Therapiehunde gibt es in vielen Bereichen. Aber beim Zahnarzt? Mit dieser Idee betritt eine Berliner Praxis neues Terrain – und macht ängstliche Kinder glücklich.
Als Doc Peppi die Praxis betritt, bekommt sie als Erstes ein Kompliment. „Schöner Mantel", sagt eine Frau, „ist der selbst gestrickt?" Doc Peppi antwortet, indem sie mit dem Schwanz wedelt und sich auf die Hinterbeine stellt. Während ihrer Schicht trägt sie Dienstkleidung, so wie ihre menschlichen Kollegen auch. Nur dass es bei ihr nicht bloß um die Optik geht, sondern auch um Hygiene: Hundehaare in einer Zahnarztpraxis sind tabu.
Doc Peppi ist eine kleine Mischlingshündin mit großen Fledermausohren, vermutlich eine Kreuzung aus Chihuahua und Pinscher, vielleicht steckt auch ein Dackel in ihr. Sie ist etwa sechs Jahre alt, ganz sicher weiß das niemand, weil sie auf einer spanischen Müllkippe zur Welt kam. Mithilfe einer Tierschutzorganisation kam sie nach Deutschland und legte als Quereinsteigerin eine steile Karriere hin. Als Therapiehündin beruhigt sie Kinder, die Angst vorm Zahnarzt haben. Natürlich heißt sie nicht wirklich „Doc", aber der Zusatz kommt gut an bei den Patienten und ihren Eltern.
„Wir achten streng auf Sauberkeit"
Es ist Donnerstagmittag, 12.30 Uhr: Arbeitsbeginn für Peppi und ihr Frauchen, die Zahnärztin Birte Habedank (42). In der am Berliner Kurfürstendamm gelegenen Praxis wissen die kleinen Patienten schon, dass sie heute eine vierbeinige Seelentrösterin zur Seite gestellt bekommen – wenn Peppi da ist, weist ein Schild am Empfangstresen auf die Therapiehündin hin. Doch Geduld. Bevor Peppi in den Behandlungsraum stürmen darf, holt Frauchen eine Kiste aus dem Schrank. Als Erstes kramt sie einen Massagehandschuh hervor, mit dem sie Peppi über den Rücken streichelt. An ihm sollen lose Haare hängen bleiben. Danach reinigt sie Peppi mit Feuchttüchern die Füße und den Po. Schließlich das Highlight: Leberwurst-Zahnpasta. Ein bisschen davon auf die Ultraschall-Zahnbürste, dann surrt es in Peppis Mund – auch das eine Vorsichtsmaßnahme, denn Peppi soll den Schmutz der Straße nicht nach drinnen bringen. „Fein!", sagt Habedank, als Peppi die Prozedur regungslos über sich ergehen lässt. Peppi schüttelt sich und läuft zielsicher ins Wartezimmer, wo die sechsjährige Mira bereits wartet. „Kannst du mir helfen und sie an die Leine nehmen?", fragt Habedank. Die Augen des Mädchens strahlen. „Ich habe mich schon lange gefragt, warum es beim Zahnarzt eigentlich keine Hunde gibt", erzählt Habedank. Schon ihren zweiten Hund habe sie immer mit ins Altersheim genommen, wenn sie ihre Oma besuchte. Aber im Job? „Da gab’s das allenfalls in den USA", sagt die Zahnärztin. „In Deutschland hatte noch niemand etwas davon gehört." Sie fragte bei Kollegen, bei der Ärztekammer und schließlich bei ihrem Chef. Der sei am Anfang skeptisch gewesen, erinnert sich Habedank, aber er willigte ein. „Natürlich ist Peppi entwurmt und geimpft", betont ihr Frauchen. „Und wir achten streng auf Sauberkeit." Sie lacht. „Peppi ist sauberer als viele Kinder, die zu uns kommen. Die bringen den halben Sandkasten mit zum Zahnarzt." Seit Sommer 2019 ist Peppi offiziell im Dienst. Habedank gewöhnte sie langsam an ihren Arbeitsplatz. Am ersten Tag besuchte sie nur kurz die Praxis. Am zweiten durfte Peppi herumschnüffeln, am dritten den Behandlungsraum betreten. Und schließlich mit Kollegen und Patienten interagieren. „Ich wollte sie nicht überfordern", sagt Habedank, die zusammen mit Peppi eine Therapiehund-Ausbildung absolviert hat. „Dort lernt man als Team zu arbeiten", erklärt die Zahnärztin. Viel laufe über Belohnungen: Wenn Peppi etwas richtig macht, bekommt sie ein Leckerchen.
