Seit 80 Jahren wird das Vier-Sterne-Hotel „Zum Hirschen" am Nonsberg von der Familie Mirko Mocattis geführt, mit erfolgreichem Generationswechsel. Das Pilgerhotel lockt jedes Jahr zahlreiche Gäste an, die auch die Kulinarik vor Ort zu schätzen wissen.
Zwei Nonnenfiguren aus oxydiertem Kupfer stehen an der Passerelle zwischen Marienkapelle und Dorfplatz von „Unsere Liebe Frau im Walde – St. Felix". Wie Unzertrennbare halten sich die beiden hellgrünen Schwestern an den Händen, als wollten sie vermitteln, dass sich hier im 700-Seelen-Örtchen Althergebrachtes stimmig mit einem modernen Architekturkonzept verbunden hat. Ein mystisches Lüftchen der Vergangenheit umweht den Weiler. Kein Wunder, denn stattliche 800 Jahre Geschichte schmiegen sich an den ältesten Wallfahrtsort Tirols. Als Teil der noch wenig bekannten Region Deutschnonsberg im Val di Non (Nonstal) liegt er direkt am Saum der deutsch-italienischen Sprachgrenze zwischen Südtirol und Trentino.
Der helle langgestreckte Gebäudekomplex mit seinen filigranen Holzfenstern und Balconetti passt sich durch seinen sachlich-eleganten Baustil ganz der Stille des Dorfplatzes an. Das ehemalige Pilger-Hospitium wurde bereits 1184 erstmals in den Registern der spätgotischen Marienkirche (15. Jahrhundert) erwähnt. Benediktinermönche betrieben das Ur-Haus im 16. Jahrhundert erstmals als Fremdenherberge für weltliche Besucher. So nennt sich das erst vor wenigen Jahren umgebaute Vier-Sterne-Hotel „Zum Hirschen" auch passend „Bergrefugium für aktive Genießer und moderne Pilger". Das minimalistische Design-Hotel wurde aufgrund seines gelungenen Synergiekonzepts zu Südtirol schönstem „Historischen Gasthaus 2019" gekürt.
Wenn Mirko Mocatti dort mit zurückhaltendem Stolz seine Gäste empfängt, zeigt er gern auf das Originalmauerwerk, das hinter dem Rezeptionstresen hervorblitzt. „Authentizität liegt in der Veränderung", erläutert der studierte Touristiker sein Konzept, der mit seiner Abschlussarbeit „Spiritualität im Tourismus" den neuen Weg seines Elternhauses „akademisch" vorbereitet hatte. Seit 80 Jahren wird das Hotel von seiner Familie geführt und ist heute das Ergebnis eines gelungenen Generationswechsels. Die bauliche Geschichte ist in einem liebevoll zusammengebundenen Büchlein nachzuvollziehen, das im Gastraum ausliegt. Von knittrigen Schwarzweiß-Flyern und abfotografierten historischen Stichen bis zu knallbunten Broschüren aus den 70er-Jahren zeigt es das Spektrum einer beeindruckenden Metamorphose. Mirkos Mutter Edith Kofler zeigt ein bisschen wehmütig auf die Seiten im architektonischen Zeitreisekatalog der Jahre um 1940. Da sei ihre Familie ins Spiel gekommen: Ihr Vater Alois, der bei den Einheimischen auch „Waldner Wirt" genannt wurde, hatte der Kirche das Gasthaus „Zum Hirschen" abgekauft und nach seinen Vorstellungen umgebaut. Edith hatte es dann zu einem komfortablen Hotel weiter ausgebaut, das den ehrlich-dörflichen Gasthaus-Charakter behielt und bis heute von ihrer herzlichen direkten Gastkultur geprägt ist.
Löwenzahn in vielen Varianten auf der Karte
Als das Hotel in die Jahre kam, war die Zeit reif für Veränderung. Mit viel Vertrauen legte sie es in die Hände ihres Sohns, um den Geburtsort achtsam, aber zeitgemäß zu transformieren.
Für den Umbau hatte er den italienischen Architekten Lorenzo Aureli beauftragt, es nach seinem Konzept zu gestalten. Der Genius Loci ist geprägt vom Luxus der Stille. Der Trentiner Vater Giorgio Mocatti bleibt als Haustechniker und Hofpoet mit rotem Schal und Baskenmütze lieber im Hintergrund. Manchmal begrüßt er die Gäste mit einem ladinischen Gedicht, der romanische Dialekt der Alpenländer liegt ihm mehr als das Deutsche.
Aus den Dachgeschosszimmern „Luc" fällt der Blick durch die Panoramafenster auf den Hausberg Laugen, den Lärchenwald und die Kapelle, deren Kirchturm morgens aus den Frühnebeln ragt, während die Gäste sanft vom Klang der Glocken geweckt werden. Das Außen wird durch Materialien ins Innere geholt – eine Mischung aus einheimischen Natursteinböden (Porphyr) und Hölzern wie Lärche oder Fichte. Grobes Leinen, Lodenstoffe oder Filz erinnern an Mönchskutten. Das Asketische findet sich in allen Zimmern. Gedeckte Farben – viel Weiß, Schwarz und Grautöne strahlen etwas kontemplativ Monochromes aus. Farbakzente beziehen sich auf die Natur des Nonsberg: Petroleum-Blau, Radicchio-Rot und Löwenzahn-Gelb.
