Der Skandal um die Vorteilsnahme bei Maskenbestellungen hat zum Rücktritt mehrerer Abgeordneter geführt. Die Parteien verständigten sich auf neue Transparenzregeln. Doch was taugen sie wirklich? FORUM sprach mit Norman Loeckel, Leiter der Arbeitsgruppe transparente Verwaltung und Lobbyregulierung bei Transparency International.
Herr Loeckel, die neuen Transparenz-Regeln für Bundestagsabgeordnete gelten für Nebeneinkünfte (maximal 3.000 Euro ohne Angabe) und Unternehmensbeteiligungen (maximal fünf Prozent). Reicht das aus?
Die neuen Regeln sind deutlich besser als die, die vorher galten. Wenn wir das aber auf die aktuellen Skandale beziehen – Maskenbeschaffung/Aserbeidschan-Connection –, zeigt sich, dass sie noch nicht ausreichend sind. Denn bei den Masken-Skandalen war es so, dass diese Zahlungen über Firmen gelaufen sind. Das heißt: Die Abgeordneten haben Unternehmen gegründet, um die Zahlungsströme zu verschleiern. Das wird mit den neuen Regeln nicht verhindert. Es muss nicht offengelegt werden, woher die Firmen der Abgeordneten ihre Gelder beziehen. Oder ob aus den Zahlungen Interessenkonflikte entstehen. Das bleibt verborgen. Aber genau das war das Problem.
Reicht es nicht aus, wenn Abgeordneten klare Strafen angedroht werden, wenn sie bestechlich sind?
Das Problem ist, dass Bestechung im Strafgesetzbuch (Paragraf 108e) sehr schwach geregelt ist, und die dort erwähnte Abgeordneten-Bestechung ist sehr eng gefasst. Da ist nur von „einem ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung" für eine Handlung die Rede. Wenn ein Abgeordneter zum Beispiel dafür engagiert wird, dass er im Bundestag eine bestimmte Abstimmung vorbereitet oder beeinflusst, dann aber Geld oder geldwerte Vorteile an seine Ehefrau oder seine Eltern fließen, dann ist das nicht strafbar.
Wie ist es mit Spenden? Sie dürfen nicht mehr angenommen werden – dabei gibt es aber doch tausend Wege, Spenden irgendwie doch loszuwerden?
Der normale Spender, sei es der Bürger oder ein Industrieunternehmen, möchte ja wegen der Steuer eine Spendenbescheinigung haben. Und die Partei die staatliche Teilfinanzierung. Denn bei allen Spenden, die über offizielle Wege laufen, bekommen die Parteien eine Teilfinanzierung des Staates dazu. Natürlich gibt es illegale Wege, Spenden an den Mann oder die Frau zu bringen – aber es gilt: Spenden müssen offengelegt werden, und wenn das nicht passiert, ist das illegal, also strafbar.
Ist das richtig, dass der Staat bei jeder Spende noch etwas drauflegt?
Das nennt sich Wahlkampfkostenerstattung. Parteien bekommen Zuschüsse je nach Stimmen, die sie im Wahlergebnis bekommen haben. Diese Teilfinanzierung darf nicht höher sein als die Summe an Spenden, die eine Partei gesammelt hat.
Was bedeutet es, wenn das Lobbyregistergesetz jetzt auch auf Mitglieder der Bundesregierung und Abgeordnete ausgeweitet werden soll?
Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass die relevanten Informationen offengelegt werden. Ob die vonseiten der Lobbyisten zusammengestellt und veröffentlicht werden oder vonseiten der Abgeordneten, ist egal. Wichtig ist, dass Protokolle, Verabredungen Papiere, Absprachen offengelegt werden. Das Lobbyregistergesetz soll das transparent machen, aber da klaffen große Lücken.
Können Sie das begründen?
Ja, zum Beispiel brauchen die Lobbyisten nicht anzugeben, zu welchen Themen und zu welchen Gesetzen sie im letzten Jahr jeweils gearbeitet haben. Der konkrete Inhalt ihrer Lobbytätigkeit bleibt geheim. Dabei wäre gerade das interessant. Auch die Finanzierung kann prinzipiell vertuscht werden. Eigentlich soll ja offengelegt werden, wie viel Geld ein Unternehmen aufwendet und woher das kommt, aber es gibt eine Ausnahmeregelung im Lobbyregistergesetz.
