Die Probleme von CDU/CSU haben schon vor dem Machtkampf Laschet/Söder begonnen
Der selbstzerstörerische Machtkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder hat alte Gewissheiten pulverisiert. Disziplin, Geschlossenheit, Kanzlerwahlverein: All dies waren einmal Kennzeichen der Union. Doch das verbissene Duell um die Kanzlerkandidatur von CDU/CSU hat den stilistischen Markenkern der Christdemokraten ad absurdum geführt.
Dass sich die Chefs von CDU und CSU nicht immer grün waren, hat sich nicht nur in der Ära von Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß gezeigt. Aber die offene Misstrauenserklärung von CDU-Landesverbänden und -Gliederungen gegen ihren eigenen Parteichef Laschet, die vom CSU-Vorsitzenden Söder genüsslich aufgegriffen wird, ist neu. Auch die trumpistische Kampagne des Bayern, der die Stimmung in der Bevölkerung und Umfragen über das Votum von CDU-Gremien setzte, darf als Novität in der Unionsfamilie bezeichnet werden.
Derlei Winkelzüge waren bislang vor allem von der SPD bekannt. Auch die Grünen – lange her – kennen sich bei parteiinternen Zerreißproben aus. Dass nun ausgerechnet die Vorkämpfer der Klimarettung in einem Meisterstück harmonischer Diskretion Annalena Baerbock auf den Schild der Kanzlerkandidatin gehoben haben, ist eine kleine politische Kulturrevolution. Und eine Umkehrung der Werte. Die krawalligen Streithähne sitzen jetzt in der Union, die Bannerträger der Eintracht bei den Grünen.
Dass die CDU/CSU derart aus den Fugen geraten ist, hat mehrere Gründe. Da ist zunächst das Führungsproblem. Laschet kann integrieren und widersprüchliche Positionen unter einen Hut bringen. Aber er hat die Ausstrahlung eines netten Onkels – und es mangelt ihm an Konturen. Söder verfügt über Charisma. Er kann exzellent erklären. Doch opportunistische Wendungen – mal Migrationskritiker, mal Grünen-Umarmer – nagen an seiner Verlässlichkeit. Gleichwohl spricht vieles dafür, dass er bei der Bundestagswahl am 26. September ein deutlich besseres Ergebnis für die Union einfahren würde als Laschet.
Das Führungsdilemma der Partei reicht jedoch länger zurück. Seit Angela Merkel im Dezember 2018 den CDU-Vorsitz abgegeben hat, fehlen Kraft und Gestaltungswillen an der Spitze. Merkels Kronprinzessin Annegret Kramp-Karrenbauer wirkte gegenüber den Konkurrenten Friedrich Merz und Jens Spahn zwar als frische Alternative – zumal sie nach der mit über 40 Prozent gewonnenen saarländischen Landtagswahl im März 2017 das Sieger-Gen zu haben schien. Doch sie besaß nicht die nötige Autorität. Laschets Wahl im Januar war nicht der erhoffte Durchbruch, sondern eher der Triumph des kleinsten gemeinsamen Nenners gegenüber den Wettbewerbern Friedrich Merz und Norbert Röttgen.
16 Jahre Kanzlerschaft von Angela Merkel haben der Union und auch Deutschland über lange Zeit Stabilität verschafft. Angesichts der erdbebenartigen Erschütterungen in der Welt – Finanzkrise, Staatsschuldenkrise Eurokrise, Flüchtlingskrise – ließ Merkels ruhige Hand keine Panikstimmung aufkommen. Die Wirtschaft stürzte nicht ab, die Sparguthaben waren sicher. „Mutti wird es richten": Auf diese Formel ließ sich der Gemütszustand vieler Bundesbürger bringen.
Doch gleichzeitig verpasste die Kanzlerin der CDU einen sozialdemokratischen Anstrich: Abschaffung der Wehrpflicht, Rente mit 63, gleichgeschlechtliche Ehe. Den Christdemokraten kam ihre konservative DNA abhanden. Merkel formte die Partei zum koalitionskompatiblen Machtinstrument um. Debatten, produktive Richtungsstreite fanden nicht statt. Deutschland wurde zur sedierten Republik.
Die machtpolitische Konfrontation zwischen Laschet und Söder war auch deshalb so heftig, weil CDU/CSU zu viele personelle und programmatische Leerstellen aufweisen. Die Union verstand sich einmal als Impulsgeber für sozialen Aufstieg durch Leistung, als Garant für Wachstum und stabilen Arbeitsmarkt. Davon ist heute keine Rede mehr. Mehr Schubkräfte für Digitalisierung und Innovation wären angesichts des wirtschaftlichen Aufstiegs von China weitere Themen, um den Christdemokraten den Nimbus als Volkspartei zurückzugeben.
Die Grünen haben mit dem Kampf gegen den Klimawandel ihr Narrativ gefunden. Die CDU/CSU hat kein Gegen-Narrativ, um das Land zu begeistern. Stattdessen verschleißt sie sich in den zermürbenden Infights ihrer Spitzenleute. Was zur Frage führt: Brauchen wir die Union?