Nach langer Funkstille erschien jüngst das Comeback-Album von The Offspring. Leadsänger Dexter Holland gibt das Zoom-Interview in dem Studio, in dem Metallica-Produzent Bob Rock den neuen Songs den letzten Schliff verliehen hat. Im Interview spricht er über Virenforschung, Wahrhaftigkeit und wilde Punkrock-Shows.
Mister Holland, „Let the Bad Times Roll" ist Ihr erstes neues Album seit 2012. Hat es sich komisch angefühlt, nach so langer Zeit wieder eine Langspielplatte aufzunehmen?
Die Antwort ist: ja. Der Grund, weshalb es neun Jahre gedauert hat, ist, dass wir einfach noch nicht so weit waren. Die Zeiten haben sich seit unserer letzten Platte geändert, auch die Art und Weise, wie Musik präsentiert wird. Der Erfolg einer Band wird mittlerweile sehr von Singles und EPs bestimmt. Wir aber haben einen Schritt zurück gemacht und ein Album aufgenommen. Dieses Format bedeutet uns noch immer viel. Es ist ein Statement seitens des Künstlers und präsentiert all das, was er zu sagen hat. Deshalb haben wir so lange gewartet, bis wir genug Songs zusammen hatten. Und jetzt ist die Zeit reif, die Platte zu veröffentlichen.
Wollten Sie ein Punkalbum für Erwachsene machen?
An Zielgruppen verschwenden wir keinen Gedanken. Es geht eher darum, wie die Welt uns beeinflusst. Es funktioniert nicht, wenn du dich ständig fragst, ob jemand deine Musik mögen würde. Du solltest lieber etwas machen, was dich selbst umhaut. Und das teilst du dir dann mit dem Rest der Welt.
Wo erreiche ich Sie gerade?
Ich lebe in Huntington Beach. Was Sie da hinter mir sehen, ist unser Bandstudio. Wir nehmen mittlerweile fast alles hier auf.
Wie war es, mit Bob Rock in Ihrem eigenen Studio zu arbeiten?
Dies ist unsere dritte Platte mit Bob. Er ist ein toller Produzent, weil es ihm immer wieder gelingt, das Beste aus uns herauszuholen. Wenn wir zum Beispiel mit einem bestimmten Stück nicht weiterkommen, fragt Bob uns immer: „Nun, was würden The Offspring jetzt tun?" Das ist natürlich eine offensichtliche Frage, denn es geht beim Plattenmachen ja darum, was wir als Band wollen, und nicht, was Bob Rock will. Das ist wirklich eine interessante Art, das Optimum aus einer Band herauszuholen. Denn es geht schließlich darum, immer bessere Songs zu machen.
Zu dem Song „Let the Bad Times Roll" ließen Sie sich von Donald Trump inspirieren?
Dieser Song wurde inspiriert durch viele politische Ereignisse in den letzten Jahren. Und zwar nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt. Aber er hat auch eine gesellschaftlich-persönliche Komponente bekommen durch Covid-19. Allein in den USA sind bereits 500.000 Menschen an dem Virus verstorben. Viele andere haben ihren Job verloren und sind deshalb deprimiert oder isoliert. Diese Beobachtungen habe ich in den Song mit einfließen lassen, und zwar wertfrei. Der Hörer soll seine eigenen Schlüsse ziehen.
Sind schlechte Zeiten die besten Zeiten für gute Ideen?
(lacht) Es scheint so! Im Moment passiert vieles, über das man schreiben kann. Die Zeile „Let the Bad Times Roll" bringt die Weltlage auf den Punkt. Leider ist die globale Krise längst nicht vorbei. Ich denke aber, dass in unseren Texten immer auch ein bisschen Hoffnung mitschwingt. Vieles davon ist mit einem Augenzwinkern geschrieben. Ich blicke gern durch die ironische Brille auf die Welt.
