In Zeiten von Corona geben Kurztrips in die Nähe ein Gefühl von größerer Sicherheit. Das Schweizer Kleinod nahe der deutschen Grenze ist eine perfekte Alternative zu exotischen Fernzielen.
Allein genug, um Sehenswürdigkeiten zu Fuß zu erreichen, fein genug, um in den malerischen Altstadtgassen Basler Spezialitäten zu probieren, alt genug, um sich mit Kirchenhistorie zu beschäftigen und nah genug, um sich fast wie zu Hause zu fühlen. Das ist Basel. Und ab sofort hat auch wieder die Außengastronomie in der Schweizer Stadt geöffnet.
Das Tram hält vor der Elisabethenkirche. Gelbe Sonnenschirme und Bistro-tische laden zum Verweilen ein. Kreideschrift auf schwarzer Tafel lockt in die Café-Bar „Elisabethen". Je nachdem, wie viele Straßenbahnen der Besucher verpassen möchte, gibt es einen herrlichen Espresso, spannende Magazine und unter Umständen sogar eine interessante Bekanntschaft zum Austausch und Gespräch. Die Elisabethenkirche, genannt OKE, steht für eine der offensten Kirchen Europas. Sie ist Gottes- und Menschenhaus in einem, ein Ort für Stille und Ruhe, aber auch für Feste und Lebensfreude. Mit ihrem Programm ergänzt sie die Angebote anderer kirchlicher Einrichtungen und belebt zeitgenössische und alte, aber auch vergessene Traditionen neu. Als Geschäftsbetrieb ist auch an ihr die Corona-Krise nicht spurlos vorübergezogen. An allen Ecken und Enden fehlt Geld, das sonst durch außergewöhnliche Veranstaltungen dem Haushaltsbuch schwarze Zahlen beschert. Pfarrer und Geschäftsführer Frank Lorenz dient der „Regenbogenkirche", wie er sie liebevoll nennt, seit acht Jahren. „Diese Kirche steht allen Menschen mit gutem Willen offen." Den Flüchtlingen, egal, welchem Glauben und welcher Tradition sie angehören, der LGBTQ-Gemeinschaft, die hier seit 28 Jahren Gottesdienste feiert, Tierbesitzern mit ihren vierbeinigen Freunden, Motorradfreaks und Fashion Victims, den Modebegeisterten und den Kunstschaffenden des nahe gelegenen Theaters. „Einfach allen, die sich als Teil der Gesellschaft sehen und nach dem großen Mehr und der großen Hoffnung fragen", erklärt der gebürtige Landshuter, der seit Jahrzehnten in der Schweiz lebt. „Ich glaube, dass in Zukunft die Relevanz von Kreuz und Auferstehung zunimmt." Als evangelischer Theologe sei er modern, richtungsweisend und zukunftsorientiert. Und sehr aufgeschlossen für Neues und Außergewöhnliches. Ganz klar, der Klingelbeutel muss gefüllt werden. Schon deshalb gehöre die Elisabethenkirche zu den wirtschaftlich unabhängigsten Gotteshäusern im deutschsprachigen Raum. Secondhand-Modenschauen und Catwalk-Präsentationen junger Immigranten mit ihren ganz eigenen Designansprüchen, politischen Diskussionen sowie Musik- und Discoveranstaltungen finden im neugotischen Kirchenschiff statt. Ganz im Sinn der Nachhaltigkeit und wenn Corona-Maßnahmen keinen Lockdown empfehlen. Dann hämmern stampfende Beats untermalt vom farbigen Licht der Discokugeln durch die im Jahr 1864 fertiggestellte Kirche. „Die Tanzfläche ist ein geschützter Raum. Sicherheitsleute passen auf. Anmache und schlechte Manieren werden sofort unterbunden. Man und besonders frau sollen sich hier wohlfühlen."
Im Leben der Stadt hat sich die Elisabethenkirche positioniert. „Unser durchschnittlicher jährlicher Finanzbedarf beträgt 1,25 Millionen Franken, also knapp 1,2 Millionen Euro. Allein die Beat-Abende bringen uns 40. bis 50.000 Franken", ergänzt der studierte Betriebswirt. Während der Corona-Einschränkungen durch die Basler und die Schweizer Regierung fehlten der selbstständigen Kirche 2020 umgerechnet rund 200.000 Euro aus Mieteinnahmen. „Aber die Spendenden und die Herkunftskirchen der OKE haben sie so weit gestützt, dass das Rechnungsjahr mit einer ‚roten‘ Null abschloss."
Erasmus von Rotterdams Grab
„Da Sein" und „Frau sein" sind weitere Angebote, die sich vor allem an geflüchtete Menschen richten. „Wir kochen gemeinsam, und für einen symbolischen Franken gibt es einen Korb mit Lebensmitteln. ‚Frau sein‘ wurde ins Leben gerufen, da Immigrantinnen gern unter sich und in Gesellschaft von Männern eher verhalten sind", erklärt Sabrina Balanquet Brönnimann. An den Dienstag-Treffen bleiben Männer außen vor. Die theologische Mitarbeiterin hilft bei Behördengängen und plant Veranstaltungen. Fachleute halten Vorträge zu Ernährung, Frauengesundheit, Verhütung, Sprachkurse und Schulbesuch. „Das kommt gut an. Die Zukunft unserer Gesellschaft sind Mütter, die Kinder gut erziehen", sagt Balanquet Brönnimann. So sind auch Empowerment, Visibility und Integration keine leeren Worte. Sie geben den Frauen Selbstwert und Mut. Die Schweizerin spricht von Besucherinnen, die erst sehr zaghaft waren und sich nach nur wenigen Monaten glücklich angekommen fühlten. Dank der Treffen, in denen sie ganz Frau und unter sich sein dürfen.
