Die Versorgung mit medizinischer Schutzausrüstung bleibt vielerorts ein Problem. Waren es zu Beginn der Pandemie schlicht Produktions- und Lieferengpässe, sind es heute oft bürokratische Probleme, wie das Beispiel der Zahnärzte im Saarland zeigt.
Den Routinetermin beim Zahnarzt haben vergangenes Jahr so einige ausfallen lassen. Viele davon nicht, weil sie ihn nicht nötig gehabt hätten, sondern aus Angst. Nicht der üblichen vor Zahnarztterminen, sondern wegen Corona.
Dr. Carsten Schoppe ist einer von 498 niedergelassenen Zahnärzten im Saarland. Vor über 50 Jahren wurde die Praxis von seinem Vater auf dem Eschberg gegründet, seit 30 Jahren leitet er den zahnärztlichen Betrieb. Doch heute ist das Wartezimmer leerer als sonst.
Die WHO hatte im vergangenen Jahr für Aufruhr gesorgt, als sie dazu aufrief, Zahnarzttermine aufzuschieben. Spätestens als die Bundeszahnärztekammer in einer Mitteilung dagegenhielt, genau das bitte nicht zu tun, war die Verwirrung perfekt. „Das hat viele Leute verunsichert", sagt Schoppe. „Manche schieben ihre Behandlungen solange auf, dass sich der Zustand sehr verschlechtert." Im ersten Lockdown habe auch seine Praxis viele Behandlungen verschoben – aber eben nur jene, die aufschiebbar sind, wie Routinekontrollen oder Zahnreinigungen. „Wir hatten aber trotzdem noch genug Schmerzpatienten." Von was er aber nicht genug hatte, das war Schutzausrüstung. „Weder Masken noch Desinfektionsmittel – es war nichts mehr verfügbar", erzählt er. Anfangs habe man noch Kleinpackungen in den Depots erhalten können – bis auch diese keinen Nachschub mehr ordern konnten. „Der deutsche Markt war leer", sagt er. „Das hat nicht nur uns betroffen, sondern auch alle anderen, wie Altenpflegeheime oder sogar Apotheken."
„Der deutsche Markt war leer"
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung des Saarlandes (KZV) reagierte schnell und schuf eine Stelle, die den Einkauf, die Prüfung und die Abgabe einer „Notfallversorgung" an Schutzausrüstung koordinieren sollte. Besetzt wurde diese Projektstelle durch Pascal Borger. „Seit März hat mein Telefon nicht stillgestanden", erinnert er sich. Der Bedarf in der Zahnärzteschaft sei enorm gewesen. Besonders seien dabei auch Handschuhe ein großes Thema gewesen. „Wir haben drei Länder, die zu über 90 Prozent die weltweite Herstellung der Vinyl-Nitril- und Latexhandschuhen bedienen. Die haben bereits Mitte Mai gesagt: Wir haben keine Rohstoffe mehr."
Aber nicht nur an Beschaffungsmöglichkeiten mangelte es: „Ein anderes Thema waren die ganzen Plagiate, die in Umlauf gebracht wurden", so Borger. „Der Markt war voll mit medizinischen Waren aus dem asiatischen Raum. Wenn ich da keinen schnell agierenden sach- und fachkundigen Mitarbeiter habe, dann habe ich als Unternehmen ganz schnell Geld für Ware versenkt, die ich gar nicht in den Verkehr bringen darf."
Doch obwohl alle Hände voll zu tun war, erreichte Borger im Juli ein Zwischenzeugnis der KZV. Dort sehe man sich „nach aktuellem Stand nicht in der Lage, Herrn Borger eine Anschlussbeschäftigung anzubieten." Der auf den 30. September befristete Projektvertrag werde also nicht verlängert. „Obwohl ja absehbar war, dass uns die zweite Welle mehr treffen wird als im Frühjahr", merkt Dr. Schoppe an. „Die Entscheidung ist für mich unverständlich." An die KZV habe der Zahnarzt sich diesbezüglich bereits gewandt, allerdings keine befriedigende Antwort erhalten. Damit ist er nicht alleine: „Meine Vorgesetzten sind mir bis zum heutigen Tag eine Antwort schuldig", untermauert auch Borger. Auf FORUM-Nachfrage teilte die KZV mit, „aus Gründen des Arbeitnehmerdatenschutzes grundsätzlich keine Fragen zu laufenden oder beendeten Beschäftigungsverhältnissen" zu beantworten.
