Die 34-jährige Barbara Till arbeitet bei „The Funeralists" als Bestatterin, Trauercoach und Expertin für digitale Begräbnisfeiern in Berlin. Ihre Mission: in der Corona-Zeit den letzten Weg mit Intuition, Empathie und viel Liebe gestalten.
Frau Till, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Bestatterin zu werden?
Ursprünglich wollte ich immer Gastwirtin werden, weil ich mich sehr gern um Menschen kümmere. Ich hatte die Idee, ein kleines Café aufzumachen und Menschen zu bewirten, einfach zu schauen, dass es allen gut geht. Der Beruf der Bestatterin kam tatsächlich während einer Autofahrt durch Berlin, wo ich gesehen habe, wie ein Bestatter in sein Institut gegangen ist. Plötzlich kam mir der Gedanke: Das ist dein Beruf. Das hat mich selbst überrumpelt, und ab dem Tag war ich dann wirklich mit Recherche beschäftigt und habe alles gelesen, was damit zu tun hat.
Ich habe ein Praktikum gemacht, und das hat mich bestätigt, dass ich mich da zu Hause fühle. Das ist meine Berufung, weil ich Menschen begleite, die ich unterstützen kann und denen ich durch die schwere Zeit helfen kann.
Die Corona-Pandemie hat sich ja sicher sehr auf die Beerdigungskultur ausgewirkt.
Definitiv. Vieles ist jetzt eingeschränkt, es gibt Reisebeschränkungen, die Personenanzahl ist begrenzt. Bestattungsrecht ist immer Länderrecht, es hängt viel davon ab, ob man in Berlin oder in Bayern ist. Was ist noch möglich? Kann man noch mal aufbahren? Die Bestimmungen verändern sich ständig, es gibt Lockdowns, dann wieder Lockerungen. Die Friedhöfe haben noch mal eigene Bestimmungen, da gilt das Friedhofsrecht. Man muss wochenweise neu schauen, wie die Situation ist, und was möglich ist. Viele Menschen haben Angst. Es gibt Hygienevorschriften, man darf nicht singen. Es dürfen nur 20 Personen in der Kapelle sein, es kommen aber vielleicht 50. Wie kann ich das lösen? Was muss ich machen, damit alle geschützt sind, aber trotzdem der wichtige Moment des Abschiednehmens gegeben sein kann?
Beerdigt man in der Corona-Krise auch digital?
Vieles findet digital statt. Man hat das Werkzeug des Livestreams. Es gibt Trauerfeiern, die nur online stattfinden. Es gibt die verschiedenste Arten der Ritualentwicklung. Im Laufe des Tages können zum Beispiel die Menschen, die durch Corona nicht an der Feier teilnehmen konnten, dann separat zum Grab kommen. Bringen vielleicht was hin, was eine Verbindung zu dem Menschen hatte. Es wird halt vieles noch mal kreativer. Man muss andere Möglichkeiten finden, um mit den Einschränkungen umzugehen.
Also könnte man eine Livestream-Beerdigung machen?
Das wäre natürlich möglich. Es gibt ja auch virtuelle Trauerräume. Man kann das auch alles sehr virtuell gestalten. Es gibt in der Familie Funkkonferenzen, wo man sich austauscht, Lieder, die man gemeinsam hört, Kerzen hält oder auch Schnaps trinkt. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Die Technik, die wir heute zur Verfügung haben, kann man natürlich einsetzen.
Ich habe eine Situation mit begleitet, wo eine Dame gestorben war, und es nicht möglich war, dass die Familie kommen konnte wegen der Corona-Einschränkungen. So haben wir die Menschen mit dem Handy zugeschaltet. Um einfach bei den Geschwistern zu sein, um bei der Abholung der Mutter quasi dabei zu sein und trotzdem Teil der Beerdigung zu sein. Im Grunde versucht man mit der Technik, die Abwesenheit zu ersetzen und auszugleichen. Wir hatten schon Beisetzungen, bei denen der Abstand gewahrt werden musste, und die Trauernden im Kreis mit Abstand und Mundschutz standen. Wo man eine Art Meditation anleitet, was sich im Kopf abspielt, weil man sich nicht berühren darf. Wo es dann mehr um Erinnerungen geht, um Dinge zu schaffen, die man jetzt gerade nicht teilen kann.
Sie halten auch Grabreden. Wie muss man sich das in Zeiten von Corona vorstellen?
