In der DTM sitzt endlich wieder eine Frau hinterm Steuer – und was für eine! Sophia Flörsch ist jung, extrovertiert, selbstbewusst und talentiert. Und sie sorgt mit ihrer Lebensgeschichte für viel Aufmerksamkeit.
Sophia Flörsch will sich nicht verstecken. Auf der Rennstrecke auf keinen Fall, aber auch nicht, wenn sie ihren Overall ausgezogen hat. „Ja, ich habe lange blonde Haare und lackierte Fingernägel", sagt die 20-Jährige achselzuckend. Dann zeigen ihre Finger mit den dunkelrot lackierten Nägeln auf den Audi R8 LMS neben ihr, und Flörsch betont: „Du kannst Frau bleiben und trotzdem so ein Gerät ans Limit bewegen und es den Männern um die Ohren fahren." Genau das hat Flörsch vor, wenn sie ab dem 28. Mai in der neuen Saison der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) für Abt Sportsline an den Start geht. Sie will allen beweisen, dass sie den Job beim amtierenden Team-Champion nicht nur bekommen hat, weil sie weiblich ist, gut aussieht und eine interessante Lebensgeschichte zu erzählen hat. „Ich bin hier, um zu performen", sagt sie mit Nachdruck. „Über so einen Quatsch wie ‚Frauenfaktor‘ und ‚Marketingnummer‘ kann ich nur lachen."
„Ich bin hier, um zu performen"
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Flörsch natürlich im Mittelpunkt steht, ohne dass eine offizielle Rennrunde gefahren ist. Nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern auch wegen eines Horror-Unfalls am 18. November 2018. Die Bilder vom Formel-3-Rennen von Macau gingen um die Welt: Als gerade einmal 17-Jährige war sie mit einer Geschwindigkeit von 276 km/h mit Jehan Daruvala kollidiert, ihr Wagen drehte sich, rutschte rückwärts die Streckenbegrenzung entlang und wurde von dort angebrachten Curbs ausgehebelt. Ihr Bolide flog mit ungeheurer Wucht in ein mobiles Podest. Dort befanden sich Fotografen, zwei von ihnen wurden ebenfalls verletzt. Die bange Frage lautete damals aber: Wie geht es der jungen Pilotin? Flörsch war unmittelbar nach dem Crash ansprechbar und wurde zu näheren Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht. Dort stellten die Ärzte eine Wirbelsäulenfraktur fest, die in einer elfstündigen Operation behoben wurde. Flörsch hatte Glück im Unglück – und stieg nur ein paar Wochen später schon wieder in einen Rennwagen. Die Rennkarriere aufzugeben sei nie eine Option gewesen, betont Flörsch: „Motorsport ist mein Leben."
Schon im Alter von drei Jahren saß Sophia Flörsch in einem Kartwagen, mit neun gewann sie ihren ersten EM-Titel. Weil sie für die deutsche Formel-4-Serie noch zu jung war, sammelte sie zunächst in der britischen Sportwagen-Juniorenmeisterschaft Erfahrungen und auch Siege. 2016 stieg Flörsch dann doch in der Formel 4 ein, zwei Jahre später folgte der Aufstieg in die Formel 3. Ihr rasanter Aufstieg wurde durch den Horror-Crash nur kurz gestoppt. Schnell fuhr Flörsch wieder Formel-3-Boliden, und bei den traditionsreichen 24 Stunden von Le Mans belegte sie zusammen mit zwei Teamkolleginnen in der LMP-2-Klasse einen starken Top-Ten-Platz.
