter ihm weggeschossen, doch er stürmt per pedes weiter. Auf der Gegenseite der britische Herzog von Wellington mit seiner legendären Äußerung: „Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen." Und Feldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher („Marschall Vorwärts") kommt. Es ist das Ende des Ersten Französischen Kaiserreichs.
Der König von Frankreich verleiht seiner bitteren Erkenntnis, dass er mit Ney den „Wolf in den Schafstall" ausgesandt hat, Ausdruck: „Welch Elender! Es gibt keine Ehre mehr." Des Marschalls Überlaufen in Lons-le-Saunier – dies, was nicht übersehen werden darf, nicht zuletzt angesichts einer deutlich überlegenen Streitmacht Napoleons – erweist sich auch für ihn selbst als eine verhängnisvolle Entscheidung: Sie wird ihn noch im gleichen Jahr das Leben kosten. Ney ist sich im Klaren: „Ich bin mir völlig klar darüber, dass ich als Erster erschossen werde, wenn Ludwig XVIII zurückkehrt."
So ist es auch. Wegen Hochverrats wird Michel Ney am 7. Dezember 1815 um 9.15 Uhr im Pariser Jardin du Luxembourg hingerichtet. Er, dessen Muttersprache Deutsch ist, hat es abgelehnt, Frankreich zu verlassen, sich befreien zu lassen, sich als Deutscher zu deklarieren. Er verweigert die Augenbinde und ist ohne Rangabzeichen. Er soll dem teils weinenden Erschießungskommando aus zwölf Veteranen selbst den Feuerbefehl gegeben haben. Einer anderen glaubhaften Schilderung zufolge jedoch ausgerufen haben: „Franzosen! Ich protestiere gegen meine Verurteilung. Meine Ehre …" Inmitten seiner Worte treffen ihn zehn Kugeln.
Der britische Historiker C.A. Fyffe polterte 1880: „Es war ein Fehler – das Opfer, ein tapferer, aber rauher halbdeutscher Soldat, stieg in der Volkslegende fast selbst auf kaiserliche Höhen hinauf." Sein gequält von Skrupeln aufgesetzter Brief vom 18. März 1815 an Bonaparte hätte ihm womöglich noch das Leben retten können: „Ich ergebe mich, um die Heimat vor den Katastrophen zu bewahren, von denen sie bedroht ist." Wenig später wurde das Schriftstück von Napoleon zerrissen.
Ney war ein intelligenter Mann, doch seine politisch-diplomatische Begabung wird heute als nicht sonderlich ausgeprägt beurteilt. Als Offizier brillierte er, war er ebenso draufgängerisch wie umsichtig, fürsorglich zu seinen Soldaten, die er mitreißend zu motivieren wusste, ritterlich, bescheiden, skandalfrei; kein Dieb wie andere, gleichwohl so hitzköpfig wie es einem Rotschopf gemeinhin nachgesagt wird. Auch kantig und mit der nötigen Brutalität ausgestattet, die sein Soldatentum erforderte – auch für das Töten.
In der Heimatstadt kaum gewürdigt
Der britische Feldmarschall Montgomery urteilte Epochen danach: „Ney war ein großartiger Kavallerieführer. Aber bei Waterloo zeigten sich Neys Schwächen. Als alles verloren war, verließ ihn seine Urteilskraft." Tragisch-kurios: Neys Heimatstadt, sein geliebtes Saarlouis, fiel im Kontext seiner Niederlage bei Waterloo am 18. Juni 1815 im „Zweiten Pariser Frieden" ausgerechnet an die gegnerischen Preußen.
Ney wurde auf dem altehrwürdigen Pariser Friedhof Père Lachaise beigesetzt. Dort liegt er übrigens in der gleichen Reihe wie Divisionsgeneral Jean Auguste Durosnel, der auch vor Moskau dabei war und gleichfalls zu Napoleon übergelaufen war. Im Gegensatz zu Ney kam er lebend davon und ab 1830 wieder zu Amt und Würden. Ney wurde 1831 wieder in die Ehrenlegion aufgenommen, doch erst zwei Jahrzehnte später von Napoleon III. rehabilitiert, „nicht dem Gesetz nach, sondern des Ruhmes halber", wie es formell lautete. In Metz an der „Esplanade" und in Paris nahe der Stelle, wo Ney standrechtlich erschossen wurde, widmete man ihm bedeutende Denkmäler.
Seine schon seit 1815 preußische beziehungsweise deutsche Heimatstadt hat ihren bekanntesten Sohn in der Vergangenheit kaum gewürdigt. Zwar gab es eine eher karge Sonderausstellung zum 250. Geburtstag, doch ein Denkmal errichteten ihm nur die französischen Besatzer, 1946, nach dem Zweiten Weltkrieg, auf der Vauban-Insel in der Saar. Sie benannten die Kaiser-Wilhelm-Straße auch in Marschall-Ney-Straße um. Im Zuge der Rückgliederung an Deutschland kehrte die Stadt das jedoch wieder um, und heute ist bloß ein unbedeutender Parkweg nach ihm benannt.
Immerhin ist sein Geburtshaus in der Bierstraße noch vorhanden und eine Gedenktafel („Ici est né le Maréchal Ney") angebracht. Sie soll allerdings schon 1829 mit Genehmigung der amtierenden preußischen Behörden angebracht worden sein – von privaten Spendern.
Der französische Dichterfürst Victor Hugo zeichnete 1865 Neys Geburtshaus in der heutigen Bierstraße 13. Allerdings nahm er das Nachbarhaus als Motiv, weil es ihm zufolge dem Original noch ähnlicher war.