Aber „Let the Bad Times Roll" meine ich wirklich so. Vielen Staatenlenkern sind die schlechten Zeiten doch gar nicht so unrecht.
Was war Ihr persönlicher Tiefpunkt in den vergangenen zwölf Monaten?
Wir sind normalerweise vier Monate im Jahr auf Tour, um live zu spielen. Mir persönlich ist es sehr schwergefallen, darauf zu verzichten. Ich liebe es, bei Shows auf unsere Fans zu treffen.
Sie vermissen wilde Punkrock-Shows mit exzessivem Stagediving und Pogotanzen?
Yeah, das tue ich. Das Reisen ist zuweilen anstrengend, aber die Energie, die bei Punkrock-Shows freigesetzt wird, ist verdammt geil! Es gibt nichts Vergleichbares. Dafür leben wir.
Corona hat so ziemlich Einfluss auf alles – natürlich auch auf unser Sexleben. Ist die Zeit von Sex, Drugs and Rock’n‘Roll definitiv vorbei?
(lacht) Sie spielen auf unseren Song „We Never Have Sex Anymore" an? Jeder Mensch hat Erfahrungen mit Beziehungen, ob jung oder alt. Aber noch niemand hat darüber in dieser Art einen Song geschrieben. „Wir haben keinen Sex mehr" klingt erst einmal ziemlich deprimierend, aber wenn man es augenzwinkernd sagt, löst es auch Lacher aus. Dieser Song drückt nichtsdestotrotz Selbstachtung aus: Derselbe Kerl, der nie Glück mit seinen Freundinnen hatte, lebt Jahre später in einer Beziehung – aber ohne Sex.
Kann man mit Punkrock in Würde alt werden?
Absolut! Einige meiner Lieblingsmusiker waren alte Punkrocker, The Ramones, Joe Strummer. Punkrock ist eine Lebenseinstellung. Und was The Offspring betrifft, bedeutet Punkrock selbstständiges Denken. Kein blinder Mitläufer zu sein.
Ein klassisches Punkrockalbum dauerte früher rund eine halbe Stunde. Ihre neue Scheibe ist 33 Minuten lang. Wollten Sie Songs machen, die direkt auf den Punkt kommen?
Ist sie etwa zu lang? Ich glaube, genau das wollten wir. Die Länge spielte aber eine untergeordnete Rolle, viel wichtiger war, dass sich die Songs für uns gut anfühlen. Von Plattenfirmen haben wir früher oft gehört, dass ein Album 40 Minuten lang zu sein hat. Hey, so kann man doch an kein Kunstwerk herangehen. Die Länge sagt doch nicht aus über die Qualität der Songs. Wie ich bereits erwähnte, haben wir so lange Ideen gesammelt, bis sie für ein ganzes Album reichten. Einige der besten Stücke, die ich kenne, sind kurz. Die Ramones brachten das zur Meisterschaft.
Und was war Ihr persönlicher Höhepunkt während der vergangenen zwölf Monate?
Ich habe kleine Kinder zu Hause. Es war toll, mehr Zeit als sonst mit ihnen zu verbringen. Das ist natürlich keine Rock’n‘Roll-Antwort, aber mit meinen Kids zusammen sein zu dürfen, ist schlichtweg großartig.
Sind Sie gut im Homeschooling?
Ich würde die Kinder lieber zur Schule schicken, weil Schule eine wichtige soziale Funktion hat. Aber aus der Notwendigkeit heraus lernen wir auch zu Hause. Buchstabieren, Lesen oder Rechnen. Gestern Abend zum Beispiel ging es um zwei plus zwei.
Bringen Sie den Kids auch Musik bei?
Bei uns zu Hause läuft immer Musik aus verschiedensten Quellen. Tablets und Smartphones liegen überall herum und spielen irgendeine Kindermusik ab. Bei uns findet definitiv musikalische Erziehung statt.
