Der Graffiti-Künstler Tarik Yilmaz hat im Saarland schon mit einigen seiner Werke von sich reden gemacht. Im Salzbrunnenhaus in Sulzbach hat der gelernte Malermeister gerade eine optische „Wiederbelebung" fertiggestellt.
Das Glück ist mit dem Tüchtigen", so lautet die Devise von Tarik Yilmaz, der sich schon als Sechsjähriger für Graffiti-Kunst begeisterte. „Mit Freunden unterwegs sah ich bei der Eisenbahn bemalte Waggons. Das wollte ich auch können!" Mit inzwischen 29 Jahren ist er kein Sprüher, sondern als handwerklich ausgebildeter Malermeister Graffiti-Künstler.
Junge Leute lassen sich mit solcher Kunst erreichen. Das war auch die Meinung der Homburger Pro Seniore Residenz. Mit einem Graffiti von Tarik Yilmaz als Plakatwand an einer Omnibus-Haltestelle gestaltet, suchte der Altenheim-Betreiber Auszubildende.
Graffiti verkörpert aber weit mehr als nur die sogenannten Tags, oft genug illegal angebrachte Schriftzeichen der Sprayer auf öffentlichen und privaten Wänden. Yilmaz produziert fotorealistische Gemälde auf Wänden: Im Neunkircher Zoo hat er auf 600 Quadratmetern ein Landschaftsszenario aufgetragen, das den Pavianen eine Illusion von Afrika vermittelt. „Über drei Jahre war ich damit beschäftigt", blickt der Künstler zurück. „So einfach kommt man nicht an Aufträge."
Landschaft für Paviane
Erst einmal muss für jede Arbeit das Umfeld begutachtet werden. Dann bespricht Yilmaz mit dem Kunden sein Wunschmotiv, um zu überlegen, wie das auf die Fläche zu bringen ist. Über ein Computerprogramm kommt es zu einer Visualisierung, um dem Kunden eine Vorstellung der fertigen Arbeit zu ermöglichen. „Das alles ist sehr betreuungsintensiv", bemerkt Yilmaz, „und braucht mindestens drei bis fünf Gesprächsrunden."
Im Salzbrunnenhaus in Sulzbach hat Yilmaz gerade eine beeindruckende Arbeit beendet. Der denkmalgeschützte Salzbrunnen im Keller eines barocken Hauses ist über den Zeitablauf nicht mehr vorzeigbar: Die den Rand stützenden Holzbalken sind verfault, der neuerlich abgesackte Boden musste mit Beton verfestigt werden. Um dennoch die Geschichte lebendig zu halten, hat Bürgermeister Michael Adam den in Dudweiler wohnenden Graffiti-Artist beauftragt, den Salzbrunnen nach den Möglichkeiten des Denkmalschutzes sichtbar zu machen. Wichtig war, keine „Disney-land-Imitation" zu malen, sondern Betrachtern ein dem Original nahe kommendes Bilderlebnis zu bieten. „Viel Arbeit, da jeder Balken wie in der Natur anders aussehen muss wie sein Nachbar." Eine Herausforderung für Yilmaz war die perspektivische Darstellung des einst 20 Meter tiefen Brunnens, für die er immer wieder auf die umlaufende Empore steigen musste, um die Perspektive zu kontrollieren.
Als sich der junge Tarik Yilmaz 1998 mit Farbdosen ausstattete und erste Sprühversuche startete, musste er feststellen, dass das „so nicht funktioniert". Er musste sich informieren: Was gibt es an Schriften? Yilmaz schaute sich VHS-Kassetten an und versuchte die Coverschriften von Kinderfilmen wie „Pocahontas" und „Herkules" nachzusprayen. So entdeckte er, dass sich diese Malerei Graffiti nennt. Weil das in den Kinderschuhen steckende Internet als Wissensquelle noch nicht in den privaten Haushalten angekommen war, zog es das Kind in die nächstgelegene Bücherei: „Tante, wo gibt es Bücher zu Graffiti?". „Das fällt unter Kunst", bekam der junge Tarik Yilmaz zu hören. Damit waren kunstvoll gestaltete Bildbände entsprechend teuer. Kunstbücher in guter Fotoqualität kosteten mindestens 50 D-Mark. Da ihn die ständigen Bücherei-Besuche nicht befriedigten, wollte er eigene Bücher als Nachschlagewerke und Vorlagen kaufen. Von seiner Mutter gab es jedoch nur zehn Mark Taschengeld.
Der Burbacher Junge bot sich der Nachbarschaft als Helfer an. Tarik Yilmaz war als Hunde-Sitter unterwegs, mähte Rasen und erledigte Botengänge, um sein Taschengeld zu vervielfachen. Schließlich konnte er nicht nur ein Buch, sondern viele Bücher kaufen. Dazu kamen Edding-Spray-Farben, von denen jede Farbdose um die fünf Euro kostete.
Kunst auch für den Lkw-Anhänger
Da die Sprayer-Schriftzüge (Tags) im illegalen Bereich immer wieder schnell verschwanden, übersprüht oder gereinigt wurden, sah sich Yilmaz nach legalen Sprayer-Möglichkeiten um. An seinen Tags sollten sich sowohl er wie auch andere längerfristig erfreuen. Dazu brauchte er aber Fachwissen, um Farben dauerhaft zu platzieren. Ein Schüler-Praktikum ließ ihn beim Burbacher Maler Behr erstmals handwerklich arbeiten. Das gefiel ihm so gut, dass er schließlich Maler wurde.
