Erst war die Weltgesundheitsorganisation unzufrieden mit Europas Impffortschritten. Inzwischen haben die Mitgliedsstaaten das Tempo deutlich erhöht, und die EU setzt sich ehrgeizige Ziele bis zum Herbst.
Deutschland ist weder Welt-spitze noch Totalversager in der Krise, meinte sinngemäß Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. In Sachen Impfen schien es tatsächlich so, als sei die Bundesrepublik mit völlig verbummeltem Spätstart ins Rennen gegangenen. Der europäische Vergleich zeigt einen ziemlich mittelprächtigen Beginn und das Bemühen, jetzt einem Zwischenspurt einzulegen.
Gestartet sind die Impfungen in Europa ziemlich zeitgleich, für zwei Drittel der Staaten war es der 27. Dezember, einige waren ein paar Tage früher, andere Tage später dran. Russland hatte mit seinem Sputnik ab dem 5. Dezember vorgelegt, Großbritannien setzte ab dem
8. Dezember Astrazeneca ein.
Bei zunächst knappen Lieferungen mussten alle Länder priorisieren und sind dabei unterschiedliche Wege gegangen. In der Entscheidung, wer zuerst drankommt und wer folglich warten muss, spiegeln sich grundsätzliche Haltungen wider.
Nach einer Analyse von Euronews entschieden 14 europäische Länder, darunter Deutschland, Frankreich und Spanien sowie die Nicht-EU-Mitglieder Schweiz und Großbritannien, dass zuallererst Senioren geimpft werden. 15 Länder entschieden, zuerst medizinisches Personal zu impfen. In vier Staaten waren zuerst Politiker dran. Diesen Ansatz verfolgten Tschechien, Bulgarien und Serbien sowie die Türkei. Eine offizielleBegründung lautete, Politiker sollten damit als Vorbilder für das Impfen werben.
Beim Impftempo haben sich die Fortschritte nach einem zunächst sehr unterschiedlichen Start europaweit in etwa angeglichen, was den Anteil der Bevölkerung betrifft, der bereits eine Erstimpfung erhalten hat. Mitte April lag der Anteil zwischen rund 19 und 22 Prozent, Deutschland mit 20,8 im Mittelfeld. Spitzenreiter war bekanntlich Großbritannien, innerhalb der EU hatte Ungarn einen Spitzenplatz.
Bis Herbst auf 70 Prozent
Der Blick auf den Anteil der Bevölkerung, der bereits eine Zweitimpfung erhalten hat, ergibt eine andere Reihenfolge. Daran zeigen sich auch die unterschiedlichen Impfstrategien und Unterschiede je nach Häufigkeit des Einsatzes bestimmter Wirkstoffe.
Demnach hatten bezogen auf Zweitimpfung und damit vollen Impfschutz Serbien (19 Prozent), Malta (18 Prozent) und Ungarn (18 Prozent) die Nase vorn. Erst dann folgte Großbritannien (14 Prozent), Deutschland lag zu dem Zeitpunkt auch hier im Mittelfeld (Stand: Mitte April). Die aktuellen Zahlen zum Redaktionsschluss zeigen für Deutschland allerdings, dass der Zwischenspurt an Tempo zugelegt hat, seit Arztpraxen einbezogen wurden.
Während sich das Land mit den größten Problemen zum Jahresbeginn, nämlich Portugal mit Sieben-Tage-Inzidenzen an die 900) inzwischen deutlich erholt hat, war zuletzt das große Sorgenkind Schweden mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 400. Frankreich, das bereits wieder seit dem 1. April im Lockdown ist, musste inzwischen den 100.000. Todesfall im Zusammenhang mit dem Virus beklagen. In Deutschland sind es jetzt über 80.000, europaweit über 660.000 Todesfälle.
Mit dem Fortschritt bei den
Impfungen zeigen erste Zahlen, dass damit der weitere Anstieg von Todesfällen und schwere Verläufe erkennbar zurückgegangen sind.
Impfstofflieferungen für die EU werden nach Angaben der Kommission im zweiten Quartal deutlich zulegen, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte dringend an die Mitgliedsstaaten, für eine zügige Verimpfung zu sorgen. Sollte es jetzt keine weiteren erheblichen Probleme bei Lieferungen oder weitere Rückschläge etwa im Zusammenhang mit Nebenwirkungen geben, könnten nach Einschätzung aus Brüssel bis Ende der Sommers etwa 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der EU geimpft sein. Das wären Größenordnungen, mit denen eine sogenannte „Herdenimmunität" greifbar wäre. Damit wird ein Zustand bezeichnet, in dem so viele Menschen immun sind, dass sich zwar ein Virus weiter von Mensch zu Mensch übertragen kann, es aber nicht mehr zu einer epidemischen oder pandemischen Entwicklung kommt.