Seine melancholischen Songs oszillieren zwischen Rock, Pop und Folk. „Willkommen Goodbye" heißt das soeben erschienene Studioalbum des Liedermachers Joris. Der 31-jährige Echo-Preisträger nimmt an der achten Runde der Musikshow „Sing meinen Song – das Tauschkonzert" teil.
Corona bedeutet für viele Menschen Stagnation. Sie jedoch haben im Lockdown an der neuen Staffel von „Sing meinen Song" teilgenommen und sogar ein neues Album aufgenommen. Haftet Corona ein kreativer Mehrwert an?
Langeweile ist ein guter Motor für Kreativität. Die Gärten waren nach dem ersten Lockdown noch nie so gut gepflegt. Ich persönlich war drei Monate lang frustriert darüber, dass Konzerte und Festivals nicht stattfinden konnten. Da lag nichts ferner, als an der Platte weiterzuarbeiten, mit der ich vor zweieinhalb Jahren angefangen habe.
Wollten Sie ein Album gegen den Corona-Blues machen?
Auf dem Album habe ich große, fröhliche Eindrücke festgehalten. Irgendwann habe ich dann angefangen, neue Songs zu schreiben, die melancholischer waren, aber auch die wollten und sollten mit drauf. Dieser Kontrast ist auch der Kontrast des Lebens. In „Willkommen Goodbye" steckt beides drin. Es ist immer ein Kommen und Gehen.
In dem Lied „Untergang" geht es um Verlierer und Antihelden: „Wir feiern unsern Untergang nächtelang". Sind das auch Gedanken und Beobachtungen zu Corona?
Das sind eher meine Erinnerungen an das Erwachsenwerden. Diesen Song habe ich mit einem Augenzwinkern geschrieben. Jeder kennt es, auch mal auf der Loser-Seite zu stehen. Daraus wollte ich aber etwas Schönes machen.
Gab es einen Punkt in Ihrem Leben, an dem Sie nicht mehr weiter wussten?
Es gab definitiv Phasen des Zweifelns, in denen ich nicht gerade auf der Gewinnerstraße unterwegs war. Aber wenn man dabei entspannt bleibt und auf sich selbst und sein Umfeld vertraut, dann steht man am Ende stärker da als jemals zuvor.
Haben Sie als Künstler, der aus der Indieszene kommt, die Zügel in der Hand oder ist jeder Musiker auf eine Plattenfirma angewiesen, um erfolgreich zu sein?
Heutzutage nicht mehr. Ich bin sehr glücklich über mein Team, aber ich möchte auch alles mitgestalten können, auf dem mein Name steht. Diese Freiheiten habe ich bei meinem Label, was ich sehr schätze.
Funktioniert eine Karriere heute noch ohne Social Media?
Ich bin nicht der größte Social-Media-Dude. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, dass es dazugehört, bestimmte Dinge zu filmen und mit der Öffentlichkeit zu teilen. Ich würde aber niemals mein Privates nach außen kehren. Das ist für mich ein Heiligtum. Social Media spielt aber natürlich eine große Rolle, weil es den Menschen ermöglicht, auch mal „hinter den Zaun" zu schauen. Außerdem kann ich über diese Kanäle direkt mit den Leuten kommunizieren und mich mit meinen Fans austauschen, was ich toll finde.
Sind Sie eher bereit, in Ihren Liedern etwas von sich preiszugeben?
Absolut. Ich möchte, dass meine Musik von mir erzählt. Natürlich macht mich das verletzbar, aber das gehört dazu, sonst wäre es konstruiert. In „Willkommen Goodbye" beschreibe ich beispielsweise zum ersten Mal meine Kindheit und beschäftige mich damit, was uns zu dem macht, wer wir sind. Das ist ein wichtiges Thema für mich, deshalb bin ich auch froh, genau jetzt SOS-Kinderdorf-Botschafter sein zu können. Ich unterstütze die Kampagne #alle13Minuten, bei der es um die Thematik der Kindeswohlgefährdung geht.
„Es ist wichtig jetzt zu kämpfen, dass die Dummheit niemals siegt" – eine Anspielung auf Corona-Leugner?
Das ist eine klare Ansage gegen rassistische Äußerungen. Oft heißt es aus Bequemlichkeit: Das hat er nicht so gemeint, da muss man jetzt nichts zu sagen! Aber in dem Moment gewinnt die Dummheit. Kämpfen ist hier nicht physisch gemeint, aber es ist wichtig, dass wir das Thema immer wieder ansprechen und Rassismus keinen Raum geben. Das tut man nicht, indem man eine Revolution von seinem Bett aus startet. Man muss im Alltag die Sprache immer wieder infrage stellen und darauf achten, wie man miteinander umgeht.
In einem Lied feiern Sie „Nur die Musik". Wären Sie auch ohne die Musik ein optimistischer Mensch geworden?