Doch auch bei der Notwendigkeit der Stelle herrscht Uneinigkeit zwischen Borger, Schoppe und der KZV. „Bereits im Mai war mir relativ klar, dass der erste Lockdown von seiner zeitlichen Begrenzung zu kurz gefasst war, um tatsächliche Ergebnisse zu erzielen", so Borger. „Das habe ich meinem Vorgesetzten geschildert und das ist so auch weiter an den Vorstand kommuniziert worden." Die KZV hält dagegen: „Die Lage ist derzeit nicht vergleichbar mit der Lage im Frühjahr. Weder gibt es einen flächendeckenden Produktionsausfall zu beobachten, noch sind die Lieferketten in dem Maße ausgehebelt, wie dies im Frühjahr der Fall war."
Schoppe und Borger vermuten, die KZV könne rechtliche Probleme darin gesehen haben, an den Depots vorbei an Praxen zu verkaufen. „Es sollte ja aber auch nicht so sein, dass dieser Dienst unsere Depots ersetzt, sondern es sollte eine Art Notfalldepot sein, wenn es in den Praxen knapp wird", so Schoppe. „Grundsätzlich ist das eine Tätigkeit, die bei einem freien Wirtschaftsakteur liegt. Da aber die Depots –
nicht nur im Saarland, sondern bundesweit – dermaßen mit der Nachfrage überfordert waren, kam es zu enormen Problemen", erklärt Borger. Denn die Praxen haben bestimmte Rahmenverträge mit den Depots, über welche deren individueller Bedarf an Schutz- und Hygieneartikeln abgedeckt ist. „Bereits Ende April haben sich mehrere Praxen bei mir gemeldet und gesagt, dass ihr Depot den Vertrag gekündigt habe. Sie können nicht mehr liefern."
Teils Lieferzeiten von mehreren Monaten
Pascal Borger machte sich nach Ende seiner Tätigkeit mit seiner erworbenen Fachkompetenz im Bereich der Beschaffung und Prüfung von Medizinprodukten wie auch der Erstellung von Hygienekonzepten selbstständig. Sein Nerzwerk hat er sich schließlich aufgebaut. „Ich mache jetzt eins zu eins das, was ich zuvor bei der KZV gemacht habe – nur eben in selbstständiger Tätigkeit." An Aufträgen mangele es ihm nicht.
Das maßgeblich durch seine Mithilfe geschaffene Notfalldepot der KZV existiert wohl noch. „Wir haben aber seitdem keinen Zugriff mehr darauf", sagt Carsten Schoppe. Denn die Verteilung lief immer nur telefonisch über Pascal Borger. „Der Shop sollte auch online gehen, das ist aber nie passiert." Er habe auch schon öfter mit der KZV telefoniert, denn die Schutzausrüstung droht erneut knapp zu werden. „Ich wurde ständig vertröstet. Da hieß es immer nur: ‚Wir arbeiten dran‘ oder ‚Es wird was kommen‘, aber nie wann."
Doch auch mit der Mithilfe Borgers kam es immer wieder zu heftigen Verzögerungen. Teilweise habe die Auslieferung spezieller Schutzkleidung bis weit in den Sommer 2020 gedauert. „Ich warte seit letztem April auf Masken mit wechselbaren Filtern. Die habe ich bis heute nicht erhalten, weil irgendeine Unterschrift fehlen würde", moniert Schoppe. Dabei sollte diese Maske allen Praxen zur Verfügung gestellt werden. Pascal Borger war maßgeblich an der Entwicklung der wiederverwendbaren Maske nach FFP2-Standard mit auswechselbarem Filter beteiligt. Die Maske biete nach umfangreicher Prüfung durch entsprechende Stellen einen „Schutz der höchsten Güte" für mindestens 980 Stunden. Klingt gut, hat aber einen bürokratischen Haken: „Der Gesetzgeber sieht vor, dass FFP2-Masken nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind. Somit haben wir die Prüfungen zum FFP2-Standard zwar bestanden, dürfen es aber ‚nur‘ Mund-Nasen-Schutz nennen."
Dabei sei gerade eine solche Maske Gold wert für die Praxen, befindet Schoppe. Zwar seien sogenannte Schwerpunktpraxen eingerichtet worden, die speziell Corona-Erkrankte behandeln sollen, doch ist auch ein regulärer Zahnarzt nicht davor geschützt, mit einem Infizierten in Kontakt zu kommen. „Wer weiß, wie viele Patienten wir bereits behandelt habe, die an Corona erkrankt waren, es aber selbst gar nicht wussten?", sagt Dr. Schoppe. Dazu kämen die Notdienste: „Die laufenden Praxen teilen sich ja auch die Notdienste an den Wochenenden auf. Da gibt es keine extra Schwerpunktpraxen für Erkrankte."