Abgesehen von Einkaufstaschen oder Strumpfhosen spielte das Fischernetz in der Fashion-Welt bislang keine große Rolle. Das soll sich nach dem Willen einiger Designer ändern, wobei die gelungensten Kreationen als neues Layering-Element durchaus reizvoll sein können.
Bei der Mode dreht sich traditionell vieles um die Masche. Wobei im Sommer besonders die luftige Variante bei gehäkelten Kleidern oder Oberteilen sehr beliebt ist. In der aktuellen Saison soll sie nun nach dem Willen bekannter Designer gehörig Konkurrenz bekommen durch ein Element, das in der Modewelt bislang kaum vertreten war. Die Rede ist vom Netz – und zwar in verblüffend ähnlicher Ausprägung wie das offenkundig als Vorbild dienende Utensil der Fischerzunft. Die daraus hergestellten Teile sind allerdings sehr offenherzig und sollten daher genauso wie Transparentes nicht ohne den darunter oder darüber erforderlichen Blickschutz übergestreift werden. Nur wer seine Follower auf Instagram zu Begeisterungsstürmen anmieren möchte, wird sich wie die hiesige Star-Bloggerin Caro Daur mit nichts drunter als nudefarbener Unterwäsche auf die Straße begeben und ablichten lassen.
So geschehen bei Daurs Visite auf der Pariser Fashion Week 2019, als der Netz-Look erstmals vorsichtig aufgeblitzt war. Immerhin konnte der Bloggerin damals in ihrem von Dior entworfenen bodenlangen Kleid eine vorbildliche Kälterestistenz attestiert werden. Wie die Netzteile richtig getragen werden sollten, egal ob es sich dabei um Kleider, Blusen, T-Shirts oder gar Leggins gehandelt hatte, wurde von den Designer-Models von Dior, Ferragamo, Altuzarra, Louis Vuitton, J. W. Anderson oder Victoria Beckham schon 2019 auf den Laufstegen vorgemacht. Entweder als untere Schicht im Layering-Look, was vor allem in Kombination mit darüber getragenen Jacken oder Blazern sehr pfiffig und durchaus verführerisch aussehen kann, oder als dekoratives Maschen-Element über den Klamotten arrangiert. Wobei sich Letzteres bei den entsprechenden Präsentationen für die Sommersaison 2021 als maßgeblicher Trend durchgesetzt hatte. Neben Netz-Kleidern waren zunehmend auch grobmaschige Blusenüberwürfe zu bestaunen.
Bei Burberry passten die Netzteile optimal zum saisonalen Thema der Kollektion, weil sich darin die vom Label erdachte Geschichte einer Nixe und eines Hais widergespiegelt hatte und daher mit den Maschen-Shirts direkt auf Fischernetze Bezug genommen werden konnte. Bei David Koma wurde ein kristallfunkelndes, capeähnliches Oberteil über einem festlichen Abendkleid getragen. Bei Hermès reichten die Säume des Netzkleides ein ganzes Stück beinabwärts über die Enden der darunter hervorschauenden ärmellosen Dresses hinaus. Bei Balenciaga erinnerte das bodenlange, über enger schwarzer Hose und figurbetontem Oberteil getragene Netzteil an ein mittelalterliches Kettenhemd. Dries Van Noten setzte das Maritime in einem dunklen jackenähnlichen Überwurf über weißen Strandklamotten wie Bermudas um. Bei Rick Owens wirkte das Netzkleid ziemlich fetisch-mäßig, gleichsam wie eine Verlängerung einer Netzstrumpfhose bis zum Brustbereich, weil die Beine des Models durch Overknees und der Rest des Oberkörpers durch einen Cropped-Pullover bedeckt waren. Acne kombinierte eine um die Knöchel mit Schlag versehene Netzhose mit einem darüber getragenen Netzkleid, das im Bereich des Oberkörpers viel nackte, nur von einem weißen BH verhüllte Haut durchscheinen ließ.
