Eigentlich wollte Jochen Hintze in seiner Rösterei „JoCaffè" nur guten Kaffee in italienischer Tradition rösten und Maschinen verkaufen. Doch die Kunden wollten ihren Espresso auch vor Ort trinken. Deshalb gibt’s seit zwei Jahren ein ebenso erfolgreiches Kaffeehaus gleich nebenan.
Das Dorfzentrum ist leicht zu erkennen. Der eine verlässt das Kaffeehaus mit To-go-Becher in der Hand, die andere betritt die Rösterei durch den benachbarten Eingang. Es verbreitet sich die wohlige Befindlichkeit zufriedener Menschen in vorfrühlingshafter Sonne. Die Geschäftsführer Jochen Hintze und Daniela Münter sprechen lachend von „unserem Dorf" in der Reichenhaller Straße, in dem bei „JoCaffè" mit der Rösterei und dem angeschlossenen Kaffeehaus die Welt selbst derzeit so ziemlich in Ordnung sei.
„JoCaffè" ist ein koffeinlastiger Anziehungspunkt in Schmargendorf. Das liegt sicher ebenso an der ruhigen Lage in einer breiten Nebenstraße unweit der Kiez-Einkaufsmeile Berkaer Straße wie am urbanen Lebensgefühl. Es stellt sich mit einem Kaffeebecher in der Hand davonschlendernd unweigerlich ein. Normalerweise würde das Kaffeehaus mit Tischen und Stühlen auf dem Trottoir zu den ersten Draußen-Schlucken verleiten. Doch gerade muss ein Aufsteller mit den Öffnungs- und Last-Order-Zeiten sowie dem Verweis auf den Caffè to go genügen. Der wird, ganz gleich ob in Porzellantasse oder Pappe, aus ausgewählten und direkt gehandelten Bohnen zubereitet. Sie werden, wie der Name andeutet, seit der Eröffnung vor zehn Jahren in italienischer Tradition geröstet.
Zum „richtigen", wohlschmeckenden Espresso kam der Einzelhandelskaufmann und Maschinenbauingenieur Jochen Hintze bei seinen Aufenthalten in Italien. „Ich beschäftige mich mit Kaffee, seit ich 16 bin. Ich habe ein Faible für italienischen Kaffee, Essen und Wein." In den „Vor-Internet-Zeiten, Mitte der 80er-Jahre" sei das nicht einfach gewesen. „Es war mühselig zu recherchieren, wie man guten Kaffee macht", sagt Hintze. „Ich habe viel schlechten Kaffee getrunken." Das änderte sich mit der Entdeckung der Espressomaschine und einer Mühle für den Hausgebrauch. „Ein Quantensprung!" Hintze brachte von seinen Italien-Aufenthalten sechs Kilo handgerösteten Kaffee auf einmal mit. Die reichten ein halbes Jahr. „Fünf habe ich eingefroren, eines direkt verbraucht."
Doch die Qualität steht und fällt nicht nur mit Bohne, Maschine und Mühle. „Das Rösten ist der Schlüssel zum Erfolg und zum guten Geschmack", stellte er fest. In Hamburg besuchte Hintze einen Röstkurs, eignete sich Wissen an. Aufs Lernen folgte das Selbermachen. „Ich habe zu Hause angefangen, aber das ist nicht übertragbar auf eine große Maschine. Man muss alle Fehler mal im großen Stil machen." Als die Erfolge im großen Stil sich mehrten, ging es an den Verkauf. „Ich wollte ja nicht Gastronom werden. Ich komme aus der Industrie und wollte etwas produzieren."
Doch die Kunden wollten sofort den Probierkaffee zu den Maschinen und aus dem Verkauf auch vor Ort dauerhaft trinken. Ein benachbartes Ladenlokal wurde vor zwei Jahren als Kaffeehaus an die Rösterei angeschlossen. Es läuft. Mit „JoCaffè" in den Tassen und Bechern, frisch gebackenen Kuchen einer Lichterfelder Bäckerin sowie mit ausgewählten Schokoladen und Süßigkeiten von Hintzes Partnerin Daniela Münter. Sie ist die Expertin für Schokoladen, Tees und schöne genüssliche Dinge, die sie ebenfalls in ihrem Laden „Gutes von Busch" in Schlachtensee verkauft.
In Italien gibt es bis heute 5.000 kleine, individuell arbeitende Röstereien. In Deutschland sind es gerade einmal 800 bis 900, von denen viele erst in den vergangenen Jahren mit dem Wiedererstarken von Manufaktur-Röstereien, Kaffeebars und Third-Wave-Kaffees hinzugekommen sind. In Berlin dürften es derzeit allein um die 70 sein. „Anfang der 1970er-Jahre gab es das große Rösterei-Sterben. Es existierten nur noch 300 Betriebe bundesweit", weiß Hintze. Ausbalanciert zwischen Süße, Säure und Körper seien die Kaffees, die er für die Zubereitung als Espresso, Brüh- und Filterkaffee anbietet. Die Bohnen stammen von ihm überwiegend persönlich bekannten Farmern. „Durch den direkten Ankauf können die Erzeuger höhere Preise erzielen, in hervorragende Qualität investieren und ihren eigenen Lebensstandard verbessern."