Doch all das ist noch weit weg von ihrem eigentlichen Traum: der Formel 1. Dort will Flörsch nicht nur irgendwann starten, sondern auch um Siege mitfahren. „Es gab noch nie eine erfolgreiche Frau in der Formel 1", sagt sie. „Das will ich ändern." Dieses Selbstvertrauen ist nicht aufgesetzt, die junge Frau weiß, was sie will, was sie kann und was sie für ihre Ziele alles investieren muss. Das hinterlässt auch Eindruck bei ihren künftigen DTM-Rivalen. Timo Glock zum Beispiel traut ihr den nicht ganz einfachen Umstieg vom Formel- auf den Tourenwagensport ohne Zweifel zu: „Sie wird das machen. Sie ist selbstbewusst genug, das umzusetzen." Der frühere Formel-1-Pilot, der in der DTM für BMW-Rowe an den Start geht, hat „größten Respekt" vor seiner neuen Konkurrentin, die nur halb so alt ist wie er selbst. „Alleine nach so einem Unfall wieder zurückzukommen und sich zurückzukämpfen, ist schon eine riesige Leistung", meinte Glock. Zu solchen Sätzen sagt Flörsch in der Regel „Danke", aber eigentlich will sie nicht nur auf diesen Unfall und die Folgen reduziert werden. „Ich will als Sportlerin respektiert und wertgeschätzt werden", sagt sie, „und nicht als Mädchen mit dem Unfall gesehen werden." Sie sei eine ernstzunehmende Rennfahrerin, „die Männer schlage", sagt sie, „weil ich genauso gut und noch besser bin." Aber wie gut stehen die Chancen der zwölften Rennfahrerin in der 30-jährigen Geschichte der DTM-Traditionsserie? „Ich setze auf Sophia und glaube, sie kann überraschen", sagte der langjährige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug. Auch DTM-Chef Gerhard Berger traut der Newcomerin zu, „erfolgreiche Rennen zu fahren". Vergleiche mit Ellen Lohr, die Anfang der 90er-Jahre als bislang einzige Frau ein DTM-Rennen gewinnen konnte, hört die neue Hoffnungsträgerin nicht so gerne. Sie wolle lieber „als Sophia Flörsch möglichst erfolgreich sein".
„Weil ich genauso gut und noch besser bin"
Im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen bekommt Flörsch das gleiche Material zur Verfügung gestellt wie ihre Teamkollegen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so, meistens mussten Frauen in das Vorjahresauto oder sogar in noch ältere Generationen steigen. „Man muss ehrlich sagen, dass es für Frauen schwieriger ist, an gutes Material zu kommen, weil der Glaube an die Frauen noch nicht so wirklich da ist", sagte die frühere Rallye-Dakar-Siegerin Jutta Kleinschmidt dem Motorsport-Magazin. Fahrerinnen würden von den Teams „gern als PR-Aushängeschild" gesehen. Sportlich traue man ihnen aber nur wenig zu. Die Abt-Verantwortlichen versichern zumindest das Gegenteil, Wunderdinge darf man von der aktuell besten deutschen Rennfahrerin dennoch nicht erwarten. Der Umstieg vom Formel- in den Tourenwagensport hat schon einigen Stars in der Vergangenheit Probleme bereitet. Flörsch ist sich der Unterschiede voll bewusst. „Hier ist die Aerodynamik sehr viel geringer, dadurch ist die Kurvengeschwindigkeit kleiner", erklärt sie. Auch an die im Auto verbauten Fahrhilfen ABS und Traktionskontrolle muss sie sich erst gewöhnen. Und die wohl größte Umstellung: Ab sofort ist die Serie aus Kostengründen komplett auf GT3 umgestellt, das bedeutet, die Fahrzeuge sind auf ein Leistungsniveau angeglichen. Das macht die Autos langsamer. „Sophia kommt jetzt – gelinde ausgedrückt – in einen Traktor im Vergleich zu den DTM-Autos, die wir vorher hatten", erklärt der zweimalige DTM-Champion Timo Scheider die Schwierigkeit. „Früher waren es Sport-Prototypen, jetzt haben wir ein richtiges GT-Auto mit 1.200 bis 1.300 Kilo und relativ wenig Abtrieb im Vergleich zum DTM-Auto." Die Herausforderung für Flörsch werde dadurch „unfassbar groß". Sollte sie es „Richtung der Top Ten" schaffen, wäre das schon „ein sensationelles Ergebnis", meinte Scheider.
