Der FC Bayern München und Trainer Hansi Flick gewannen ein Jahr lang alles, was es zu gewinnen gab – und trennen sich nun im Streit. Dieser hinterlässt keine Sieger.
Es schien alles so gut zu passen. Der FC Bayern München und Trainer Hansi Flick schienen sich gesucht und auf Umwegen gefunden zu haben. „Die letzten 18 Monate waren die erfolgreichsten in der Geschichte dieses Vereins", sagt Nationalspieler Joshua Kimmich. Und das schafften die Münchner, die einen Teil ihrer großen Wucht immer auch aus konstruktiver Reibung zogen, zunächst mit einer nach außen hin unglaublichen Harmonie. Sechs Titel holten sie in der vergangenen Saison, in der der vorherige Co-Trainer Flick zunächst Interims- dann dauerhafter Cheftrainer wurde. Von sechs möglichen Titeln wohlgemerkt. Sie wurden zusammen Deutscher Meister, aber das wird der FC Bayern in diesen Zeiten ja fast immer. Sie holten auch den DFB-Pokal, was nicht immer klappt. Sie gewannen die Champions League, was den Bayern davor 2013 und 2001 gelungen war. Sie holten den deutschen Supercup, den europäischen Supercup und die Fifa-Klub-WM. Mehr geht nicht. Der FC Barcelona hatte das mal geschafft mit dem späteren Bayern-Trainer Pep Guardiola, ansonsten ist so ein Erfolg auch europaweit ziemlich einmalig.
In dieser Saison wird nur die Meisterschaft hinzukommen, dennoch stehen der FC Bayern und Flick bei sieben Titeln in 18 Monaten. Eine unglaubliche Ausbeute. Und eine auf den ersten Blick traumhafte Verbindung, an der angesichts eines Vertrages bis 2023 keine Zweifel bestehen dürften. Doch das Gegenteil ist der Fall. Hansi Flick und der FC Bayern werden sich nach dieser Saison trennen. Und das alles andere als im besten Einvernehmen. Wie konnte es nur so weit kommen?
Der Kern des Ganzen liegt in der Beziehung zwischen Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic begründet. Wobei es dabei nicht alleine um das persönliche Band zwischen beiden geht, sondern an diesen Stellen auch viele grundsätzliche Dinge kulminieren.
Salihamidzic gilt als absoluter Liebling und Zögling von Uli Hoeneß, der inzwischen „nur noch" Ehrenpräsident ist. Er hat „Brazzo", den ehemals herrlich frechen Außenspieler, zunächst als Sportdirektor durchgesetzt, ihn gegen schon am Anfang teils heftige Kritik verteidigt und schließlich zum Sportvorstand befördert. Salihamidzic ist einer, der immer an beiden Enden brennt, der am Spielfeldrand leidet, jubelt und flucht und bei Toren und Siegen jeden umarmt, den er zu greifen kriegt.
Schleichende Entfremdung
Bei Hansi Flick griff er dabei zuletzt einige Male ins Leere. Flick ist im Kern ein Harmonie-Mensch, aber auch einer, der sehr genaue Vorstellungen hat, wie er arbeiten will. In Hoffenheim und als Sportdirektor beim DFB warf er ziemlich schnell und überraschend hin, als ihm Dinge nicht passten. Der ganze Zwist zwischen den beiden begann im Winter-Trainingslager der Bayern im Jahr 2020. Flick forderte öffentlich Verstärkungen für den in der Spitze großartigen, in der Breite aber nicht allzu prall besetzen Kader. Mindestens zwei neue Spieler wollte er haben. Salihamidzic war in der Defensive und reagierte mit einer öffentlichen Rüge. „Ich war überrascht über das mediale Betreiben der Kaderplanung", sagte er, „davon bin ich kein Freund." In der Tat war das Vorgehen Flicks, über die Öffentlichkeit Druck auszuüben, nicht ideal.
Inwiefern danach Neid zwischen beiden entstand, als Flick nach den vielen Erfolgen öffentlich gefeiert wurde und Salihamidzic nur selten Würdigungen als Baumeister des Erfolges bekam, kann nur vermutet werden. Sicher angenommen werden kann, dass sich Salihamidzic durch den Erfolg in seiner Transferpolitik bestätigt sah und Flick die Überzeugung hatte, es eher trotzdem und nicht deswegen mit der ihm eng bis innigst verbundenen Mannschaft geschafft zu haben.