Über Arbeitsmangel als Graffiti-Künstler kann sich der Dudweiler Malermeister nicht beklagen. Neben Unternehmen wie Karlsberg buchen ihn auch Privatpersonen: Kinderzimmer, Garagentore und Terrassenwände sind beliebte Freiflächen. Dort sind allerdings keine Schriften, sondern fotorealistische Motive gefragt: Autos und Landschaften.
Sein bislang größtes Graffiti mit einer Höhe von 43 Metern hat Yilmaz im vergangenen Jahr mithilfe eines Gerüstbauers auf der Folsterhöhe in Saarbrücken realisiert: Sinnvollerweise zeigt das Motiv einen Bergsteiger. Sogar bewegliche „Leinwände" tragen Yilmaz’ Kunst: In Trier hat er für eine Fahrschule einen Lkw-Anhänger besprüht. Und auch Fachleute nutzen seine Expertise: Für einen Fahrzeuglackierer durfte er dessen Werkstatt künstlerisch aufwerten. Während seiner Lehre als Maler hatte der junge Mann schnell gemerkt, dass „wer weiter kommen will, führen muss. Das von Arbeitsanweisungen geprägte Angestellten-Dasein bringt mich nicht weiter", konstatierte Yilmaz. Selbstständigkeit war sein neues Ziel: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt." Im Handwerk steht jedoch vor der Selbstständigkeit der Meister-Abschluss. Zuversichtlich, auch diese Prüfung zu bestehen, war der Saarbrücker davon überzeugt, dass „was andere können, kann ich schon lange".
Um seinen Meisterbrief möglichst schnell zu erhalten, schrieb er sich für die Vollzeitausbildung bei der Handwerkskammer des Saarlandes ein. „Das war eine ‚harte’ Zeit", stellt Yilmaz im Rückblick fest, „aber es hat sich gelohnt." Im September 2015 startete die Meister-Ausbildung. Im Mai 2016 absolvierte er die Meister-Abschlussprüfung und im April 2017 gab’s die offizielle Überreichung der Meister-Urkunde im Rahmen einer Feierstunde der Saarländischen Meister- und Techniker-Schule in der Saarbrücker Kongresshalle.
Mit dem Meisterbrief hätte Yilmaz auch eine leitende Funktion in einem größeren Unternehmen annehmen können. Aber er wollte sich nicht in einer „Komfortzone" ausruhen. Den jungen Mann drängte es nach Anerkennung. Die Sicherheit eines Angestellten-Daseins war ihm zu wenig. Zum 1. Februar 2017 meldete der Malermeister Tarik Yilmaz sein Gewerbe „Ara-Painting-Production" an. Schon im Namen seines Unternehmens sollte klar werden, dass er als Malermeister mehr anzubieten hat als Maler- und Lackierer-Arbeiten.
Graffiti-Kurse geplant
Erste Aufträge zeigten, dass die Selbstständigkeit die richtige Entscheidung war. Süffisant konnte Yilmaz feststellen, dass frühere Mitschüler mit Abitur jetzt seine Kunden wurden. Als Handwerksmeister könnte er jetzt genauso wie sie studieren! Aber er hatte andere Ziele, wollte seine Graffiti-Kunst realisieren. Und das gelang: Ein Auftrag bei Farben Antony in Trier zeigte sein besonderes Können, das ihn mit einem Alleinstellungsmerkmal von anderen Malerbetrieben absetzt. Mit Stolz verweist er auf seine Graffiti-Arbeiten für das Saarpark-Center in Neunkirchen, für die Europa Galerie in Saarbrücken oder eine Darstellung des Weltalls an der Mauer des Sulzbacher Fernrohr-Herstellers APM Telescopes. Sogar „Tante Maja" am St. Johanner Markt in Saarbrücken hat er mit einer Tag- und Nacht-Kombination künstlerisch aufgewertet.
Seit 2020 lässt sich der Graffiti-Artist von zwei Gehilfen helfen, da bei der Untergrundvorbereitung und großflächigem Farbauftrag auch immer wieder ganz normale Malerarbeiten anzuwenden sind. Beim Schützenverein in Dudweiler hat Yilmaz ein Grundstück mit Großflächenwand bekommen. Hier will er in Zukunft Graffiti-Kurse veranstalten. Dabei beschränkt sich seine Zielgruppe nicht nur auf Jugendliche, mit denen er bislang schon „in freier Wildbahn" zusammengearbeitet hat: Für die Stadt Sulzbach wurde in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein eine Wand am Quierschieder Weg bemalt. Mit dem Förderverein Goldene Au konnten Kinder unter seiner Anleitung eine Eisenbahnbrücke verzieren. Als Fachmann mit Handwerkswissen will er aber auch kreative Köpfe wie Airbrush-Gestalter weiterbilden. Dem Maler-Handwerk bleibt er dennoch verbunden und bietet weiterhin sämtliche Malerarbeiten an: „Das habe ich schließlich gelernt."