Kinder und Jugendliche toben an heißen Sommertagen in den 350 öffentlichen Brunnen der Stadt. Verbote gibt es nicht, und das erfrischende Nass hat Trinkwasserqualität. Flaschen können überall kostenlos aufgefüllt werden. Auch ganz in der Nähe des Basler Münsters planschen Schüler nach Unterrichtsende unter einer Wasserfontäne im Schatten der mächtigen Kathedrale, die ganz aus rotem Buntsandstein besteht. Die ursprünglich altkatholische Bischofskirche wurde zwischen 1019 und 1500 erbaut und ist heute evangelisch-reformiert. „Von außen überwiegt der gotische Eindruck, im Innern die Romanik", erklärt die Stadtführerin. „Dieser Stilmix ist auf das heftige Erdbeben zurückzuführen, das 1356 die Stadt in Schutt und Asche legte und der Grund war, weshalb Türme und Gewölbe des spätromanischen Münsters, des Vorgängerbaus, kollabierten." Im nördlichen Seitenschiff liegt das Grab von Erasmus von Rotterdam, der mehrmals in der heute drittgrößten Stadt der Schweiz gelebt hat und nach schwerer Krankheit 1536 dort starb. Der Gelehrte war Verfasser eines Buches, das vor rund 500 Jahren den Lauf der Geschichte veränderte, nachdem es von Buchdrucker und Verleger Johannes Froben gedruckt wurde. Das „Novum Instrumentum" war die von Erasmus zeitgemäß bearbeitete Ausgabe des Neuen Testaments, in dem er dem lateinischen Text auch eine griechische Übersetzung gegenüberstellte. Diese bereinigte Fassung des Neuen Testaments in der Ursprache Griechisch war wohl die originalste Version. Innerhalb von nur elf Wochen übersetzte Martin Luther die griechische Erstausgabe von Erasmus aus dem Jahr 1516. Luthers Plan war, die Kirche zu reformieren bis hin zur Kirchenspaltung, die der Niederländer jedoch verhindern wollte. Schließlich kam es zum Bruch der beiden Theologen, und im Gegensatz zu Luther blieb Erasmus dem katholischen Glauben auch weiterhin treu verbunden.
Die rund 180.000 Einwohner können auf weitere Superlative ihrer Stadt stolz sein: 1897 gab es hier den ersten zionistischen Weltkongress unter Theodor Herzl, der im „Hotel Trois Rois", auch heute noch die traditionsreichste Herberge der Stadt, logierte. „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet", schrieb der Wissenschaftler nach dem Symposium im Stadtcasino, heute das Basler Konzerthaus, in sein Tagebuch. Als weiterer wichtiger Höhepunkt der Stadt gilt das Konzil zu Basel von 1431 bis 1449. Es war das längste vorreformatorische Kirchenkonzil in der Geschichte überhaupt. Noch heute zählt die von Papst Martin V. einberufene Versammlung zu den bedeutendsten Synoden weltweit. Und last but not least ist die Basler Universität die älteste auf dem Gebiet der heutigen Schweiz und wurde als direkte Folge des Konzils 1460 eröffnet.
Im Jahr 1912 fand mit dem Internationalen Sozialistenkongress die bislang größte Demonstration für Frieden weltweit statt. Aus Sorge vor einem bevorstehenden Krieg der Großmächte trafen sich 555 Delegierte aus 23 Ländern im Basler Münster und verabschiedeten daraufhin ein Manifest gegen den Krieg.
Ihre Boomjahre erlebte die Stadt während der Konzilszeit im 15. Jahrhundert als „Rom des Nordens". Im 16. und 17. Jahrhundert wanderten protestantische Glaubensflüchtlinge vor allem aus Frankreich ein und brachten ihr Know-how für wichtige neue wirtschaftliche Impulse mit: Die Seidenbandweberei entstand. Aus deren Zulieferern rund um die Seidenfärberei entwickelte sich dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die chemische Industrie. Es war letztlich die von den Hugenotten eingeführte Seidenbandproduktion, die zu dauerhafter Prosperität der Stadt führte. Basel galt auch als bedeutsamer Faserpapierfabrikant. Im Museum Papiermühle im Stadtteil St. Albantal wird dieser Prozess hervorragend dargestellt. Basel gilt als Stadt der Museen mit der höchsten Museumsdichte des Landes. In der Tat sind es über 30, also eines pro Quadratkilometer.
Aus dem Wochenendbesuch können leicht ein paar Tage oder eine Woche werden. Nach reichlich Geschichte und musealer Vielseitigkeit rundet der Basler Wickelfisch den Besuch sportlich ab. Er lädt zum Bad im Rhein ein und gehört in Basel zum Volkssport. Aber gut schwimmen sollte man auf alle Fälle können.