Sie sind nicht nur ein erfolgreicher Musiker, sondern auch Wissenschaftler. Sie haben über Viren geforscht.
2017 habe ich einen Doktortitel in Molekularbiologie an der University of Southern California bekommen. Mein Schwerpunktthema war die HIV-Forschung. Ich habe mich schon immer für Viren interessiert. Aber ich konnte natürlich nicht ahnen, dass sich eines Tages die ganze Welt für Viren interessieren würde. HIV macht mittlerweile keine Schlagzeilen mehr, aber Aids ist nach wie vor eine sehr reale und schwere Krankheit.
Werden wir Aids bald besiegt haben?
Es dürfte schwer sein, HIV mit der Wurzel auszureißen, weil es einige komplizierte Besonderheiten aufweist. Ich hoffe eher, dass wir das Coronavirus auslöschen können – beziehungsweise bald besser mit ihm umgehen können.
Lesen Sie viel über das Coronavirus?
Na klar, ich möchte auf dem Laufenden bleiben. Ich würde mich zwar nicht als Covid-19-Experten bezeichnen, aber ich begreife schon, was Viren auszeichnet.
Wann wird es wieder möglich sein, gefahrlos große Konzerte zu veranstalten?
Das lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorhersagen, weil es hinsichtlich Covid-19 noch zu viele unbekannte Aspekte gibt. Man kann zum Beispiel nicht jeden Einzelnen testen, weshalb man nie wissen wird, wo das Virus überall umgeht, wie stark es die Bevölkerung bereits durchdrungen hat und wie schnell es sich verbreitet. Das alles kann man eigentlich nur schätzen aufgrund von Testungen. Ich vermute, dass zwischen Sommer und Jahresende 2021 Konzerte möglich sein werden. Das hängt aber auch von den Impfungen ab.
Der deutsche Ticketverkäufer CTS Eventim will die Corona-Impfung an der Konzertkasse prüfen. Wie denken Sie über eine Impfpflicht für Konzertbesucher?
Das wäre ein möglicher Weg. Mit einer Impfung fühlt man sich natürlich viel sicherer. Gesichtsmasken wären auch eine gute Idee. Und natürlich Konzerte an der frischen Luft. Können wir bitte auch noch ein wenig über Musik reden?
Der Song „The Opioid Diaries" handelt von der Drogen-Krise in den USA. Überschattet die Corona-Krise das Drogenproblem?
In den Medien auf jeden Fall, denn da dreht sich alles um Corona. Auf dieser Platte wollten wir aber verschiedene gesellschaftliche und politische Themen in Angriff nehmen, über die geredet werden muss. Sie war fertig, als die Pandemie begann. Es macht für mich auch keinen Sinn, eine ganze Platte über Corona zu schreiben. Die Opioid-Krise in den USA interessiert mich persönlich, weil sie anders ist als bisherige Drogen-Krisen. Klassische Süchtige hat es schon immer gegeben, aber die Leute, die sich Opioid-Schmerzmedikamente verschreiben lassen, suchen nicht nach einem Hochgefühl à la Heroin. Sie werden eher unbeabsichtigt zu Süchtigen, weil diese Substanzen in kürzester Zeit extrem abhängig machen. Und dann wollen sie immer mehr davon haben. Irgendwann bekommen sie aber keine ärztlichen Rezepte mehr, weshalb sie sich auf der Straße Heroin besorgen. In den USA werden Football-Spieler zu Junkies! Das ist eine einzigartige Situation.
Wer ist dafür verantwortlich?
Unter anderem die Pharmaindustrie. Hauptsächlich trifft es jüngere Menschen. Seit einigen Jahren nimmt der Missbrauch von Fentanyl in den USA zu. Seine extrem hohe Wirksamkeit führt zu extrem hohen Todesraten. Manche Leute sterben bereits bei einmaliger Einnahme. Es ist rau da draußen.
Kennen Sie persönlich viele Opioid-Abhängige?
