Am 7. und 8. Mai werden sich die europäischen Staats-und Regierungschefs in Porto zu einem Europäischen Sozialgipfel treffen. Es geht um nichts weniger, als eine wachsende soziale Kluft auch nach der Pandemie zu verhindern.
Viele Länder haben sich noch nicht von der Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2009/2010 erholt und müssen jetzt mit dem Flurschaden der Corona-Pandemie zurechtkommen. Es steht fest, dass die Arbeitslosigkeit und die Armut erheblich zunehmen werden und die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der EU weiter auseinanderdriften. Da besteht akuter Handlungsbedarf.
Erste Schritte der europaweiten Solidarität wurden auch schon unternommen. So gibt es seit letztem Jahr ein EU-Programm für Kurzarbeitergeld, womit viele Menschen ihren Arbeitsplatz erhalten können. Der EU-Wiederaufbaufonds von 750 Milliarden Euro soll betroffene Teile der Wirtschaft wieder auf die Beine bringen. Mit dem Geld soll eine Modernisierung der Infrastruktur einhergehen. Maßnahmen zum Klimaschutz und zur digitalen Vernetzung stehen ganz oben auf der Prioritätenliste. Hinzu kommt das Ausbügeln der Defizite im Gesundheitswesen.
In diesem Jahrzehnt muss in Europa nicht nur in Material investiert werden, sondern ganz besonders in die Menschen. Die digitale Revolution wird vieles verändern, in der Arbeitswelt, im Bildungswesen, in der Kultur oder in der Kommunikation. Etliche Arbeitsfelder drohen entwertet zu werden oder ganz wegzufallen. Plattform-Arbeitsplätze sind oft unterbezahlt und sozial nicht abgesichert. Die EU muss einen Katalog sozialer Rechte für die digitale Welt erarbeiten und umsetzen. Dazu gehört das Recht auf Bildung und Fortbildung, um mit dem digitalen Wandel zurechtzukommen.
Es besteht akuter Handlungsbedarf
Auch die grüne Revolution bringt in diesem Jahrzehnt einen rasanten Wandel. Klimaneutralität wird in der Industrie, im Verkehr oder der Landwirtschaft spürbare Veränderungen erfordern. Auch hier muss die Maxime sein, dass niemand allein und zurückgelassen wird. Die EU muss mehr denn je mit ihrer Regionalpolitik und dem Sozialfonds helfen, den Strukturwandel zu bewältigen.
Bei dem Sozialgipfel in Porto wird es auch generell um die soziale Situation und die soziale Dimension in der EU gehen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist überall in den letzten 20 Jahren größer geworden. Bestimmte Bevölkerungsgruppen leiden besonders unter Ausgrenzung und Armut. Das gilt für Kinder in Not, wie auch vielfach für ältere Menschen. Mindeststandards sollten erreichen, dass überall in der EU menschenwürdige Verhältnisse herrschen.
Eine „Europäische Säule sozialer Rechte" wurde schon vor vier Jahren auf einem Gipfel in Göteborg proklamiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel fuhr damals nicht hin, weil es ihr nicht so wichtig erschien. Dieses Mal liegen die Dinge anders. Die von der Corona-Pandemie angerichteten Schäden sind unübersehbar. In Porto werden alle Staats- und Regierungschefs anwesend sein. Einen wirtschaftlichen und sozialen Flurschaden darf sich die EU nicht leisten.
Die Krise sollte für Europa als Chance genutzt werden. Das viele Geld in den Rettungsprogrammen muss uns in die Lage versetzen, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nachhaltiger zu wirtschaften, digitaler zu arbeiten und gesünder zu leben. Die soziale Komponente, die der europäischen Idee ganz am Anfang zu eigen war, muss jetzt eine neue Renaissance erleben. Die Fähigkeiten der Menschen zu verbessern, rückt in den Vordergrund der Europa-Politik.