Im Behandlungsraum haben sich Mira und Peppi derweil schon angefreundet. Kaum liegt das Mädchen auf dem Behandlungsstuhl, springt Peppi dazu und legt sich auf ihren Schoß. Allein Peppis Anwesenheit beruhigt. „Wollen wir ihr mal deine Zähne zeigen?", fragt Habedank und holt einen Mundspiegel hervor. Mira nickt, während ihr Peppi die Hände leckt – von Angst keine Spur. Und auch sonst herrscht kein Grund zur Besorgnis. „Sehr saubere Zähne", freut sich Habedank. Die Untersuchung ist innerhalb weniger Minuten vorbei.
„Viele wollen gar nicht mehr gehen"
Zur Belohnung dürfen Kind und Hund nun spielen. „Solche Phasen sind wichtig", erklärt die Zahnärztin. Maximal drei bis vier Stunden ist Peppi täglich im Einsatz, zwischendurch gibt’s eine Pipi-Pause. Würde sie übermäßig gähnen, an den Pfoten knabbern oder gar zittern, könnte dies ein Anzeichen für Überforderung sein. Auch das hat Habedank in ihrem Therapiehund-Kurs gelernt. „Tierschutz steht an oberster Stelle", heißt es daher in den Behandlungsregeln, die die Zahnarztpraxis eigens für Peppi aufgestellt hat. Und weiter: „Braucht der Therapiehund eine Pause, wird diese anstandslos gewährt." Die Behandlung dürfe nicht auf Kosten des Tieres gehen.
„Ich betrete hier Neuland", sagt Habedank, „deshalb muss ich einen gewissen Standard setzen." Nur Kinder ab sechs Jahren, die motorisch dazu in der Lage sind, dürfen mit der kleinen Hündin spielen. Probleme habe es aber noch nie gegeben, versichert sie.
Was vielleicht auch an Peppis Vergangenheit liegt: Es waren Kinder, die sie von der spanischen Müllkippe in Sicherheit brachten. Umgekehrt profitierten nun ängstliche Kinder von der unkonventionellen Behandlung. „Viele wollen gar nicht mehr gehen, wenn sie fertig sind", sagt Habedank. „Manche weinen sogar, weil sie Peppi nicht mit nach Hause nehmen dürfen." Nach der guten Resonanz, die Peppi verursacht hat, gibt es womöglich schon bald Nachahmer. Der Deutsche Berufsverband für Therapie- und Behindertenbegleithunde sieht darin nur eine logische Entwicklung. „In anderen Bereichen sind solche Hunde ja auch aktiv", sagt Ines Pawlitzki, die Vorsitzende des Verbandes. Im Prinzip sei jeder Hund geeignet, solange er lernfreudig, menschenbezogen und neugierig ist. Auch die Größe müsse passen. „Wenn ein riesiger Irischer Wolfshund bei der Oma im Altersheim auf den Schoß springt, wäre das schmerzhaft", sagt Pawlitzki. Bei Rehapatienten, die das Gehen wieder lernen, könnten sie hingegen ihre Größe ausspielen. „Wichtig ist in jedem Fall, dass die Hunde eine gute Ausbildung erhalten. Dann profitieren am Ende alle."
Peppi ist durstig vom Toben. Ihr Frauchen hält einen Napf unter den Wasserspender, an dem sonst die Patienten ihren Mund ausspülen. „Wasser ist Wasser", sagt Habedank und lacht. Auch Peppi scheint zufrieden. Die kleine spanische Mischlingshündin hat wahrlich einen weiten Weg hinter sich: von der Müllkippe direkt bis zum Ku’damm.