In normalen Zeiten auch Barista-Kurse
Ein „Ethopia Sidamo" aus dem Probierpaket, den ich mir zuerst zu Hause im Espressokännchen koche, ist sehr fein und fruchtig. Ich erschlage ihn leider mit einem Schwapps Milch. Er möchte definitiv lieber pur getrunken werden. Der „Heirloom", eine Mischung wild wachsender Kaffeepflanzen aus der Region Sidama, zeigt seine Stärke ungleich besser grob gemahlen, in der Durchdrückkanne. „Jasmin, Orangenschale, Blaubeeren, Zitrus, Karamell" an Aromen verheißt der Aufdruck auf der Tüte. Eigentlich mag Jochen Hintze solche Zuschreibungen à la Wein-Poesie gar nicht. „Die Trinkigkeit ist mir wichtig und dass ein Kaffee ausbalanciert ist. Ich möchte das Potenzial des Rohkaffees ausschöpfen, das er mitbringt."
Doch die Kunden verlangten nach Zuschreibungen und Einordnung, deshalb gibt es einige Stichworte als Anhaltspunkte. Als ich bei meinem Besuch bei „JoCaffè" von meinem Kännchen-Fail erzähle, bekomme ich eine Tüte „Espresso Inferno"-Bohnen mit auf den Weg. Das „Inferno" aus fünf verschiedenen Arabicas und meine kleine Bialetti ticken definitiv besser zusammen. Perfekt, mit „Kakao und Tabak" mag ich meinen Espresso mit Schuss am Nachmittag! Dazu ein, zwei, fünf Schoko-Mürbekekse mit Pistazien und Haselnüssen von „I dolci di Efren" oder eine Scheibe handgeschöpfte „Goldhelm"-Schokolade, wie sie Daniela Münter für die Süßigkeiten-Ecke ausgewählt hat – schon wird aus der Arbeitsunterbrechung eine Pause de luxe.
„Wir können mit dir gern ein Cupping machen, bis wir einen Kaffee finden, der für dich passt", schlägt mir Daniela Münter vor. Wow! Durchprobieren bis zum Lieblingsgeschmack – das ist echter Service. Ich bin so schon happy. Und angefixt von den chromglänzenden Boliden auf dem Tresen. So eine richtige Siebträgermaschine mit ordentlich Druck auf der Brühgruppe, das wär schon was! Bei „JoCaffè" gibt’s Maschinen von EMC oder Profitec. Rösterei, Maschinenverkauf und „eine Tasse Kaffee zum Probieren". Neben den Espresso-Siebträgermaschinen bietet er Moccamaster für Filterkaffee, Schraubkannen von Ilsa oder Hario-Filter „mit großem Loch anstelle von drei Punkten" fürs Handfiltern an. Seit Beginn der Pandemie gehe der Trend stark zu den großen Siebträgermaschinen, beobachtete Hintze: „Die Leute wollen sich zu Hause einen guten Kaffee machen." Der Verkauf habe nochmals angezogen. Wer sich für so eine größere Anschaffung interessiert, wird um seine Kontaktdaten gebeten und bekommt einen Beratungstermin bei ihm. Nach dem Kauf gibt es bei der Aufstellung eine ausführliche Einweisung in das Gerät und eine Tüte Kaffee „zum Üben und Anfixen".
Weil der Weg vom Einschalten bis zum wirklich guten Kaffee ein etwas längerer ist, kommen zudem üblicherweise viele „Externe" zu den Barista-Kursen, die Jochen Hintze normalerweise regelmäßig gibt. „Das ist die ausführliche Version vom Aufstellen", sagt Daniela Münter.
Bis zu 50 Prozent derjenigen, die im Internet eine Maschine gekauft hätten, nähmen an den Workshops teil, beobachteten Hintze und Münter. Auch für die Mitarbeiter bei „JoCaffè" gilt: ohne Barista-Schulung kein Kaffeekochen. Derzeit pausieren die Kurse coronabedingt. Aber das Vor-Ort-Geschäft mit dem To-go-Kaffee oder den Bohnen laufe gut. Auch online können sämtliche Bohnen, vom „Inferno" über „Decaf Quiet Nights" bis zur „Schmargendorfer Mischung" bestellt werden. Es gibt auch ein Abomodell für den stets frischgerösteten Nachschub.
Hintze berät auch vor Ort
Wie viel Leidenschaft für guten Kaffee in Jochen Hintze steckt, ist im Gespräch in seinem Kaffeehaus zu erleben. Der Chef schaut aber auch immer wieder in den Cafés vorbei, die er mit seinen Bohnen beliefert. Er bleibt so lange, bis der große oder kleine Braune in korrekter Qualität in der Tasse landen. Manchmal ist auch etwas Nachhilfe nötig, etwa wenn neue Mitarbeiter noch nicht so ganz trittsicher sind.
„JoCaffè" wird im „PapalaCup" auf der Schöneberger Insel, im „Engelbecken" am Lietzensee oder in der „Kaffee.Bar" in der Stargarder Straße ausgeschenkt. Bei „The Coffee Man" auf dem Leopoldplatz oder bei „Café Salis" gibt es ihn sogar draußen an der italienischen Ape. Gut für mich: Ich habe mit dem „Citronella" in der Kreuzberger Falckensteinstraße meine Koffeintankstelle quasi vor der Haustür. Der Ruf des guten Kaffees verpflichte, sagt Jochen Hintze: „Wenn unsere Kunden woanders ihren Kaffee trinken, sollen sie ihn in der gleichen Qualität bekommen wie bei uns. Sie kennen unseren Kaffee oft schon lange und schmecken ihn heraus."