Präsident Biden hat in seinen ersten 100 Amtstagen ein enormes Tempo vorgelegt
Noch vor einem halben Jahr wurde Joe Biden als „schläfriger Joe" verspottet. Es war die Zeit der Twitter-Gewitter von US-Präsident Donald Trump. Hass, Häme, rhetorische Vernichtungsfeldzüge hatten damals in den Vereinigten Staaten Hochkonjunktur. Sein Kontrahent Biden sei ein körperlich und mental langsamer Opa-Kandidat, der das Land in den Einschlaf-Modus versetze, giftete Trump.
Diese Einschätzung erwies sich als Bumerang. Der vermeintliche Polit-Wirbelwind wurde aufs Altenteil im Luxus-Resort Mar-a-Lago in Florida verbannt. Biden verordnete sich einen unaufgeregten präsidialen Duktus. Die Tonlage ist eher leise, der politische Stil unspektakulär. Doch das Tempo, das der 78-Jährige innen- und außenpolitisch in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit vorgelegt hat, ist enorm.
Der Kampf gegen die Corona-Krise war die erste Priorität des neuen Präsidenten. Während Trump die Pandemie kleingeredet hatte, schaltete der Demokrat sofort den Impf-Turbo ein. Ende April hatten deutlich mehr als 140 Millionen Amerikaner die erste Dosis bekommen, fast 50 Prozent der US-Bürger.
Doch die medizinische Bewältigung der Pandemie ist das eine. Die Reparatur der angeschlagenen Wirtschaft und die Einebnung der sozialen Verwerfungen sind das andere. Der Präsident machte früh Dampf für ein Corona-Hilfspaket in Höhe von 1,9 Billionen Dollar. Alle, die weniger als 75.000 Dollar im Jahr verdienen, bekommen einen Einmal-Scheck in Höhe von bis zu 1.400 Dollar. Zudem erhalten Bundesstaaten, Kommunen, Schulen und Kindergärten Finanzspritzen. Die Arbeitslosenhilfe wird aufgestockt und verlängert.
Die Republikaner stimmten zwar im Senat geschlossen dagegen. Doch 70 Prozent der Amerikaner befürworteten den Plan. Bidens sozialdemokratisch inspirierte Anti-Krisen-Politik kam an. Eine wesentlich härtere Nuss dürfte das nächste Mega-Projekt Bidens werden: ein Infrastruktur-Programm über 2,3 Billionen Dollar. Damit sollen marode Brücken, Straßen, Flughäfen finanziert und der Klimaschutz gefördert werden. Schnelles Internet steht ebenfalls auf der Reformliste. Zudem geht es um Bildung und Kinderversorgung.
Der Haken an der Sache: Vor allem Wohlhabende und Firmen sollen die Zeche zahlen – in den USA ein schwer zu knackendes Tabu. So will Biden die Kapitalertragsteuer für Bürger mit einem Jahreseinkommen von mehr als einer Million Dollar auf 39,6 Prozent fast verdoppeln. Bei den Unternehmenssteuern ist ein Sprung von 21 auf 28 Prozent vorgesehen.
Die Republikaner, in Amerika traditionell die Partei des Geldes, haben ihren geballten Widerstand angekündigt. Doch Biden denkt in historischen Kategorien. Das A und O seiner Politik ist die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wie Präsident Franklin D. Roosevelt in den Jahren nach dem Börsencrash 1929 ein gewaltiges Infrastruktur- und Sozialprogramm („New Deal") aufgelegt hatte, will er den Staat wieder als große Steuerungsinstanz installieren. Der Präsident weiß, dass Trump 2016 vor allem in den Bundesstaaten des Mittleren Westens gewonnen hatte, wo viele Jobs in Billiglohnländer abwanderten.
Auch in der Außenpolitik ist die klare Handschrift Bidens erkennbar. Er führte sein Land in den Pariser Klimavertrag und in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Gegenüber geopolitischen Konkurrenten wie China oder Russland fährt er eine Doppel-Strategie: Zum einen nimmt er bei Menschenrechtsverstößen kein Blatt vor den Mund. Zum anderen betont er die Notwendigkeit der Kooperation – etwa bei den Themen Corona, Klimawandel oder Atomstreit mit dem Iran.
Auch mit Blick auf Deutschland kennt Biden keineswegs nur Schmusekurs. Er unterstreicht zwar die große Bedeutung des Nato-Bündnisses. Gleichzeitig übt er scharfe Kritik am deutsch-russischen Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Auch aus dem Interesse heraus, amerikanisches Flüssiggas in Europa zu verkaufen.
Die Bereitstellung neuer Jobs in den USA ist das überragende Motiv für Bidens Innen- und Außenpolitik. Er weiß, dass er bis zu den nächsten Zwischenwahlen im Kongress 2022 liefern muss. Sollten die Republikaner im Senat und/oder im Repräsentantenhaus die Mehrheit holen, wäre Biden in seiner Agenda blockiert. 2024 könnte dann wieder ein trumpistischer Kandidat im Weißen Haus sitzen. Der Präsident hat nur ein relativ kleines Fenster der Gelegenheit.