Letzterem wird im Herbst und Frühling ein kulinarisches Bergdorffest gewidmet. Tochter Ingrid kreiert als Küchenchefin den kulinarischen Part. Eine gehobene Synergieküche voller Ur-Kraft mit vielen Essenzen und Aromen des Waldes und hervorragender, zumeist autochthoner Weinkarte. Die Menükarte des Hotelrestaurants „Cervo" wird im Frühling mit Löwenzahn adaptiert: Neben seiner entschlackenden gesundheitsförderlichen Wirkung findet man das in bäuerlichem Jargon als „Bettfetzer mit Hundezähnen" betitelte, bitter-süße Wildkraut dann gegrillt, frittiert, gedämpft oder als Salatnest zu Hirsch-Carpaccio, Bergforelle oder Risottino à la carte. Von der Wurzel über Grün, Stängel und Knospe wird alles verwendet. Die Blüte wird karamellisiert zu Sirup oder ergänzt das Discretio (Dessert) wie den Ur-Apfelstrudel mit Champagner Sorbet. Der wie Finger geformte, bitterzarte „rosso tardivo" (Winterradicchio) kommt dann im Spätherbst auf den Speisezettel. Das Wissen vom Wildkräuter-Pfarrer Weidinger und Hildegard von Bingen begleitet das regionale Slow-Food-Konzept der Mocattis. Urtypisches wird dort neu interpretiert. Aromatische Heilkräuter aus dem Mittelalter wie Quendel, Galgant, Bertram, Ysop oder Hirschzungenfarn stehen griffbereit zum Affinieren.
Das Hirschgeweih des Hoteltotems versinnbildlicht auch die verbindenden Verästelungen zu den Bauernhöfen der nahen Umgebung. So kommen zartblättrige Kräuter aus den prall mit Melissen, Malven oder Kornblumen gefüllten Körben der Kräuterbäuerin Annelies Kofel aus St. Felix. Onkel Erwin Kofler betreibt die Reinkarnation der ehemaligen familiären Speckräucherstube. Mit den wilden Bergkräutern vom Gampenpass pökelt und räuchert er wie einst der Großvater. Und seidenweicher Speck, Kaminwurzen oder Mortandela werden im Hofladen „Widumhof" schräg gegenüber verkauft. Die typischen „Paarl"-Roggenbrotlaibchen gibt’s vom nahe gelegenen „Roatnocker", einem Demeter-Biohof. Die werden wie immer schon mit Anis aromatisiert und von Familie Weiss freitags in der vom offenen Feuer geschwärzten Backstube gebacken. Den urwüchsigen Hof mit Käserei und Getreidemühle für Polentamehl erreicht man fußläufig über einen märchenhaften Waldweg.
Verschachtelte Romantische Klosteranlage
Hinter dem Pilgerhotel hält der Hausberg Laugen die dörfliche Kulisse fest umarmt. Das milchige Winterlicht schmeichelt dem im Volksmund auch als Frauenberg und Sitz der Wetterhexen betitelten höchsten Berg von Nonsberg. 1552 soll die blaublütige Regina von Brandis mit Burgfräulein Catherine von Botsch in Edelmannbegleitung die 2.434 Meter hohe Laugenspitze erklommen haben. Sie wollten von dort einen Blick über ihre Landgüter werfen. Der mit mittelalterlichem Schuhwerk sicher beschwerliche Aufstieg hat sich wohl nicht nur für die Geschichtsbücher gelohnt. Der 360-Grad-Panoramablick auf das Südtiroler Berg-Panorama hat die ersten weiblichen Gipfelbesteigerinnen des Alpenraums sicher aufs Höchste beglückt.
Am Gampenpass beginnt der Aufstieg. Von Meran kommend führt diese ehemalige Handelsstraße für allerlei Geschmeide auch zur „Lieben Frau". Auch Weitwander- und Pilgerwege wie der Jakobs- oder der St.-Romedius-Insider-Weg führen hier vorbei. Der Sage nach soll der Heilige – ein Sohn aus gutem bayerischem Adelsgeschlecht – vor 1.000 Jahren lieber mit einem Bären durch die Wälder geritten sein, als sein Erbe anzutreten. Als Heilsbringer gegen Pest und andere weltliche Boshaftigkeiten zog er sich in die Einsiedelei zurück. 131 Stufen führen auf die interessant verschachtelte, romanische Klosteranlage. Dort kann man dem guten Mann eine Kerze entzünden oder für die „Pilger Marende" (Vesper) mit lokalem Anis-Knusperbrot, Grana-Käse, Apfel, Tee und Speck auf den Steintreppen verweilen.
Ein gewundener Pfad führt ganz in der Nähe auch zum Felixer Weiher. Der Wasserfall belohnt mit einem archaischen Naturerlebnis, für das sich der Aufstieg über den erdigen Weg lohnt. Im Hotel warten nach dem Pilgern die Kräutersauna und weiterer Genuss. Edith serviert mit einem „Ist’s recht?" das Heilkräuter-Bingen-Elixier. Das wärme den Bauch vorm Abendmahl. Den Grappa aus der Löwenzahnwurzel gibt’s als bitter-aromatischen Digestiv hinterher. Alles schmeckt und riecht nach mit Achtsamkeit ins Heute getragenen alten Werten. Moderne Pilger spüren den Unterschied.
Food-Tipp: Die Löwenzahnwochen im April und Mai sowie die Radicchio-Wochen im Oktober sind kulinarische Jahres-Höhepunkte!