In der Begleitung einer Bestattung ist es sehr oft so, dass ich gebeten werde, ein paar Worte zu sprechen. Ich werde dann meist Geschichten erzählen, da ich die Menschen im Vorfeld so gut kennenlerne, als hätte ich sie irgendwie gekannt. Da ist es jetzt zum Beispiel so gewesen: Da gab es ein Lied, das für den Verstorbenen sehr wichtig war, und der Wunsch von der Familie war, dass alle Anwesenden das Lied zusammen singen und das war natürlich untersagt. Wir haben das Lied dann vorher gesungen und über einen Lautsprecher abgespielt. Wenn ich jetzt selbst spreche, ist es in der Regel so: Ich spreche mit einem gewissen Abstand, die Türen müssen immer alle offen sein. Wenn der Pfarrer spricht oder ich spreche, muss es schon so sein, dass wir den Mundschutz abnehmen können. Ich verwende jetzt auch sehr oft immer Lautsprecher und Mikrofon, weil durch die Abstände viele Feiern auch draußen sind. Da wird jetzt Technik eingesetzt, damit alle gut etwas verstehen können. Wir hatten jetzt auch eine Feier, da war ein Teil der Menschen in der Kapelle und ein Teil war draußen. Wir haben es trotzdem so gemacht, dass alle eine Gemeinschaft sind. Das geht dann auch gut mit Mikrofon und Lautsprecher.
Hat sich denn aus Ihrer Sicht die Trauerkultur überhaupt in den letzten Jahren verändert?
Ich kann da hauptsächlich für Berlin sprechen, wo es seit mehr als 20 Jahren sogenannte alternative Bestatter gibt. Man nennt das alternativ, was ein bisschen ein missverständlicher Begriff ist. Sie sind einfach eine Alternative zu den konventionellen Bestattern. Im Grunde geht es darum, dass die Begleitung von Menschen mehr im Vordergrund steht und nicht der Sargverkauf. Diese Form der Bestattung gibt es in Berlin sehr wohl schon, da gibt es einige, die das schon länger als Vorreiter machen. Es kommen auch immer mehr Jüngere nach, die ihr Handwerk und Herzwerk gelernt haben.
Es sind ja immer sehr persönliche Trauerfeiern, eher eine Art Lebendfeier. Es gibt eben eine selbstbestimmte Form der Bestattung. Es spricht sich herum, dass es auch eine andere Form der Bestattung und der Begleitung gibt. Meine Aufgabe als Bestatterin ist es nicht, Dinge aus der Hand zu geben, sondern Dinge wieder zurück in die Hände von Menschen zu geben, die gerade einen Verlust erlitten haben und sich verabschieden müssen.
Hat sich die Sicht auf den Tod durch Corona verändert?
Mir fällt schon auf, dass das Thema nicht mehr das Tabu ist, was man immer dachte. Es wird immer mehr das Bedürfnis in den Vordergrund gerückt, darüber zu sprechen.
Ich denke, dass das mit ganz vielen Faktoren zusammenhängt. Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft. Wir haben verschiedenste Kulturen und Religionen. Da gibt es halt nicht nur einen Weg. Da eine Offenheit zu haben ist wichtig, damit alle ihren Umgang aus ihrer Kultur mit dem Tod auch ausleben können. Wir beerdigen übrigens alle Konfessionen, wir sind da vollkommen frei. Mein Beruf der Bestatterin ist ja ein begleitender, ich nehme mir den Raum und die Zeit und berate die Menschen darüber, was zurzeit alles möglich ist. Es in dem Rahmen zu gestalten, was für den Menschen nach seiner Konfession und seinen Bedürfnissen wichtig ist.
Hat sich die „Auftragslage" durch Corona für Sie verändert?
Wir hatten Phasen je nach Lage der Pandemie, wo wir es gespürt haben. November, Dezember letzten Jahres hat man das schon deutlich gespürt. Wir arbeiten ja mit den verschiedensten Gewerken und Stellen zusammen. Seien es jetzt Fuhrunternehmen oder die Krematorien. Da hat man in Gesprächen und in den Abläufen schon sehr wahrgenommen, dass die Sterbezahlen deutlich höher waren. Es ist auch eine Kettenreaktion, warum mehr Kremierungen stattfinden, warum die Fuhrunternehmen mehr Überführungen haben. Es sind ja auch Prozesse im Hintergrund, dass sich Menschen für eine Feuerbestattung entscheiden, weil die Feier im Moment nicht möglich ist. Bei einer Urne hat man noch ein paar Wochen mehr und kann hoffen, dass noch mal mehr möglich ist an Abschiednahme. Es gibt ja auch die Billigbestatter, die Verstorbene nach Tschechien gebracht haben. Durch Corona können in Tschechien nur noch die eigenen Landsleute kremiert werden. Das ist auch ein Faktor, warum bei uns wieder mehr Kremierungen sind. Durch die Pandemie haben sich Dinge zugespitzt. Die Sterbefallzahlen sprechen eine deutliche Sprache. Wir konnten aber frei arbeiten. Wir lehnen dann auch mal einen Fall ab oder geben an Kollegen weiter, wenn wir merken, wir können einen Fall nicht gut begleiten. Wir sind ja nicht auf Quantität ausgelegt.