Aber was regelt dann dieses Gesetz überhaupt?
Wenn man gemein ist, dann braucht ein Lobbyist nur das offenzulegen, was im Impressum auf seiner Internetseite steht – sonst kann er alles verschweigen. Tatsächlich muss er offenlegen, wer sein Auftraggeber ist – das ist jetzt neu. Aber die wirklich interessanten Informationen sind wie gesagt nicht dabei, die Themen der Lobbyarbeit, die mögliche Intransparenz der Finanzierung.
Die SPD wollte einen „exekutiven Fußabdruck" zu jedem Gesetz – was bedeutet das?
Das bedeutet, dass die schriftlichen Eingaben, die Stellungnahmen und Briefe, wenn die Ministerien ein Gesetz schreiben, mit veröffentlicht werden müssen. Aus den Ministerien kommen 80 Prozent aller Gesetzesinitiativen und Verordnungen, die in den Bundestag eingebracht werden. Die Opposition bringt zwar auch viele Gesetze ein, aber die meisten werden nicht verabschiedet. Mit dem „exekutiven Fußabdruck" könnte man vergleichen, wer besonders einflussreich war beim Entstehen des Gesetzes.
Verhindern diese neuen Regeln am Ende alle Nebentätigkeiten von Abgeordneten?
Natürlich haben Abgeordnete das Recht auf Nebentätigkeiten allgemeiner Art. Die sollen ja auch, wenn die Legislaturperiode vorbei ist, in ihren alten Job zurückkehren können. Wenn sie eine Tätigkeit fortführen, die sie schon vor ihrer Abgeordnetentätigkeit ausgeübt haben, dann ist das nicht problematisch. Also der Landwirt, der weiter in die Bücher seines landwirtschaftlichen Betriebs schaut, oder der Anwalt, der ein paar Mandate annimmt, damit er seine Lizenz nicht verliert. Problematisch ist es, wenn Abgeordnete neue Tätigkeiten aufnehmen, die nicht im Zusammenhang mit ihrem vorher ausgeübten Beruf stehen. Das wird nicht verboten, aber das wird transparenter gemacht.
Und was ist, wenn ein Mandatsträger für seinen Wahlkreis aktiv Werbung macht und Investoren gewinnen möchte?
Wenn er das unbezahlt macht und im Wählerauftrag, dann ist das ja auch Sinn der Sache – deswegen haben wir ja lokal gewählte Abgeordnete. Die direkt Gewählten sollen sich für ihren Wahlkreis einsetzen. Problematisch wird es, wenn einer nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag einen Beratervertrag oder eine Anstellung in einem Betrieb in seinem Wahlkreis bekommt.
Gibt es da keine Karenzregeln?
Für Abgeordnete gibt es in dieser Sache keine Regeln – im Unterschied zu Ministern und Staatssekretären, die eine Schonfrist einhalten müssen, bevor sie eine andere Tätigkeit beginnen.
Abgeordnete sind nicht an Weisungen gebunden, dem Wohle des ganzen Volkes verpflichtet und nicht Vertreter eines Standes oder einer Region. Alle Transparenzregeln und Lobbybestimmungen müssen dies doch respektieren – wie weit darf man Abgeordnete durch Vorschriften einengen?
Die Abgeordneten haben ein sogenanntes freies Mandat – natürlich gelten auch für sie Recht und Gesetz, das ist klar. Also auch das allgemeine Antikorruptionsgesetz. Aber das freie Mandat bedeutet, dass sie Macht ausüben im Interesse des Allgemeinwohls, sie sind also niemandem untergeordnet oder verpflichtet. Im Übrigen ist das ein nicht ausgefüllter Rechtsbegriff, der nicht scharf umrissen ist.
Das wäre Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts …
Da gibt es nur wenige Urteile. Wenn sie zum Beispiel die Pflicht zur Offenlegung der Nebentätigkeiten und der Einnahmen nehmen – das ist ja noch gar nicht so lange her, nämlich 2007. Damals haben Friedrich Merz und sechs Kollegen gegen die Vorschrift geklagt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass der Bürger wissen muss, woher seine Abgeordneten ihre Einkünfte beziehen. Das war vorher gar nicht klar.