Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys zeigen unterschiedlichste Ausstellungen seinen Einfluss auf die Kunstgeschichte. Denn noch heute haben sein Werk wie auch seine Selbstinszenierung Vorbildwirkung in der Kunstwelt.
Es begann unrühmlich: Ein Kind seiner Zeit, trat Joseph Beuys – geboren in Krefeld – als Teenager in die Hitlerjugend ein. Im Jahr 1941 meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe. Nach seiner Ausbildung zum Bordfunker wurde er hauptsächlich an der Ostfront eingesetzt. Dabei zeichnete er bereits zahlreiche Skizzen, auf denen er die Kriegserlebnisse festhielt.
Im März 1944 flog Beuys in einem Sturzkampfflugzeug mit, das wegen schlechter Sicht den Boden berührte und zerschellte. Ein deutsches Suchkommando fand den Überlebenden, und drei Wochen später konnte er das Lazarett wieder verlassen. Der Vorfall diente ihm als Künstler jedoch zeitlebens, um einen Mythos rund um sein Werk zu schaffen: Beuys arbeitete gern mit organischen Materialien wie Fett, Honig und Filz. Zur Erklärung behauptete er, nomadische Krimtataren hätten ihn nach dem Flugzeugunglück gerettet, auf einen Schlitten gepackt und seine Wunden mit tierischem Fett behandelt. Dabei hätte man ihn acht Tage lang in Filz warmgehalten. Eine Legende, wie sich erst im Jahr 2000 herausstellte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und kurzer Kriegsgefangenschaft kehrte Beuys zu seinen Eltern zurück. In seiner Heimatstadt Kleve schloss er sich schon 1945 einer Künstlergruppe an. Er studierte Monumentalbildhauerei in Düsseldorf und durfte als Meisterschüler an Großprojekten wie dem Kölner Dom mitarbeiten. Gleichzeitig beschäftigte sich die Klasse intensiv mit den philosophischen Lehren des Anthroposophen Rudolf Steiner. Hier verortet man Beuys’ spätere Weltanschauung und seine Theorie der sozialen Plastik. Dahinter steht die Vorstellung, dass der Mensch, die Gesellschaft, mit den Mitteln der Kunst zu formen sei.
Provokateur im Hochschulbetrieb
Ab 1961 bekleidete er den Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, fiel aber bald mehr wegen seiner unkonventionellen Kunstaktionen auf. Er unterstützte die Fluxus-Bewegung, bei der es weniger auf das Kunstwerk ankommt, vielmehr auf die schöpferische Idee dahinter.
Sein provokantes Postulat „Jeder Mensch ist ein Künstler" verärgerte jedoch das Establishment nachhaltig, denn Beuys lehnte gängige Zulassungsverfahren wie Bewerbungsmappen ab, übernahm 1971 an der Kunstakademie Düsseldorf alle abgelehnten Bewerber für ein Lehramtsstudium in seine Klasse (die damit auf 400 Studierende anwuchs). Nachdem das Wissenschaftsministerium sein Vorgehen nicht billigte, besetzte er mit einer Gruppe Studenten das Sekretariat der Hochschule. In Verhandlungen mit dem damaligen Minister und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau erwirkte er eine einmalige Ausnahme. Als Beuys im nächsten Semester allerdings genauso vorging, wurde er fristlos entlassen und mit Polizisten aus der Akademie eskortiert.
Internationale Künstler wie David Hockney, Jim Dine oder Gerhard Richter demonstrierten gegen die Entlassung, denn Beuys hatte in den Jahren zuvor bahnbrechende Erfolge gefeiert. Er stellte auf der Biennale di Venezia aus und regelmäßig an der Documenta, der wohl wichtigsten Schau für zeitgenössische Kunst. Noch heute kann man seinen sozial-ökologischen Beitrag „7.000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung" in Kassel bewundern. Dafür stellte er zunächst 7.000 Basaltstelen im Dreieck vor dem Fridericianum auf. In den kommenden fünf Jahren wurde jeweils ein Steinblock gegen eine junge Pflanze ausgetauscht. 1982 war das eine frühe Intervention gegen die fortschreitende Urbanisierung.
Dem Hasen die Kunst erklären
Bei seiner ersten Vernissage in einer kommerziellen Galerie (1965) ließ Beuys die Gäste jedoch drei Stunden vor abgeschlossener Tür warten. Währenddessen – sie konnten durch ein Fenster hineinschauen – spazierte der Künstler mit einem toten Hasen im Arm durch die Ausstellung und erklärte ihm die Bilder. Er selbst hatte seinen Kopf mit Honig und Goldstaub bedeckt. Mit diesem persiflierten Ritual des „Kunst-Erklärens" kritisierte er den von ihm als elitär empfundenen Zugang zur Kunst. Die Performance gilt heute als ein Schlüsselwerk, das die Aktionskünstlerin Marina Abramović 2005 im New Yorker Guggenheim Museum wiederholte, um auf dessen Aktualität hinzuweisen.
In einer New Yorker Galerie hatte Beuys einmal drei Tage mit einem Kojoten zusammengelebt, meist eingewickelt in eine Filzdecke und mit einem Schäferstab ausgestattet („I Like America and America Likes Me"). In einer anderen Performance schnitt er sich in den Finger und verband das Messer anstelle seiner Hand. Zu seinem später ikonischen Outfit – Jeans, weißes Hemd, Anglerweste und Filzhut – soll ihm seine Frau geraten haben, damit er bei einem Interview mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Er sprach ungewöhnlich viel mit den Medien und nutzte das immer wichtiger werdende Fernsehen für die Verbreitung seiner Kunst. Obwohl er laut seines Biografen ein idealtypischer Gegenspieler zu Andy Warhol war, arbeiteten die beiden 1980 für eine Galerie in Neapel zusammen.
Ende der 70er-Jahre kam „Die Grüne Partei" auf und Joseph Beuys trat als ihr Kandidat für das Europaparlament an. In einem Wahlwerbesong „Wir wollen Sonne statt Regen" sang er 1982 gegen die Aufrüstungspläne des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan und Atomkraftwerke (und für den Ausbau von Solarenergie).
„Ich bin gar kein Künstler. Es sei denn unter der Voraussetzung, dass wir uns alle als Künstler verstehen, dann bin ich wieder dabei. Sonst nicht", sagte er noch kurz vor seinem Tod. Als Joseph Beuys mit 64 Jahren starb, hatte er bewiesen, dass man auch als Künstler Politik und Gesellschaft kritisch hinterfragen und in sein Werk einbinden kann.