Strümpfe in Netzoptik kamen erstmals Ende 1800
Bei Jil Sander waren die Maschen eines Fischernetz-Überkleides Richtung Blütenoptik abgeändert. Lanvin hatte nur das Oberteil eines Spaghetti-Träger-Dresses in glitzernder Netzoptik gestaltet. Wohingegen Ports 1961 und Noir Kei Ninomiya bei ihren Dresses wiederrum auf Netz-Komplett-Optik setzen. Reine Deko, das an geknüpfte Schnüren erinnernde Netzwerk über einer kurzärmeligen Bluse von Nanushka. Eher konventionell die in Jacken oder Kleider eingearbeiteten Netzdetails bei Judy Turner oder Fendi. Prinzessinnen-Allüren in gewohnter Form wecken die mit Perlen und Kristallen aufgehübschten Netz-Versionen von Simone Rocha – bis hin zu ungewöhnlichen Handtaschen-Kreationen in Eier-Form. Wie generell diesen Sommer die Netzhandtaschen wieder Hochkonjunktur haben, die schönsten Exemplare haben Valentino, Fendi, Burberry, Nanushka und Christian Dior in ihrem Sortiment. Fishnet-Schuhe natürlich nicht zu vergessen. Als Boots in Pastellfarben bei Fendi zu haben, als Glamour-Stiefelette bei Koché im Programm, bei Dior als Ballett-Flats entworfen, als High Heels von Salvatore Ferragamo gestaltet. Wer nun auch ein Comeback der Netzstrumpfhose erwarten würde, dem wird leider nicht gedient. Zumindest auf den Catwalks war sie nicht zu sehen. Wäre in Kombination mit Netzkleidern und Co. auch des Guten wohl etwas zu viel gewesen. Dabei hatte die Netzoptik erstmals mit Strümpfen Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in die Damenwelt gehalten. Allerdings blieben die mit Strumpfhaltern getragenen Teile, die mehr Haut enthüllen als bedecken und dadurch männliche Blicke magisch anziehen sollten, zunächst einzig und allein dem Rotlichtmilieu oder den Vaudevilles/Cabarets vorbehalten. Ihren schlechten Ruf als Bestandteil der Bordell-Berufskleidung konnten selbst Hollywoodstars wie Marilyn Monroe in den 1950er-Jahren nicht gänzlich verbessernd aufpolieren. Erst dank der Punks in den 1970er-Jahren und der Goths in der folgenden Dekade konnte die Netzstrumpfhose ihr sexuelles Fetisch-Nischendasein etwas verlassen.
Aber so richtig gesellschaftsfähig konnte das maschige Beinkleid selbst durch Stars wie Madonna in den 90er-Jahren nicht werden. Denn Madonnas Posieren in Netzstrumpfhose auf dem Cover ihres Albums „In Bed with Madonna" hatte noch immer jede Menge erotisch Verruchtes. Auch Nicole Kidman zeigte in „Moulin Rouge" in ihrer Rolle als Satine unter anderem mit diesem erotisch aufgeladenen Kleidungsstück viel nackte Haut. Eine Frau, die heute außerhalb des Karnevals Netzstrumpfhosen trägt, braucht noch immer gehörig Mut und Selbstbewusstsein. Kann aber von dem nicht unerheblichen Vorteil profitieren, dass sich bei ihr nicht die ungeliebte Schwester der Masche namens Laufmasche einstellen kann. Frau kann Netz am Bein allerdings auch etwas kaschierend tragen, was in den letzten Jahren in der Streetwear immer häufiger zu sehen war, bei dem die Strumphose aus zerlöcherten Jeans hervorschaut. Oder indem frau sich ihre Füße mit Netzsocken aufhübscht. Mit der Abwandlung des gewohnten Rautenmusters hin zu Kreisen hatte das Label Proenza Schouler vor fünf Jahren nicht nur auf Instagram für große Furore unter Strumpfhosen-Fans gesorgt.
Brüder Grimm machten Werbung für Netz-Teile
Beim Stichwort „Masche" wird einem womöglich auch gleich der englische Begriff „Mesh" einfallen. Zumal Mesh-Stoffe häufig mit dem aktuellen Netz-Trend verwechselt oder in einen Topf geworfen werden. Bei Mesh handelt es sich um ein hauchdünnes Material mit einer Vielzahl winzigster gewebter Maschen und Löcher. Der ebenso robuste wie atmungsaktive Stoff wurde bereits 1888 von dem Textilunternehmer Lewis Haslam auf Basis von Baumwolle entwickelt. Er gelangte aber erst so richtig in den 80er-Jahren zum Durchbruch, vor allem dank Adidas, weil das Unternehmen damit seine Sportbekleidung revolutioniert hatte. Von der Sportswear sprang der Mesh-Funke dann dank Protagonistinnen wie Madonna, Britney Spears oder Christina Aguilera in die Streetwear über und verpasste dabei dem ursprünglich rein funktional daherkommenden Material, das heute meist aus Polyester oder Nylon hergestellt wird, ein optisches Rundum-Facelifting.
Den Anstoß zum aktuellen Netz-Trend hätten die Designer übrigens längst schon aus einem Märchen der Brüder Grimm mit dem Titel „Die kluge Bauerntochter" entnehmen können. Dem Mädchen war vom mächtigen König ein Rätsel aufgegeben worden, nach dessen Lösung der Herrscher ihm die Ehe versprochen hatte. „Komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heiraten." Was machte daraufhin die Bauerstochter? Richtig, sie hüllte sich einfach in ein Fischernetz als einziges Bekleidungsstück und ließ sich von einem geliehenen Esel abseits der Route zum Hofe ziehen.