Natürlich kenne ich welche. Darunter sind auch Freunde von mir.
Trauen Sie Joe Biden zu, die größten Probleme der USA zu lösen?
Normalerweise äußere ich mich nicht zum Thema Politik. Aber Amerika hat auf diesen Wechsel lange gewartet. Es ist Zeit, dass sich etwas ändert. Biden hat einen ganz anderen Ansatz als sein Vorgänger. Ich hoffe, er hat damit Erfolg. Amerika ist bereit, neue Wege zu gehen.
Warum machen Sie Musik? Als Wissenschaftler könnten Sie Ihrem Land ja auch anders dienen.
Einerseits liebe ich Musik. Andererseits habe ich einen Standpunkt zu den verschiedensten Themen. Als ich jünger war, stand ich total auf Punkbands. Deren Einstellung hat mich geprägt. Mainstream- und Popbands ließen mich eher kalt. Punkbands haben keine Angst, Tabus wie Depression, Geisteskrankheit oder das Schlechte im Leben anzusprechen. Die unterschiedlichsten Erfahrungen, die junge Menschen machen, haben mich ermuntert, tröstliche Songs zu hören und später auch selbst zu schreiben.
Was hat Sie zu dem Song „Breaking These Bones" inspiriert?
Das ist ein Song über Trauer. Trauer ist assoziiert mit dem Tod oder mit dem Ende einer Beziehung. In meinem Song geht es jedoch darum, sich aus der Welt zurückzuziehen und Türen und Fenster hinter sich zu schließen. Depression kann sich anfühlen wie ein Amboss auf deiner Brust, der die Kraft hat, dir die Knochen zu brechen. Ich wollte einmal das körperliche Gefühl dieser Krankheit ausdrücken und keinen Ratgebersong machen. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ich sehe sonst keine Songs, die aus dieser Perspektive geschrieben wurden.
Hat Musik für Sie einen therapeutischen Aspekt?
Absolut. Wie nennt man das gleich? Katharsis! Viele unserer Fans schreiben uns über die sozialen Medien, wie sehr wir ihnen dabei geholfen haben, dunkle Zeiten zu überwinden. Des Öfteren habe ich den Satz gehört „Musik hat mein Leben gerettet". Ich weiß nicht, ob ich das alles so glauben kann, aber Musik hat definitiv die Macht, Menschen zu helfen oder vielleicht sogar zu heilen.
Können Sie sich an einen lebensrettenden Moment mit Musik erinnern?
Nun, unsere musikalische Reise ist eine Entwicklung. Alter Schwede! Am Anfang war es die Popmusik, die meine Mutter gehört hat. Später die Platten, die mein großer Bruder mit nach Hause gebracht hat, von Elton John, Kiss und anderen Hardrockbands. Als prägendes Erlebnis erinnere ich mich aber an Punk: die Sex Pistols, die Ramones oder gewisse kalifornische Bands wie The Vandals. Diese krachige und aggressive Musik mit ihren Botschaften veränderte für mich alles. Schlagartig.
Möchten Sie Musik machen, die tiefer geht als der übliche Punkrock?
Mit Sicherheit. Sind wir überhaupt eine Punkband? Ich denke, im Kern schon. Wir versuchen, das Genre mit jeder Platte ein bisschen mehr zu erweitern. Weshalb wir keine typische Punkband sind. Mit „Gone Away" ist auf der neuen Platte sogar ein Pianosong. Dergleichen würde man von einer Punkband eigentlich nicht erwarten. Ich will aber sehr persönliche Songs machen. Und das hat wunderbar funktioniert, indem ich einfach nur zum Piano gesungen habe.
Besteht die Hoffnung, dass wir diesen und weitere neue Songs nächstes Jahr in Deutschland live erleben?
Hey, wir können es kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen. Je eher, desto besser. Sobald das Touren wieder sicher ist, werden wir da sein.