Mit der Transferpolitik im Sommer spitzte sich der Konflikt dann zu. Der Trainer war sicher der Meinung, die Chance zu nutzen, ausgerechnet in für alle Vereine weltweit unsicheren Zeiten in der Champions League viel Geld und viel Anerkennung erspielt zu haben. Er hoffte auf Verstärkungen in die Mannschaft, um eine Ära prägen zu können. Der Verein – und für den stand dann nun mal Salihamidzic als Sportvorstand personifiziert – sah das augenscheinlich anders. Er ging auf dem Transfermarkt defensiv vor und freute sich darüber, über den sportlichen Erfolg die vorhandenen Verluste durch Geisterspiele und Co bestmöglich aufgefangen zu haben. Nach der frühen Verpflichtung von Nationalspieler Leroy Sané für 45 Millionen Euro von Manchester City und dem ablösefreien Schalker Alexander Nübel als Ersatztorhüter passierte lange nichts. Obwohl mit Thiago, Philippe Coutinho und Ivan Perisic mindestens drei wichtige Kaderspieler den Verein verlassen hatten. Am letzten Tag der Transferperiode schlugen die Bayern dann richtig zu, gaben am Ende sogar 40 Millionen mehr aus, als sie einnahmen und verpflichteten eine Handvoll Spieler wie Marc Roca, Bouna Sarr, Douglas Costa oder Eric Maxim Choupo-Moting, die bestenfalls Ergänzungsspieler wurden. Dafür kostete aber Sarr, immerhin schon 28, rund acht Millionen und erhielt einen Vertrag bis 2024. Roca kostete gar neun Millionen und wurde mit einem Kontrakt bis 2025 ausgestattet.
Sportlich kamen die Bayern nun erst leicht ins Wanken. In der Liga kassierten sie unglaublich viele Gegentore und mussten immer wieder Rückstände aufholen. Im Pokal scheiterten sie schon in der zweiten Runde am Zweitligisten Holstein Kiel. In der Champions League kam das Aus im Viertelfinale gegen das im Vorjahr im Finale besiegte Paris Saint-Germain. Unglücklich zwar einerseits, aber auch deshalb, weil die zu dem Zeitpunkt auch von Verletzungen geplagten Münchner nicht die nötige Tiefe im Kader hatten.
Flick fühlte sich in einer starken Position durch die vielen Titel und forderte immer wieder – intern und mindestens leicht verschlüsselt auch öffentlich – Mitspracherecht bei den Transfers. Das hatte ein Trainer beim FC Bayern aber auch in der Vergangenheit noch nie so wirklich. Doch es ging Flick wohl nicht nur um den Grundsatz, augenscheinlich hatte er auch begrenztes Vertrauen in die Arbeit von Salihamidzic.
Fronten längst verhärtet
Im Winter soll Flick dann sogar ein harsches Wort gegenüber seinem Vorgesetzten rausgerutscht sein, für das er sich öffentlich entschuldigte. Zu seiner tendenziellen Unzufriedenheit in München kam aber plötzlich noch eine Option daher. Bundestrainer Joachim Löw verkündete seinen Rücktritt für nach der EM. Und Flick, von 2006 bis zum WM-Titel 2014 Löws Assistent, galt schnell und spätestens nach der Absage von Jürgen Klopp als Wunschkandidat. Der Trainer wurde nun immer forscher. Pokerte augenscheinlich nach der Devise: Entweder kriege ich nun hier mein Mitspracherecht oder ich gehe eben zum DFB.
Doch unter Druck setzen lässt sich der FC Bayern seit jeher nicht. Mit dem Wunsch auf mehr Mitsprache lief Flick ins Leere, stattdessen stellte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge schnell und unmissverständlich klar, dass man über eine Freigabe im Sommer gar nicht zu reden brauche.
Die Situation spitzte sich zu. Und Mitte April, nach dem für die Meisterschaft entscheidenden 3:2 in Wolfsburg, schuf Flick Fakten. „Ich habe dem Verein gesagt, dass ich am Ende der Saison den Vertrag auflösen möchte", sagte er. Darüber habe er den Verein informiert. Das stimmte zwar, doch die Absprache über das öffentliche Vorgehen war eigentlich eine andere. Also formulierte der FC Bayern am nächsten Tag eine Pressemitteilung, deren Schärfe doch überraschte. „Der Vorstand missbilligt die einseitige Kommunikation des Trainers", hieß es darin.
Die Fronten in dieser einstigen Traum-Beziehung sind also verhärtet. Wie geht es nun weiter? Flick wird am Ende wohl Bundestrainer, da sind sich die meisten einig. Doch die Münchner wollen ihn sicher nicht kostenlos aus dem Vertrag lassen, um danach viele Millionen für einen würdigen Nachfolger ausgeben zu müssen. Und der DFB will keine Ablöse zahlen. Da ist also noch viel Vermittlungsarbeit nötig, auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Münchner sich nicht als Spielverderber aufspielen werden. Zumal ihnen auch daran gelegen ist, beim DFB-Team einen Vertrauten als Trainer zu wissen. Doch ist Flick das noch?
So oder gibt es in der Angelegenheit keinen Gewinner. Bayern verliert seinen erfolgreichen Trainer, die Mannschaft ihren Lieblings-Coach. Rummenigge hat sich mit seinem Machtwort nicht durchgesetzt, sein baldiger Nachfolger Oliver Kahn hatte sich gar nicht erst öffentlich positioniert.
Salihamidzic darf sich auch nicht als Gewinner in diesem Konflikt fühlen, denn er ist durchaus beschädigt. Und auch der neue Trainer Julian Nagelsmann steht sofort unter Druck.