Fast eine halbe Million Follower auf Instagram
Optimistisch gibt sich Gesellschafter Hans-Jürgen Abt. Regelmäßig in die Punkte zu fahren werde zwar nicht leicht, meinte der Rennstall-Besitzer, „aber mit harter Arbeit und ihrem Ehrgeiz, den ich sehr schätze, glaube ich, dass wir ein gutes Paket geschnürt haben". Zu diesem Paket gehört aber natürlich auch die öffentliche Wahrnehmung, die die Verpflichtung von Flörsch nach sich zieht. Auch die Rennfahrerin selbst weiß, dass ihre Erscheinung und auch ihr Unfall ihr Türen öffnet, die sonst vielleicht verschlossen geblieben wären. Auf dem roten Teppich ist Flörsch ein gern gesehener Gast, bei ihr klicken die Fotografen wie wild. Bei den Laureus Awards setzte sie sich in ihrer Kategorie sogar gegen Jürgen Klopp durch und posierte anschließend im Blitzlichtgewitter mit dem mindestens zwei Köpfe größeren Basketball-Star Dirk Nowitzki. Sie sei „super stolz" auf die Auszeichnung, hatte sie damals gesagt, die Trophäe werde „einen schönen Platz auf dem Nachttisch finden". So cool und schlagfertig sich Flörsch nach Außen gab, beim Gang auf die große Bühne bekam sie dann doch leichte Panik: „Ich war einfach super nervös und habe noch schnell meine Schuhe ausgezogen, weil ich Angst hatte, von der Bühne zu fallen mit hohen Schuhen." Der Gala-Abend endete ohne größeren Fauxpas, und Flörsch bastelte weiter an ihrem Bekanntheitsgrad. Inzwischen zählt sie fast eine halbe Million Follower auf Instagram, das ist eine neun Mal größere Fanbase als sie zum Beispiel Glock hat. Doch dahinter steckt auch Berechnung, im „Team Flörsch" gibt es mittlerweile einen sogenannten Content Manager, der sich ausschließlich um die Social-Media-Auftritte kümmert. „Es ist definitiv eine Bereicherung, sie bedient eine große Fangemeinde", sagt DTM-Chef Berger. „Das tut uns als Plattform auch gut."
„Weil ich genauso gut und noch besser bin"
All das soll aber nicht vom Wesentlichen ablenken. Flörsch selbst wirkte während der Testfahrten sehr fokussiert und zielstrebig. „Ich glaube nicht, dass der Sophia das im Weg steht", sagt Norbert Haug über die vielen Aktivitäten außerhalb der Rennstrecke. Der langjährige Mercedes-Motorsportchef betonte: „Ich glaube auch nicht, dass sie mehr Zeit vorm Spiegel verbringt als im Auto." So locker sehen das nicht alle in der Szene, Flörsch weiß das natürlich. Sie kämpft beim Motorsport auch gegen Neid und Vorurteile an. „Sophia muss sich beweisen und der Öffentlichkeit zeigen", sagte Vater und Manager Alexander Flörsch, „dass sie immer auf dem Level von Spitzenfahrern fahren kann." Ansonsten würde ihr die extrovertierte Art schnell auf die Füße fallen. Doch groß den Kopf darüber zerbrechen tut sie sich nicht. „Ihre Stärke ist die Unbekümmertheit. Ich glaube, sie kennt keine Angst", sagte Abt-Teamchef Thomas Biermaier.
Und sie kennt für sich auch kein Limit. Den Traum von der Formel 1 hat sie noch nicht aufgegeben, auch wenn manche die Saison im GT3-Auto in der DTM als Rückschritt werten. Sie selbst tut dies nicht. „Ich glaube, dass ich hier dieses Jahr in der DTM sehr viel mehr lernen kann, als wenn ich noch ein Jahr in der Formel 3 gefahren wäre", meint Flörsch. Dies trifft aber nur zu, wenn sie die vielen Probleme der Umstellung meistert. Und wenn sie erfolgreich gegen Neid und Vorurteile ankämpft.