In meiner Musik schwingt nicht nur Lebensfreude mit, sondern hier und da auch Melancholie. „Nur die Musik" zu schreiben und aufzunehmen war unheimlich toll. Ich verliere mich gern in Details. Nach der letzten Tour habe ich im Bus den Jungs und Mädels den Song vorgespielt, und wir haben gemeinsam den Refrain gesungen. Selbst diese Handyaufnahme ist in dem Song geblieben. „Nur die Musik" ist eine Ode an all meine Lieblingslieder. Mit fünf habe ich mein erstes Schlagzeug bekommen. 1996 kam eine Bravo-Hits-CD mit dem Lied „Lemon Tree" von Fools Garden heraus. Damals fand ich es faszinierend, dass Menschen in einem Studio einfach ein Glas hinwerfen durften, was dann aufgenommen wurde. Fallendes Glas ist in „Nur die Musik" genauso drin wie die Bassdrum-Figur von Snoop Doggs „Drop It Like It’s Hot".
War es ein komisches Gefühl, nach längerer Zwangspause wieder mit Band zu spielen?
Es war viel komischer, sich so lange nicht zu sehen. Die Trennung tat richtig weh, weil wir uns so gut kennen. Noch viel schmerzhafter ist es, zu sehen, durch welche schweren Zeiten Kunst und Kultur gerade gehen. Die Menschen, ohne die ich meinen Job nicht richtig machen könnte, haben Existenzangst.
Viele fühlen sich nach einem Jahr Corona abgekämpft, ausgelaugt und erschöpft. Wie motivieren Sie sich in diesen Zeiten?
Mir geht es schon auch so. Die Festivals für dieses Jahr wurden abgesagt. Es gibt keine richtige Perspektive. Ich will aber nicht ins Horn von Covidioten blasen. Die Bilder aus Kassel machen mich sauer. Ich motiviere mich eher durch ein gutes Umfeld. Zum Glück wohne ich in einer Dreier-WG in Berlin. Die Krise ist noch nicht vorbei, aber ich weiß auch, dass es wieder besser werden wird.
Kommt die Kultur bei den ganzen Maßnahmen zu kurz?
Absolut. Kunst und Kultur sind mehr als nur Joris, der ein neues Album rausbringt. Es ist das, was uns als heterogene Gesellschaft in Deutschland zusammenhält. Das funktioniert nur, indem wir wie auf Festivals und Konzerten von Zeit zu Zeit einander zuhören. Und dann wissen, warum wir zusammengehören. Wenn Kunst und Kultur verstummen, fehlt nicht nur ein wichtiger Wirtschaftszweig, sondern auch eine Säule, die das Leben so lebenswert macht.
Die neue Tauschkonzert-Staffel startet bei Vox. Wie hat es sich angefühlt, endlich wieder mit anderen Musik zu machen?
Es war verrückt, wir hatten da ein riesiges Sicherheitskonzept mit verschiedenen Kreisen. Aus diesen geschlossenen Kreisen kam niemand raus oder rein. Quarantäne, PCR- und Schnelltests inklusive. Wir Künstler hatten zu den anderen nur auf Entfernung Kontakt. Das hat ermöglicht, dass wir abends auf dem Sofa ohne Maske sitzen konnten. In dem Moment, als die Kameras und Scheinwerfer angingen, war dann aber schlagartig alles weg, was einen schon so lange belastet. Das ist die Magie des Konzeptes. Es geht bei dieser Show einfach nur um die Musik und die Themen dahinter. Ich war in der Zeit sehr beseelt und bin danach wieder in die harte Realität gefallen.
Statt vor der malerischen Kulisse Südafrikas haben sich die Teilnehmer im Gut Weissenhaus an der Ostsee zusammengefunden, um dort ihre Songs zu tauschen und zu präsentieren. Herrschte dort Wohlfühlatmosphäre?
Das würde ich gar nicht so sagen. Das Gut Weissenhaus war in erster Linie dazu geeignet, viele Menschen aufzunehmen und einen geschlossenen Kreis zu bilden. Auf jeden Fall ein schöner Ort, aber die Magie passierte in einem Festivalzelt auf dem Gelände. Drei Sofas, eine Bühne und eine tolle Band in einer Südafrika-Kulisse.
Finden Sie es schade, dass das Ganze nicht in Südafrika stattgefunden hat?
Nein. Es hat ja auch etwas Gutes, weil wir so einen ganz anderen CO2-Footprint hinterlassen haben. Insofern machen wir vielleicht mal alle zusammen einen Sommerurlaub mit der Bahn. (lacht)
„Sturm und Drang mein ganzes Leben lang" – ein Lebensmotto?
Ich glaube nicht, dass ich heute noch denselben Sturm und Drang verspüre wie zu Jugendzeiten, wo man unbedingt auch gegen das Establishment Eltern sein musste. Aber ich hoffe, dass der Hunger, sich immer wieder neu zu erfinden und herauszufordern, bei uns allen immer da sein wird. Ich fürchte nichts mehr als den einen Satz, den ich leider schon von einigen Menschen gehört habe: „Ich bin endlich angekommen." In dem Moment denke ich immer: Okay, dann ist jetzt wohl Feierabend!